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CargoCruise im Winterschlaf?

Über manche Tiertransporte freuen sich sogar die Tierschützer. Die bayerischen „Seekühe“  reisen zum Beispiel mit dem Binnenschiff über den Königsee. Hier hat CargoCruise neben Logistik für lebende Tiere, auch den Charakter von Brauchtum und Tradition.

Für die Passagiere, die auf unseren Seen mit den weißen Schiffen und Kapitänen in schmucker Uniform unterwegs sind, neigt sich die Saison dem Ende zu. Dann wird es wieder „still uman See“. Das heißt, nicht nur die touristische Infrastruktur (einen ganzjährigen Wassertourismus gibt es bei uns ja nicht), sondern auch die nasse Verkehrsinfrastruktur, begibt sich an zahlreichen Seen in den Winterschlaf. Etwa sieben Monate des Jahres liegt eine kostbare Infrastruktur weitgehend brach. Können wir uns das leisten?

Ursprünglich war die Schiffsverbindung zwischen einzelnen Orten und Städten an den Seen eine viel befahrene, oft auch die einzige Transportverbindung. Neben zahlreichen Frachtschiffen, transportierten sogar die Passagierschiffe zusätzlich Fracht und nicht wenige Reeder wurden so zu wohlhabenden Spediteuren. Die Art der transportierten Güter auf den Seen reichte von einfachen Postsendungen über Tier- und Holztransporte bis hin zu allen anderen Waren für Industrie und Handel. Gelegentlich wurde der Seeweg sogar mittels Kanäle erweitert, um die Waren mit dem Schiff möglichst bis in das Stadtzentrum transportieren zu können.

City Logistik: Frachtschifffahrt auf heimischen Seen
Es gab also auch schon sehr früh das, was wir heute „City Logistik“ nennen. Die alten Kanäle gibt es noch, aber City Logistik müssen wir erst wieder erfinden. Auch der Warenumschlag im gebrochenen Güterverkehr, fand schon vor der ersten Eisenbahn unter Einbeziehung von Frachtschifffahrt auf den Seen statt. Um einen ungebrochenen Verkehr zu fördern, wurden auch bald ganze Züge mittels Binnenschiff (Trajekt) über den See transportiert. Natürlich benötigte man für das „Zügli-Schiff“ auch Umschlagshäfen. Deshalb gab es, anders als heute, eine Betriebsansiedlungspolitik, die sich an die vorhandene Verkehrsinfrastruktur nah am Wasser orientierte. Trimodalität war alltäglich und bedeutete eben Pferdewagen, Bahn und Binnenschiff. Heute ist Trimodalität nur noch für Fördernehmer interessant.

Transportleistung wird von der Statistik verfälscht
Wer aber glaubt, dass die Frachtschifffahrt auf unseren Seen nur historische Geschichten aus längst vergangener Zeit sind, der irrt. Abseits der öffentlichen Wahrnehmung findet nämlich Frachtschifffahrt mit modernster Technik auf den Seen auch heute noch statt und ohne diese könnten die anstehenden Transportaufgaben oft gar nicht bewältigt werden. Man denke nur an die zahlreichen Fähren für Seeüberquerungen, die einen LKW-Verkehr oft erst möglich und wirtschaftlich sinnvoll machen. Belastbare Zahlen dazu gibt es allerdings wenige, weil die sonst so regulierungsfreudige Bürokratie diesen Wirtschaftsbereich schlicht ignoriert. Öffentliche Statistiken sollen zwar wissenschaftlich, unabhängig, effizient und in guter Qualität allen Nutzern zur Verfügung stehen. Dennoch nimmt die Statistik keine Notiz von der Transportleistung im Bereich der Binnenschifffahrt auf Seen. Ein Grund dafür ist, dass Binnenschiffe unter 50 Tonnen Tragfähigkeit von der Berichtspflicht ausgenommen sind und der Fährverkehr ist generell ausgenommen. Zu Unrecht, wie einige Beispiele belegen.

