27. Deutschen Logistik-Kongresses: Peer Steinbrück sprach zum Abschluss „Die Welt wird multipolarer“

Mit dem Gastvortrag von Bundesminister a. D. Peer Steinbrück schloss am Nachmittag der 27. Deutsche Logistik-Kongress der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Rund 3.500 Teilnehmer und 210 Aussteller in der begleitenden Fachausstellung kamen zu der Veranstaltung, die sich damit wieder auf dem Niveau des Rekordjahres 2008 bewegte. Der Kongress stand unter dem Motto „Intelligent wachsen“.

Nach Überzeugung von Steinbrück ist die Globalisierung irreversibel und wird fortschreiten. Ob allerdings Europa weiter in der Champions League spielen werde, sei nicht entschieden. Risiken sieht Steinbrück dabei vor allem im Währungsbereich. „Würde der Euro gesprengt, so würde die europäische Integration bis zu 20 Jahre zurückgeworfen. Der Wohlstand der Welt würde neu verteilt“, so der frühere Bundesfinanzminister.

Als zweite Risikoquelle beleuchtete Steinbrück das Verhältnis zwischen den USA und China, das er als symbiotische Beziehung bezeichnete. Im Moment brauchen die beiden großen Player einander. Aber: „Wie stellen sich die Chinesen auf? Werden sie ihre Anlagestrategien überdenken?“, fragt Steinbrück. Er wies darauf hin, dass derzeit die Rohstoffclaims insbesondere durch China neu abgesteckt werden – vielfach mit dem Ausbau der Infrastruktur oder sonstigen Bauprojekten als Gegenleistung für die Rohstofflieferanten. Dies alles geschehe in einer Zeit, „in der Europa nicht in Bestform ist“. Steinbrück nannte als Handlungsfelder den ökonomischen, den demographischen und den gesellschaftlichen Wandel. Diesen Herausforderungen müssten sich Deutschland und Europa stellen, um angesichts der enorm dynamischen Entwicklung in Südamerika und Teilen Asiens auf Erfolgskurs zu bleiben.

Wege zu intelligentem Wachstum
Die Ausführungen Steinbrücks schlossen den Kreis der Vorträge und Diskussionen während des dreitägigen Kongresses. Bald schon könnte gemäß Prognosen des Fraunhofer SCS im Wirtschaftsbereich Logistik wieder ein Umsatzniveau wie vor der Krise erreicht sein. Euphorie ist allerdings nicht angesagt, die Manager sind vorsichtiger geworden. Das zeigte sich in Berlin bei einer Podiumsdiskussion. Die Wachstumsstrategien seien vor der Krise in einigen Fällen nicht besonders gut überlegt gewesen. „Nun haben viele Betriebe gelernt, sich für schwierige Zeiten zu rüsten“, sagte Dachser-Chef Bernhard Simon. „Ich nehme nicht an, dass es noch mal zu einem solchen Dominoeffekt kommen wird.“ Allerdings will sich nicht jeder darauf verlassen. „Die nächste Krise wird kommen“, ist sich Otto-Chef Hans-Otto Schrader sicher. „Wir führen das Unternehmen so, dass wir uns flexibel anpassen können.“ Sehr vorsichtig äußert sich auch Robert Friedmann, Sprecher der Konzernführung der Würth-Gruppe. Er hat Zweifel, dass die Wirtschaft wirklich ausreichend ihre Lehren aus der Krise gezogen hat. Sein Unternehmen spiele Szenarien durch, um auf Einbrüche vorbereitet zu sein. Um hierzulande künftig intelligent wachsen zu können, muss der Standort Deutschland gestärkt werden. „Es ist nicht unbedingt notwendig, in China zu produzieren“, sagte Monika Ribar, CEO von Panalpina. „Es gibt in Deutschland eine starke industrielle Kultur.“ Damit verband sie den Appell an die Politik, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern.

In seiner Eröffnungsrede hatte der Vorstandsvorsitzende der BVL, Prof. Raimund Klinkner, bei aller begründeten Zuversicht zur Wachsamkeit gemahnt: „Intelligentes Wachstum ist das Gebot der Stunde: fähig sein, den Aufschwung mitzugestalten, aber trotzdem bereit, kommenden Turbulenzen zu trotzen.“
Fragestellungen und Lösungen für die unternehmerische Gestaltung dieses Weges boten die zwölf Hauptvorträge und 20 Fachsequenzen, die von Mittwoch bis Freitag zu einem vielfältigen und lebhaften Kongressverlauf beitrugen.

Wichtige Themenfelder in den Fachsequenzen waren Flexibilität, Nachhaltigkeit und Innovationen sowie das Ausloten von Expansionsmöglichkeiten. Diese Handlungsfelder wurden beleuchtet unter den Gesichtspunkten der Unternehmensführung, der Wertschöpfungstiefe und der Zukunftsgestaltung. Zweier weiterer Themen nimmt sich die BVL besonders an – und wird sie auch nach dem Kongress weiter verfolgen: Aufgaben der Logistik im Bereich akuter und dauerhafter Katastrophen (Humanitäre Logistik) sowie Investitionen in Kommunikation und damit Imagebildung für den – gemessen am Umsatz – drittgrößten Wirtschaftsbereich Deutschlands.

