Nachruf: Albert Oberhofer

90 Jahre Albert Oberhofer: weise und kein bisschen leise

Andere sitzen mit 90 Jahren nur noch gemütlich auf der Couch, trinken Tee und sehen den Urenkerln beim Spielen zu. Er hingegen sucht sich ein neues Forschungsfeld, fährt mit dem Rad und denkt gar nicht ans Leisetreten.

Prof. Oberhofer
Univ.-Prof. Albert Oberhofer

Als em. o. Univ.-Prof. Dr. h.c. Dipl.-Ing. Dr.-Ing. Albert F. Oberhofer am 5. August 1925 in Veitsch das Licht der steirischen Welt erblickte, hätte wohl keiner erwartet, dass er eines Tages so viele akademische Titel tragen würde. Mit dem Besuch des Gymnasiums in Traiskirchen, einer „Nationalpolitischen Lehranstalt (Napola)“ mit Internat und Uniformen, hätte er ja schon den Grundstein gelegt. „Aber aus der Schule bin ich rausgeflogen“, lacht Oberhofer, „da habe ich einfach nicht hinein gepasst.“ Die Höhere technische Bundeslehr- und Versuchsanstalt (Bulme) Graz musste er 1943 abbrechen, um als Soldat zu dienen – glücklicherweise konnte er die Maturaklasse jedoch 1945/46 nachholen.

Dass er sich schließlich für die montanistische Hochschule Leoben als Studienort entschied, hatte rein praktische Gründe: „Das war der einzige Ort, den ich mit dem Fahrrad erreichen konnte“, erinnert er sich zurück. Immerhin 50 Kilometer pro Strecke, also entschied er sich gemeinsam mit anderen Studenten, eine Baracke als Unterkunft zu wählen. „Dann kam der Winter, und uns war kalt. Also haben wir ein Ende der Baracke abgebaut, um auf der anderen Seite zu heizen. Zum Glück kam der Frühling früher als das Ende der Baracke“, schmunzelt er. 1950 schloss er in der Fachrichtung Hüttenwesen mit dem Titel Diplomingenieur ab und beschloss, ins Ruhrgebiet zu gehen. Oberhofer: „Es herrschte eine unglaubliche Aufbruchsstimmung nach dem Krieg, der Wiederaufbau war in vollem Gange.“ An der RWTH Aachen promovierte er schon 1956, nebenbei begann er, im Stahlwerk der Hanschen Werke AG als Direktionsassistent, später als Betriebsleiter zu arbeiten. Anschließend war Oberhofer 6 Jahre lang als Ressortchef Betriebswirtschaft bei der Bochumer Verein für Gussfabrikation AG tätig, ehe es ihn zurück nach Leoben zog. Von 1963 bis 1995 war er o. Univ.-Prof. an der Montanuniversität Leoben – an der er von 1974 bis 1979 auch Rektor war – und drückte ihr und seinen Studenten nachhaltig seinen Stempel auf. Übrigens erhielt er auch das Ehrendoktorat der Technischen Universität Miskolc verliehen.

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Albert Oberhofer mit Gattin & Freunde (li/re)

Von Anfang an Mit der zunehmenden Industrialisierung stieg die Komplexität bei Herstellungsprozessen und Informationen, wodurch Unternehmen schwieriger lenk- und überschaubar wurden. „Es wurde versucht, Arbeitsplätze und Produktionsfaktoren wie beispielsweise Maschinen betriebswirtschaftlich zu kontrollieren“, erinnert sich Oberhofer. „Die Verfolgung der Produkte über ihren Lebenszyklus hin bis zur Entsorgung war in den 30er- und 40er-Jahren noch sehr schwierig, Informations- und Kommunikationssysteme noch wenig entwickelt. Alles funktionierte mittels Lochkartensystem, war starr und aufwendig. Anfang der 60er-Jahre arbeiteten auch die ersten Computer noch mit Lochkarten. Im REFA (Deutscher Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung, Anm.) haben wir versucht, Arbeitsstücke bis zur Entsorgung zu verfolgen.“ Er kann sich auch noch gut erinnern, wie das Wort „Logistik“ aufkam. „Ich war damals sehr skeptisch. Die Verfolgung von Stücken hatten wir ja schon versucht, und es hatte sich als sehr schwierig herausgestellt. Die Definition ‚zur rechten Zeit am rechten Ort in der richtigen Menge‘ war für mich ein Werbeslogan. Doch dann habe ich mich in das Thema eingearbeitet und ab den 80er-Jahren intensiv damit auseinandergesetzt.“

Durch die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik wurden Informationen besser maschinell les- und verarbeitbar: „Das war ein wichtiger Startschuss für die praktische Nutzung. Für mich ist Logistik die Organisation des Fließens von Gütern, Diensten und Informationen von deren Entstehung über die gesamte Nutzungsdauer bis hin zur Entsorgung auf Basis des wirtschaftlichen Prinzips.“ Heute ist Industrie 4.0 das Schlagwort Nr. 1. Dazu meint er: „Man sollte in der Unternehmensführung Industrie 4.0 als das sehen, was sie ist: ein wichtiges Instrumentarium zur Führung. Aber die Führung selbst und die Menschen mit Ausbildung und Charisma zu versorgen, bleibt weiterhin die Aufgabe der Führungsperson. Die wichtigste Aufgabe ist nämlich die Bildung! Europa hat wenig Roh-stoffe und wenig Energie, aber wir haben Wissen und Charisma, das sind unsere Stärken, daran müssen wir arbeiten und das müssen wir an Schulen den Menschen vermitteln.“

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Gerald Hofer & Albert Oberhofer
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Lieber Albert, wir danken dir!

