Wien als Vorbild für smarte City-Logistik

Eine Arbeitsgruppe tüftelt an einem City-Logistik-Konzept für Wien. Bis 2020 soll mehr Wertschöpfung und mehr „grüner“ Transport in das Stadtzentrum erreicht werden.

Der Spartenobmann für Transport und Verkehr in der Wirtschaftskammer Wien, Davor Sertic hat sich für die kommenden Jahre viel vorgenommen. Bis 2020 hat er diese Funktion inne und bis dahin will er gemeinsam mit den beim Thema Logistik involvierten Stakeholdern viel erreichen. Sein ambitioniertes Ziel: Wien soll ein Vorbild werden in Sachen smarte City-Logistik. Die großen Kernpunkte bei diesem Projekt: Mehr Wertschöpfung für die Wiener Logistikwirtschaft und mehr umweltfreundliche Transporte auf der letzten Meile in die Stadt.

Das beginnt damit, dass künftig Laster mit 40 Tonnen Ladegewicht nicht mehr mit ausländischen Autokennzeichen in die Wiener Stadt fahren sollen, sie sollen die aus der Ferne einlangende Waren für die Wiener Geschäfte und Betriebe in Logistik-Zentren am Stadtrand umschlagen, der Transport in die Innenstadt soll mit umweltfreundlichen Elektro-Fahrzeugen, Transportlastenrädern oder anderen intelligenten, umweltschonenden Transportmitteln erfolgen. „Wir wollen nicht, dass ein ungarischer 40-t-Lkw in die Stadt fährt“, betont Sertic. Erfolgt der Umschlag am Stadtrand ergibt sich daraus Wertschöpfung in Niederösterreich und Wien. Als Beispiel nennt der Kammerfunktionär Paris, wo schwere Lkw nicht mehr in das Stadtzentrum fahren dürfen. Lokale Wertschöpfung zu generieren ist einer der möglichen Ansätze für eine smarte City-Logistik.

Zukunft Stadt
Sertic – der selbst erfolgreich das Wiener Speditionsunternehmen Unitcargo führt und für sein Engagement in Sachen Diversity schon mehrmals ausgezeichnet wurde ­– fordert beispielsweise seit längerem eine eigene „Wirtschaftsspur“ auf den Wiener Einfallstraßen. Auf diesen Fahrspuren sollten Fahrzeuge des gewerblichen Güterverkehrs in bestimmten Zeitfenstern Vorrang haben. Damit wäre der städtischen Logistikbranche sehr gedient, ist er überzeugt. In Stockholm gibt es solche schon, sie helfen die City-Logistik kostenseitig zu optimieren, wovon nicht zuletzt auch die Bürger profitieren, weil Transporte dank cleverer Bündelung der Warenströme weniger werden. Nicht weniger brennt den Logistikern in Wien das Thema ruhender Verkehr unter den Nägeln. Hier fordert die Wirtschaftskammer Wien seit Jahren vehement mehr Park- statt Halteverbote, um die Zustellung der Güter in die Geschäfte zu verbessern.

Heute beginnen was morgen wirken soll
Die Basis für die Wiener City-Logistik für die nächsten zehn Jahre wird gerade in diesen Monaten geschaffen. Im Februar 2017 startete eine mit Vertretern der Stadt Wien, dem Land Niederösterreich und den Wirtschaftskammern Wien und Niederösterreich beschickte Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung von Lösungsansätzen für eine umweltfreundliche aber auch wirtschaftsfreundliche City-Logistik für Wien. „Ich will keine großen Visionen entwerfen, sondern etwas konkret in einem absehbaren Zeithorizont bewegen“, stellt Sertic fest. Auch wenn es zwischen der Wiener Transportbranche und der Wiener Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin, Maria Vassilakou, Meinungsverschiedenheiten gibt, so ortet Sertic mit ihr dennoch einiges an gemeinsamer Schnittmenge. „Unsere Positionen mit ihren decken sich zu 80 Prozent“, beim Rest gibt es Differenzen. Wie beispielsweise beim Lobau-Tunnel, den Vassilakou und ihre Partei nicht wollen, die Wiener Logistikbranche aber doch sehr. Denn eines ist von vornherein einsichtig: Nur gemeinsam lassen sich Win-Win-Lösungen finden, die den Bürgern einerseits und der Logistikbranche anderseits entgegenkommen. Dass bei der Steuerung des Güterverkehrs in Wien auch Niederösterreich mitreden soll hat einen guten Grund, „wir müssen über die Stadtgrenzen hinausschauen und probate Lösungen finden“.

