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Disruption birgt neue Chancen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert das Geschäftsmodell „Handel“ nachhaltig. Takt und Tempo des Wandels geben weniger branchenfremde Spieler als vielmehr die Konsumenten vor. Auf dem Deutschen Handelskongress 2015 rückten die Teilnehmer die Möglichkeiten der neuen Einkaufswelt in den Mittelpunkt – und forderten von der Politik mehr Gestaltungsspielräume und neue Wachstumsimpulse ein.

Autor: Bijan Peymani

Technische Entwicklung und veränderte Kundenerwartungen erhöhen den Druck auf den Einzelhandel, sich zu digitalisieren. Innovations- und Investitionsbereitschaft müssen aber von fairen Wettbewerbsbedingungen begleitet sein. Nur dann verheißt die neu ordnende Kraft der Digitalisierung im stationären Geschäft zusätzliche Kunden und Angebote. Diese Analyse zogen Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft vor rund 1.400 Teilnehmern auf dem Deutschen Handelskongress 2015 im Maritim Hotel Berlin.

Mit Blick auf das Kongressmotto „Handel 4.0 – Vom Kunden inspiriert“ sagte der Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Josef Sanktjohanser, der Konsument wolle sich beim Einkauf nahtlos zwischen Online- und Offline-Welt bewegen. „Damit bestimmt er das Beziehungsgeflecht zwischen Erzeugern, Lieferanten und Partnern.“ Umso wichtiger seien für den Handel „unternehmerische Freiräume und politische Rahmenbedingungen, die einen fairen Wettbewerb zwischen den einzelnen Vertriebskanälen ermöglichen“.

Weil die Digitalisierung auch die Internationalisierung des Handels vorantreibe, kündigte Günther Oettinger als EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Kongress die Harmonisierung des EU-Datenschutzrechts an. Aus digitaler Sicht sei die Europäische Union „in 28 Einzelmärkte fragmentiert“. Um aber im globalen Wettbewerb zu bestehen, brauche es den digitalen Binnenmarkt. In diesem Kontext verwies die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung.

Sie soll die Verarbeitung personenbezogener Daten EU-weit vereinheitlichen. Merkel: „Die Digitalisierung kann sich nicht an nationalen Grenzen orientieren, wir müssen dafür den europäischen Rahmen nutzen – ein Rahmen, der aber auch die Freiheit zur Entwicklung neuer, digital gestützter Geschäftsfelder ermöglicht.“ Beispiele hierfür boten sich auf der kongressbegleitenden Messe „Retail World“. Alexander Birken, bei der Hamburger Otto Group Konzernvorstand Multichannel, mahnte, eine gute Website allein reiche nicht mehr.

„Der Kunde ist unumstrittener König, das Zepter der Moderne sind Smartphones und Tablets“, illustrierte Birken als einer von über 100 Referenten aus dem In- und Ausland. Laut Birken müssen Unternehmen heute mit ihren Systemen intelligent und echtzeitfähig aufgestellt sein. Das zwinge den Handel zum Kulturwandel. Gleichzeitig warnte Kenneth Bengtsson, Präsident des Dachverbands EuroCommerce, die Kongressteilnehmer davor, ihren Kunden und damit jedem Hype „blind hinterherzulaufen“. „Wenn er es richtig anstellt, wird der stationäre Handel zum Drehkreuz des Einkaufens der Zukunft werden“, ermunterte Jerry Storch, CEO der Hudson’s Bay Company. Hilfestellung gab das auf dem Deutschen Handelskongress erstmals veranstaltete HDE-Digitalforum durch Vermittlung von Hintergründen und fundiertem Spezialwissen. Neben Insights zum Kaufverhalten der Konsumenten und ihren Erwartungen an den Handel ging es dabei auch um die Ausgestaltung künftiger Online-Services wie „Instant Payment“.

„Die Zukunft der Online-Welt liegt in der Offline-Welt“, resümierte Cyriac Roeding, Co-Gründer und CEO des Bonusprogramms Shopkick. Und für die Händler reichten etwa Preisnähe oder Convenience als Kategorien zur Differenzierung nicht mehr aus, ergänzte Jens Lönneker, Geschäftsführer des Instituts rheingold salon in Köln, „sie müssen sich in Zukunft viel stärker über Sinnhaftigkeit und Sinnstiftung ihres Tuns definieren“. (BP)

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