Partner für die Industrie
Für die Eidgenossen – wen wundert es – waren ihre Seen schon immer mehr als nur Badewannen, sondern auch Verkehrsinfrastruktur wie Straße oder Schiene. Deshalb hat die Frachtschifffahrt auf den Schweizer Seen eine lange Tradition und ist auch heute noch verlässlicher Partner für die Industrie. Besonders die Bauindustrie profitiert vom unerschöpflichen Rohstoff, der aus den Seen gewonnen wird und mittels Frachtschiffen zur Weiterverarbeitung zu den Rohstofflagern am See transportiert wird. Besonders dort, wo Flüsse ihre Schotterfracht im See ablagern, sind die Ressourcen groß und eine Entnahme von Rohmaterialien auch aus ökologischen und geologischen Gründen sinnvoll.

Die „Seegusler“ auf den Schweizer Seen transportieren mehr Ladung, als ein Donaukapitän
Die Sand + Kies AG Luzern, ein Unternehmen der Jura-Holding mit Werkanlagen am Vierwaldstättersee, versorgen die gesamte Bauwirtschaft in der Region Luzern mit hochwertigen Kies- und Steinbruchprodukten. Die natürlichen Rohmaterialien werden dabei umweltfreundlich von den WABAG Kies AG – „Seeguslern“ (Kapitäne der Binnenfrachter) mit ihren Lastschiffen zugeführt. Der spezifische Dieselverbrauch pro Tonne liegt dabei um ein Mehrfaches unter demjenigen des Straßentransportes.

Wenn man in Vorarlberg von der Kiesversorgung des Landes spricht, kommt man um die Zech Kies Gruppe nicht herum. Das Unternehmen nützt die natürlichen Rohstoffe aus dem Bodensee, die der Rhein dort ständig anschwemmt. Das fast 60 Jahre alte Unternehmen fördert etwa 1 Mio. Tonnen Kies im Jahr. Das ist deutlich mehr, als der gesamte Inlandstransport in Österreich auf der Wasserstraße Donau.

Braunkohle ade: Neue Seenlandschaft mit Binnenschiffen als Logistikversorger
Um noch viel größere Schiffstransportmengen auf Binnenseen geht es, wenn man einen Blick nach Deutschland macht. Was dort zum Beispiel unter dem Stichwort „Bergbausanierung“ abläuft, ist gigantisch. Mit der politischen Wende ging in Deutschland eine mehr als 100-jährige Geschichte um die Braunkohlegewinnung zu Ende. Zurückgeblieben sind hunderte Tagbaulöcher, die riesige Gebiete förmlich in eine Kraterlandschaft verwandelt haben. Diese Landschaft gilt es seit der Wende so zu sanieren, dass wieder eine nutzbare Landschaft entsteht. Das geschieht in der Form, dass die Gruben geflutet und zu Seenlandschaften umgewandelt werden, die wiederum einer vielfältigen touristischen Nutzung zugeführt werden kann.

Allein im Lausitzer Braunkohlerevier wird zum Beispiel bis 2018 Europas größte künstliche Seenlandschaft mit unzähligen Seen und Verbindungskanälen entstehen. Darunter wird auch ein See in der Größe des Wörthersees sein. Um diese neuen Seen zu stabilisieren und nutzbar zu machen, sind enorme Erdbewegungen notwendig, die nicht nur an Land, sondern auch am Wasser mit Binnenschiffen durchgeführt werden müssen. Viele alte Landschaftswunden sind so bereits verheilt, aber bis zum Abschluss aller Arbeiten werden noch Jahrzehnte Binnenschiffe auf den neuen Seen die Logistik erledigen. Aber auch danach werden dauerhaft Erhaltungsarbeiten notwendig sein, um endlose Uferlandschaften stabil zu halten. Organisiert wird das federführend von einer großen Gesellschaft, die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV), die seit 1994 im Auftrag des Bundes und der Länder jährlich ein Finanzvolumen von rund 1,23 Milliarden Euro verwaltet. Die LMBV ist damit nicht nur einer der größten Grundstücksverwalter, sondern auch eines der größten Binnenschiffsunternehmer in Deutschland, das Frachtschifffahrt auf neu geschaffenen Seen betreibt.

