Kunst und Scheitern des Supply Chain Managements

Stellen Sie sich vor Sie sind Lagerfertiger, Ihre Marktnachfrage schwankt beträchtlich und Sie haben schon alles getan, um die Marktbedarfe besser vorherzusagen. Es gibt drei prinzipielle Möglichkeiten, wie Sie damit umgehen können. Die erste baut hohe Fertigwarenbestände auf und schottet so die Produktion von den Marktschwankungen ab. Auf Kosten hoher Bestände kann die Produktion mit gleichmäßiger Auslastung arbeiten und Ihre Flexibilitätskosten damit gering halten. Der zweite Ansatz verzichtet auf Fertigwarenbestände und lässt damit die Bedarfsschwankungen voll in die Produktion hineinlaufen. Dies spart Bestände, erhöht aber die Flexibilitätskosten der Produktion deutlich. Die Dritte ist die realistische Handlungsvariante: Sie stimmen die Bestände und Flexibilitätskosten so gegeneinander ab, dass die Gesamtkosten möglichst minimal sind.

Götz-Andreas_KemmnerSelbst wenn Sie kundenspezifische Produkte auf Auftrag fertigen, befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation. Bis zu irgendeiner Stelle in Ihrer Wertschöpfungskette können und müssen Sie sogar kundenanonym vorfertigen, damit Sie den Markt rechtzeitig bedienen können. An diesem sogenannten „Logistischen Entkopplungspunkt“ betreiben Sie dasselbe Spiel wie der Lagerfertiger mit seinem Fertigwarenlager.

Damit unsere internen Wertschöpfungsketten überhaupt arbeiten können, sind wir auf die Versorgung durch unsere Zulieferer angewiesen. An der Schnittstelle zwischen Produktion und Zulieferern müssen wir wiederum einen wirtschaftlichen Abgleich zwischen den Flexibilitätskosten des Zulieferers und seinen bzw. unseren Lagerhaltungskosten vornehmen. Werfen wir den Zulieferern die Bedarfsschwankungen der Produktion einfach vor die Füße, müssen die Zulieferer diese entweder in ihrer Produktion auffangen, was Flexibilitätskosten verursacht oder die Zulieferer müssen sich durch Bestände abkoppeln, was Lagerhaltungskosten bedingt. Verfügen Ihre Zulieferer über ein funktionierendes Controlling, zahlen Sie als Kunde beides in Form des Einkaufspreises. In der Regel tragen also alle Partner die Kosten einer Supply Chain gemeinsam.

Je geringer die räumliche Entfernung zwischen Zulieferer und Kunde und je höher die Kosten des beschafften Artikels, desto weniger macht es Sinn, zwei getrennte Bestände in Form von Fertigwarenbeständen beim Zulieferer und Wareneingangsbeständen beim Kunden zu halten. Auch hier müssen Sie wiederum abwägen: zwischen den Gesamtbestandskosten beider Parteien und in diesem Falle den Flexibilitätskosten der Beschaffung, vor allem in Form von Transportkosten.

Die Kunst das Supply Chain Managements besteht darin, die Summe der Flexibilitätskosten und der Bestandskosten im Wertschöpfungsnetz von den Zulieferern über die eigene Produktion zu den Märkten und Kunden möglichst gering zu halten. Dies ist keine einfache Aufgabe, aber wir verfügen heute über Möglichkeiten, zum Beispiel durch entsprechende Simulationen, uns diesem Kostenminimum zu nähern. Diese technischen Möglichkeiten haben die meisten Unternehmen für sich noch gar nicht erkannt. Der organisatorische Zuschnitt der Aufgabe Supply Chain Management ist dementsprechend viel zu eng und die aufbauorganisatorische Einbindung oft zu niedrig.

Technische und organisatorische Möglichkeiten vorausgesetzt, muss das Supply Chain Management bereit und in der Lage sein, allen ‚Fürstenhöfen‘ im Unternehmen auf die Füße zu treten. Es kommt eben nicht isoliert auf möglichst geringe Einkaufspreise, möglichst hohe Kapazitätsauslastung, möglichst hohe Lieferbereitschaft oder möglichst geringe Bestände an.

In den meisten Unternehmen denkt man jedoch in Funktionszielen und gibt diese den einzelnen Bereichsleitern vor. Und selbst dort, wo solche Vorgaben nicht gemacht werden, stellen die einzelnen Bereichsleiter entsprechende Zielerwartungen unausgesprochen an sich selbst.

Und so scheitert ein echtes Supply Chain Management häufig am mangelnden ganzheitlichen Verständnis für diese strategische Aufgabe, an der ungeeigneten Operationalisierung der Unternehmensziele durch die Geschäftsführung und am falschen Zielverständnis der einzelnen Unternehmensbereiche selbst.

Quelle: Prof. Dr. Götz-Andreas Kemmner / SAMS Network Sales And Management Services

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