Eine smarte City-Logistik entsteht im koordinierten Miteinander von Infrastruktur, praktischen Handling-Möglichkeiten und entsprechenden umweltschonenden Fahrzeugen. Sertic nennt das Beispiel Stockholm, wo es einen Stadtentwicklungsplan gibt, der für einen Zeithorizont von 30 Jahren ausgelegt ist und vor politischen Einflussnahmen geschützt ist. Das sei sinnvoll, weil damit am besten eine langfristige Entwicklung möglich ist. In Wien gehen die Uhren freilich noch anders als in Stockholm was das langfristige, politisch unabhängige Agieren betrifft.

Ab auf’s Rad
Südlich von Wien haben die Österreichischen Bundesbahnen ÖBB Ende 2016 ihren neuen Terminal Wien Süd eröffnet, der für Sertic ein Hub ist, der für die Wiener City-Logistik künftig als leistungsfähige Drehscheibe fungieren könnte. Neue Logistikflächen im Wiener Stadtgebiet schaffen könnte man nach den Worten von Sertic mit mobilen Güterumschlagplätzen an neuralgischen Standorten. An definierten Plätzen könnte man zeitlich begrenzt Container aufstellen und von hier aus die Güter zu den Geschäften transportieren. Dafür würden sich beispielsweise Transportfahrräder oder kleine Elektro-Lkw anbieten. Laut einer aktuellen Studie des deutschen Zentrums für Raum- und Luftfahrt könnten in Städten 23 Prozent aller Lkw-Fahrten pro Tag durch Transportfahrräder substituiert werden, dadurch würden Energieverbrauch und CO2-Emissionen signifikant sinken.

Für Transportunternehmen sind Fahrräder für den städtischen Gütertransport keine exotische Option: Die Anschaffung eines Lastenfahrrades ist deutlich günstiger als ein Klein-Lkw. Ganz im Sinne einer Smart-City-Logistik, wie sie auch Sertic denkt, der in seiner Funktion die gesamte Wiener Mobilitätswirtschaft vertritt und sich die großen Themen Ethik, Umwelt, Kommunikation und Bildung auf seine Fahne geheftet hat.

Qualitätssiegel
Diese Themen hängen mit Qualität zusammen, die der Kunde spüren und sehen soll. Ein konkretes Beispiel gefällig: Mit einem Gütersiegel wird die Qualität der Wiener Kleintransportunternehmer gehoben. Das Siegel steht für die Einhaltung von definierten Qualitätsstandards und soll die seriösen Akteure von den schwarzen Schafen für die Kunden sichtbar machen.

Der massive Preisdruck und Verdrängungswettbewerb treiben in Wien mitunter sehr seltsame Blüten: So bieten Kleintransportunternehmen via Internet ihre Leistungen für 20 bis 24 Euro pro Stunde einschließlich Lkw und zwei Arbeiter an. Um das Qualitätssiegel zu bekommen müssen die betreffenden Unternehmen spezifische Ausbildungskurse sowie Fahr- und Ladesicherungs-Trainingskurse nachweisen. Logistik ist ein kein sexy Thema, sie passiert im Hintergrund und stellt sicher, dass die schönen Waren in den hübschen Auslagen glänzen und Käufer finden. Das macht Sertiv nachdenklich: Er wird den Eindruck nicht los, dass in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Logistik leider sehr gering ist. Die Wirtschaftskammer Wien möchte das ändern und schickt sogenannte Logistik-Botschafter hinaus, die beispielsweise in Schulen kommunizieren, was Logistik ist und wie essentiell sie ist – denn ohne sie funktioniert selbst die smarteste Stadt nicht.

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