CargoCruise auf Stauseen
Spricht man von Transportleistungen auf den Binnenseen, darf man die Stauseen nicht übersehen. Hier ist es vor allem die Sedimentbewirtschaftung, die dauerhaft Abbaggerungen notwendig macht und wo das gewonnene Material mittels Binnenschiff zur vielfältigen Nutzung abtransportiert wird. In Österreich ist die E-Wirtschaft, mit dem Verbund als Betreiber vieler Wasserkraftwerke, auch Reeder und somit verantwortlich für den CargoCruise auf seinen Stauseen.

Abgesehen von zahlreichen Ländern, die noch ihre Holzeinschläge über Binnenseen transportieren, gibt es auch eine exklusive Nische in der Holzlogistik, für die die Binnenschifffahrt verlässlicher Logistikpartner ist: Die Gewinnung von Stauseeholz. Für besondere Verwendungen äußerst beliebt, wird das Stauseeholz weltweit gehandelt und das Vorkommen insgesamt auf 500 Mio. Kubikmeter geschätzt.

Eine bedeutende Rolle spielt die Frachtschifffahrt auf den Binnenseen auch dort, wo es darum geht, Inseln oder schwer zugängliche Orte am See zu versorgen. Zum Beispiel das Sankt Bartholomä Wirtshaus am Königssee, wo täglich 1.000 durstige Gäste zu versorgen sind. Die dort verwendete Bierfähre kann 50 Fässer Bier laden. In Österreich obliegt der Binnenschifffahrt die alleinige Aufgabe, ein 70-Betten Inselhotel am Faakersee zu versorgen. Und für die Insulaner am Chiemsee erledigen ebenfalls Frachtfähren die tägliche Ver- und Entsorgungslogistik. In Abhängigkeit vom Tourismusaufkommen, muss die 30-Tonnen Fähre bis zu fünfzehnmal vom Festland zur Fraueninsel pendeln. Noch mehr transportiert die Fähre zur Herreninsel. Die kann auf einer Fahrt zwei LKW Ladungen tragen.

Von der Seife bis zum Baumaterial, Frachtfähren versorgen die Inselwirtschaft
Während auf den europäischen Seen im Verhältnis eher kleine Binnenschiffe verkehren, sind die Lake freighter auf den Großen Seen in Nordamerika bis zu 300 Meter lang. Klein sind aber auch die europäischen Binnenschiffe auf den Seen nicht wirklich. Auf den Schweizer Seen transportiert ein Frachtschiff immerhin gut 1.000 Tonnen Ladung und ersetzt damit etwa 30 LKW. Weil der Einsatz auf den Seen oft spezielle Schiffstypen erfordert, haben sich im Lauf der Zeit zahlreiche Spezialschiffe entwickelt.

In Österreich gibt es schon seit geraumer Zeit den umtriebigen Schiffbauer Dr. Mai für solche Sonderprojekte. Backenzahn oder Katamaran, für den praktizierenden Zahnarzt aus Wien macht das keinen Unterschied. Er kann beides bauen, weil für beides höchste Präzision notwendig ist. Der Perfektionist hat schon viele Schiffsprojekte konstruiert und gebaut. Für den Passagierbereich und auch Cargoschiffe. Sein Projektschiff mit Wechselbehältern, könnte auch sehr gut auf Binnenseen eingesetzt werden – falls sich innovative Betreiber finden. Zum Beispiel dann, wenn wieder Logistik Experten gefragt sind, wie kürzlich am Altausseer See, um eine Filmcrew beim Dreh für den aktuellen James Bond Film zu unterstützen.

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