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Warum genau jetzt TTIP-Dokumente durchsickern

Eine auf den ersten Blick überraschende, auf den zweiten Blick aber bestechende Einschätzung zu den jüngst bekannt gewordenen TTIP-Papieren hat nun ein EU-Rechtsexperte an der renommierten Pariser Hochschule HEC abgegeben.

Dieser, Alberto Alemanno, meint: „Diese Dokumente stärken die Verhandlungsposition der EU. Denn sie zeigen nirgendwo, dass die EU bereit wäre, Forderungen der USA nachzugeben“, so Alemanno gegenüber der Webseite „Politico“. Der Erfolg eines „Leaks“ sei daran zu messen, inwieweit es den Gang der Dinge beeinflusse. Das werde aber kaum der Fall sein, weil die Unterlagen die von den TTIP-Gegnern vorgebrachten Ängste eben genau nicht belegen.

Die nun bekannt gewordenen Dokumente enthalten auch kaum Neues. Wo die Knackpunkte in den Verhandlungen zwischen der EU und den USA liegen, ist weithin bekannt und wird durch die aufgetauchten Dokumente bloß bestätigt. In den Papieren geht es um Verhandlungspositionen, aber nicht das Ergebnis. Bekanntlich zeichnen sich Verhandlungen dadurch aus, dass jede der involvierten Parteien ihre Standpunkte durchsetzen will, was neuerdings offenbar schon als Skandal zu werten ist. Dabei wird wie beim Pokern geblufft, wie das Spiel ausgeht, kann erst am Ende beurteilt werden.

Für die „Stopp TTIP“-Lobby erfüllt das „Leak“ dennoch seinen Zweck. Denn die EU hat in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die den Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen. So wurde eine neue Regelung für die umstrittenen internationalen Schiedsgerichte vorgelegt. Zudem garantiert Brüssel, dass die EU kein Abkommen schließen werde, das den Konsumenten schade, geschweige denn Umwelt- oder Lebensmittelstandards senke, Gentechnik eingeschlossen. Derartige Zugeständnisse sind aus Sicht der TTIP-Gegner kontraproduktiv, weil sie die Ablehnung des Abkommens erschweren.

Hinzu kommt, dass auf Betreiben von US-Präsident Barack Obama derzeit intensiv verhandelt wird, um noch vor dem Ende seiner Amtszeit ein Ergebnis vorlegen zu können. Dieser Wunsch der USA dürfte auch dazu führen, dass Washington seine jetzt noch harten Positionen deutlich ändern wird.

Es steigt also die „Gefahr“, dass ein Verhandlungsergebnis zustande kommt, an dem Gegner von TTIP (zu) wenig kritisieren können. Und genau deswegen fordern Institutionen wie Greenpeace nun den Abbruch der Verhandlungen – damit es ja zu keiner Abstimmung im EU- und in den nationalen Parlamenten kommt, in der TTIP durchgehen könnte.

Nun liegt es in der Natur der Sache, dass erklärte Gegner des Freihandels jedes Freihandelsabkommen nach Kräften zu verhindern versuchen. Dass Regierungsmitglieder, die der EU-Kommission das Mandat zur Führung der Verhandlungen erteilt haben, den Verhandlungsführern nicht nur die Unterstützung versagen, sondern sie bei jeder Gelegenheit desavouieren, ist hingegen eine höchst ungewöhnliche Vorgangsweise.

Geschuldet ist die Ablehnung einem ausgeprägten Sensorium für die vorherrschende Stimmung in der Öffentlichkeit. Diese ist zweifellos der Erfolg einer höchst effizient arbeitenden Anti-TTIP-Lobby, der die österreichische Bundesregierung offenbar nichts entgegenzusetzen gewillt ist. Dabei hätte die Regierung einer offenen Volkswirtschaft allen Grund, für einen erfolgreichen Abschluss des Abkommens zu werben. Schließlich erwirtschaftet Österreich den Großteil seines Wohlstands jenseits der Landesgrenzen.

Das heißt nicht, dass jedes Freihandelsabkommen automatisch gut ist. Vielmehr, dass eine Regierung verpflichtet wäre, einer mit Unwahrheiten gespickten Kampagne seitens der TTIP-Gegner sachlich Gegenwehr zu leisten, statt den Anti-Freihandels-Lobbyisten nach dem Mund zu reden. Und darauf zu pochen, dass erst dann über einen Vertrag entschieden wird, wenn klar ist, was darin steht. Was offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

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