Preise für herausragende Leistungen
Während des Kongresses wurden herausragende Leistungen im logistischen Kontext mit Preisen ausgezeichnet. Der renommierte Deutsche Logistik-Preis ging 2010 an die Nord Stream AG mit Sitz im schweizerischen Zug. Die Jury zeichnete das Unternehmen für das Projekt „Die Logistik zur Pipeline“, d. h. die Logistik zur Nord Stream-Gaspipeline durch die Ostsee vom russischen Wyborg bis nach Lubmin bei Greifswald in Deutschland, aus. In seiner Laudatio fasste der Juryvorsitzende, Prof. Hans-Olaf Henkel, die Leistung zusammen: „Es handelt sich um ein Projekt von gigantischen Dimensionen. Riesige Mengen an Material waren auf dem Weltmarkt zu beschaffen und zu bewegen. Durch die Verlagerung von Produktionsschritten an den Anfang und das Ende der Großbaustelle wurden Materialflüsse minimiert. Durch Infrastrukturausbau in den Häfen konnten die Nutzung der Verkehrsträger optimiert und der Umschlag auf ein geringstmögliches Maß zurückgeführt werden. Kurze Wege reduzierten Baustellenverkehre. Es wurden Emissionen eingespart. Es wurden Methoden und Techniken aus anderen Industriebereichen intelligent adaptiert. Es gab null Fehler in der Materialversorgung und bislang keinen Montagestillstand. Es wurden Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen geschaffen, die sehr wahrscheinlich langfristig erhalten werden können, da sich nach Projektende andere große Aufträge anschließen. Hier gab es Mut zu ungewöhnlichen Entscheidungen und ein hohes Maß an Zielerreichung. Die Jury votierte mit großer Mehrheit: Das ist vorbildlich. Das ist preiswürdig.“

Der Medienpreis Logistik 2010 der BVL, der für die elektronischen Medien ausgeschrieben war, ging an Sendungen des Norddeutschen und des Westdeutschen Rundfunks. 
Preisträger in der Kategorie „Hörfunk“ sind die Autoren Benjamin Großkopff und Arne Meyer für ihren Beitrag „Vollgas oder Verkehrsinfarkt – bleibt der Aufschwung im Stau stecken“, gesendet am 8. September 2009 auf NDRInfo.
Preisträger in der Kategorie „Fernsehen“ ist Veit Bentlage. Er wird ausgezeichnet für seinen Beitrag „ Hafen in der Krise – Hamburg bedroht von Wirtschaftsflaute“, gesendet am 13. Oktober 2009 im NDR-Fernsehen.
Ein Sonderpreis ging an die Reihe von Kurzreportagen unter dem Titel „Logistik – Der Lauf der Dinge“ der Redakteure Philipp Jahn und Heinz Pohl, gesendet im ARD Morgenmagazin in der Woche vom 16. bis 20. März 2009. Hierbei unterstrich die Jury die mutige Entscheidung der Redaktion, ein komplexes Wirtschaftsthema im Rahmen einer breit angelegten Informationssendung zu präsentieren. 

Mit dem Wissenschaftspreis Logistik zeichnete die BVL in diesem Jahr einen interdisziplinären Ansatz aus. Preisträger ist Dr.-Ing. Arne Schuldt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Center for Computing and Communications Technologies (TZI) an der Universität Bremen. Er wird ausgezeichnet für seine Doktorarbeit unter dem Titel „Multiagent Coordination Enabling Autonomous Logistics“. Betreuer der Arbeit ist Prof. Dr. Otthein Herzog. Schuldt setzte sich in der Endrunde des Wettbewerbs gegen drei weitere Finalisten durch, die im Rahmen des 27. Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin ihre Arbeiten öffentlich vortrugen. Die Arbeit beschäftigt sich mit Selbststeuerungsprozessen in der Logistik. Sie wendet sich damit einem aktuellen und zukunftsorientierten Forschungsthema zu. Im Rahmen der Arbeit entwickelt und implementiert Schuldt ein Konzept zur autonomen Steuerung logistischer Objekte mit Hilfe von Multi-Agent-Systemen. Mit seinem Ansatz gelingt es, logistische Objekte zu intelligenten Objekten zu machen, die selbst Entscheidungen treffen und sich ihren Weg durch das logistische System selbst suchen. Er arbeitet das Thema sowohl in der Theorie aus als auch im Rahmen einer Fallstudie aus. Gegenstand dieses praxisorientierten Teils der Untersuchung sind die Prozesse der Beschaffungslogistik bei Tchibo. „Schuldt legt mit dieser Arbeit die Grundlagen für einen Paradigmenwechsel in der Logistik – den Wandel von einer zentralen Steuerung hin zu einer dezentralen Selbststeuerung“, so der Vorsitzende der Jury, Prof. Michael Schenk, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, Magdeburg.

BVL begrüßt 10.000stes Mitglied
Während der Gala-Veranstaltung am Abend des ersten Kongresstages begrüßte die BVL offiziell ihr 10.000stes Mitglied. Es ist die Supply Chain Managerin Renate Ring von Bosch Siemens Hausgeräte (BSH), die am 8. Oktober 2010 in die Bundesvereinigung eingetreten ist. Damit ist die BVL in den vergangenen zwei Jahren um weitere 1.000 Mitglieder gewachsen. 

Quelle: BVL – Bundesvereinigung Logistik
 

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