Wer rastet, der rostet
Dass er 1995 als Professor emeritierte, hat Oberhofers Tatendrang in keiner Weise eingeschränkt. Abgesehen davon, dass er bereits seit 2003 Präsident des Logistik Clubs Leoben und damit an der Gestaltung des Leobener Logistiksommers beteiligt ist, gibt es auch immer wieder neue Themen, die ihn reizen. „Derzeit beschäftige ich mich mit Elektro-Logistik und der Logistik mineralischer Stoffe“, berichtet er. „Bis vor wenigen Jahrzehnten funktionierte Elektrologistik rein nach dem Pull-Prinzip, wenige große Kraftwerke versorgten viele Verbraucher. Aber durch die Nutzung von Sonne und Wind ist daraus ein Push-Pull-System geworden, denn Sonnenenergie gibt es nur, wenn die Sonne scheint. Nun ist die Logistik gefragt: wann muss die Energie ins Netz, wann in einen Speicher und wann zu einem Verbraucher – das ist ein wichtiger Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkt.“ Sein zweiter Schwerpunkt liegt auf mineralischen Stoffen. „Wir importieren Erze und exportieren sie zu Waren verarbeitet wieder, z. B. eingebaut in Autos. Wir brauchen eine Stoffbilanz! Statt zu entsorgen, müssen solche Stoffe wieder gewonnen werden.“ Daher wird es auch demnächst diesbezüglich Symposien des Logistik Clubs geben. Und danach findet er hoffentlich auch wieder Zeit für seine 4 Kinder, 10 Enkel und 8 Urenkel, die ihn neben dem Radfahren, Schifahren und seinem Oldtimer-Jaguar offensichtlich wunderbar jung halten.

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Helmut Zsifkovits

Was sagen andere?
Wir wollten auch wissen, was jahrelange Wegbegleiter über Herrn Oberhofer zu sagen haben, und fragten daher Univ.-Prof. Mag. Dr. Helmut Zsifkovits, Vorstand des Lehrstuhls für Industrielogistik an der Montanuniversität: „Ich kenne ihn seit 1983, als ich ihn beim ersten Logistikkongress erlebt habe. Er ist eine sehr korrekte, geradlinige, praktisch orientierte Person mit Handschlagqualität, auf ihn kann man sich zu 100 % verlassen. In früheren Jahren war er eher streng, aber mit der Zeit ist er gelassener geworden. Dank ihm gibt es einige Generationen guter Logistiker“, streut er ihm Rosen. Auch dass er beim Training für ein Schirennen bemerkte, dass die Hüfte nicht so will, wie er es sich vorstellte, daraufhin eine neue Hüfte bekam und wieder Schi fährt, verrät uns Zsifkovits schmunzelnd. Albert Oberhofer ist ein leuchtendes Vorbild an Energie, Disziplin und Agilität mit dem höchsten Qualitätsanspruch an sich selbst.“ Gibt es auch eine Anekdote? Nach kurzem Grübeln muss Zsifkovits lachen: „Wir haben einmal in Magdeburg mit Kollegen eine Ausstellung besucht. An der Kassa meinte er: ‚Bitte ein Familienticket: das sind meine Kinder und meine Enkel.‘ Die Dame an der Kassa hat geschmunzelt und ihm das Ticket gegeben. Geschäftstüchtig war er schon immer.“

H.Pechek
Heinz Pechek

Auch Dkfm. Heinz Pechek kennt Oberhofer gut: „Ich habe damals mit ihm gemeinsam den ersten Logistikpreis verliehen“, erinnert er sich zurück. „Er ist ein Vorkämpfer konsequenten logistischen Denkens und sensationell bodenständig, ist problemorientiert und ein Visionär für neue Entwicklungen in Materialflusskunde. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt, dann will er es auch erreichen.“ Er ist eben ein echtes Original! Logistik express gratuliert von Herzen und hofft, dass uns Albert Oberhofer noch lange erhalten bleibt.

Das Interview führte Angelika Gabor

 

Tief betroffen gibt die Montanuniversität Leoben die Nachricht, dass Emo.o.Univ.-Prof.Dipl.-Ing. Dr.-Ing. Dr.h.c. Albert F. Oberhofer, Professor für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Rektor der Montanuniversität von 1974 bis 1979 und von 1991 bis 1995 am Sonntag, den 31. Juli 2016, verstorben ist.
Das besondere Mitgefühl gilt seiner Familie. Die Montanuniversität Leoben wird ihn stets in ehrendem Gedenken in Erinnerung behalten. Die LOGISTIK express Redaktion durfte Univ.-Prof. Albert Oberhofer als lebensfrohen, weltoffenen Menschen kennen lernen. Das heilige Requiem findet am Montag, den 8. August 2016, um 10 Uhr in der Stadtpfarrkirche St. Xaver statt.

Markus Jaklitsch

 

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