Ausbildungsverhinderungspolitik statt Integrationspakt

Im Landkreis Neu-Ulm berichten Unternehmen aus verschiedenen Branchen zunehmend über erhebliche Probleme, offene Ausbildungsplätze mit Flüchtlingen zu besetzen. Die maßgebliche Ursache sehen die Firmenvertreter in der bürokratischen und praxisfernen Anwendung der 3+2-Regelung (Duldung für drei Jahre Ausbildung plus zwei Jahre Beschäftigung, auch aus sicheren Herkunftsländern). Die Folge: Ausbildungsplätze bleiben trotz steigender Zahl von Flüchtlingen, die im berufsschulpflichtigen Alter sind, unbesetzt.

Die Unternehmen, die sich für die Integration der Asylsuchenden engagieren, werden bei ihrem Engagement oftmals gleich in mehrfacher Hinsicht ausgebremst. Dies berichten Firmenvertreter von HARDER logistics (Neu-Ulm), Blech & Technik (Vöhringen) sowie dem Autohaus Mack (Senden) übereinstimmend. In der Praxis halten die Firmen für einen geeigneten Flüchtling einen Ausbildungsplatz frei, den sie später nicht mehr besetzen können, falls dieser es nicht schafft, das lange und aufwendige Verfahren bei den Behörden zu durchlaufen. Außerdem ist das Thema so komplex, dass mit der Betreuung der Projekte überproportionale Personalkosten verbunden sind. „Flüchtlinge in unserem Landkreis zu integrieren, wird durch die Bürokratie behindert“, so die übereinstimmende Erfahrung der Vertreter der oben genannten Firmen.

500 Personalstunden aufgewendet / Ausbildungsplätze seit zwei Jahren unbesetzt
Der Betriebsverlagerer HARDER logistics hat für die Versuche, Flüchtlinge als potenzielle Auszubildende in das Unternehmen zu integrieren in den vergangenen zwei Jahren bereits über 500 Personalstunden aufgewendet, bisher jedoch ohne Erfolg. „Mehrere Anlaufstellen, unterschiedliche Zuständigkeiten, widersprüchliche Entscheidungen und langsame Prozesse behindern den Einstieg der Auszubildenden“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Marcello Danieli.

Insgesamt fünf gewerbliche Ausbildungsplätze sind bei dem mittelständischen Unternehmen seit zwei Jahren unbesetzt. Danieli, selbst Sohn eines italienischen Einwanderers, ist davon überzeugt, dass es der richtige Weg ist, jungen Flüchtlingen in den Unternehmen eine Zukunftsperspektive zu geben. „Dies wird nur mit einem unbürokratischen Ansatz gelingen. Mittelständische Unternehmen haben nicht die Kapazitäten, einen Mitarbeiter für die zeitintensive Abwicklung der Formalitäten abzustellen, und dass bei ungewissem Ausgang“, so Danielis Einschätzung.

Behörden verzögern Arbeitserlaubnis
Besonders unbefriedigend ist die unterschiedliche Handhabung der 3+2-Regelung in den einzelnen Regionen. Die oben genannten Firmen haben den Eindruck, dass es für im Landkreis Neu-Ulm registrierte Flüchtlinge wesentlich schwerer ist, die Formalitäten für einen Ausbildungsplatz zu erfüllen als im Nachbarort Ulm. Die Zahlen spiegeln dies wider. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ulm hat für 2017 bereits 44 Ausbildungsverträge registriert, wohingegen in Neu-Ulm laut der dortigen IHK 25 Ausbildungsverträge unterzeichnet sind, bei denen jedoch noch bei elf Verträgen die bei der Behörde beantragte Arbeitserlaubnis aussteht, ohne die eine Beschäftigung nicht möglich ist.

Landratsamt Neu-Ulm als Standortnachteil
„Das Landratsamt Neu-Ulm setzt sich bei dem Hürdenlauf an die Spitze der Region“, erklärt Thomas Zenzinger, geschäftsführender Inhaber von Blech und Technik. In seinem Unternehmen sind zwei der vier Ausbildungsplätze als Konstruktionsmechaniker aktuell unbesetzt. Er beobachtet, dass die Landkreise Alb-Donau-Kreis und Günzburg deutlich lösungsorientierter vorgehen. „Wir sehen unser Landratsamt derzeit ganz klar als Standortnachteil“, lautet das alarmierende Signal von Danieli, Zenzinger und Ute Mack.

Hoher bürokratischer Aufwand
Gelingt einem Flüchtling der Schritt in ein Ausbildungsverhältnis, bleibt durch die behördlichen Auflagen auch während dessen Lehrzeit ein erhöhter Personalaufwand bestehen. Diese Erfahrungen macht Ute Mack vom gleichnamigen Autohaus in Senden, bei dem sich auch Flüchtlinge in der Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker befinden. „Alle drei Monate muss ein Auszubildender mit Duldungsstatus mit dem unterzeichneten Vertrag beim Landratsamt vorsprechen, um die Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung zu verlängern. Zusätzlich müssen von uns monatlich Vergütungsnachweise an die Ausländerbehörde geschickt werden“, nennt Mack einige Beispiele.

Lage spitzt sich zu: steigende Zahl von berufsschulpflichtigen Flüchtlingen in 2018
Die Folgen der Flüchtlingswelle 2015/16 spiegelt sich auch in den steigenden Zahlen der Migranten im berufsschulpflichtigen Alter wider. „Aktuell befinden sich zwei Klassen mit 36 Schülerinnen und Schülern im Abschlussjahr der zweijährigen Ausbildung an der Kolping-Akademie in Neu-Ulm. Im Sommer 2018 wird sich die Zahl der Abschlussklassen auf sechs verdreifachen. Zusätzlich enden im Februar 2018 drei weitere Abschlussklassen“, berichtet Daniel Agueli, Bereichsleiter Migration/Asyl an der Kolping Akademie. Das Institut ist auf eine gute Zusammenarbeit mit den ansässigen Unternehmen angewiesen, die die Praktikumsplätze im Rahmen der Berufsschulzeit stellen und gegebenenfalls im Anschluss einen Einstieg in eine „echte Ausbildung“ ermöglichen. „Ein Stimmungswechsel bei den Betrieben, ausgelöst durch zunehmende bürokratische Hürden, wäre für alle Seiten kontraproduktiv“, bewertet Danieli.

Politik konterkariert Integrationspakt
Die formalistische Herangehensweise, die eher einer Ausbildungsverhinderung-Maßnahme für Flüchtlinge gleicht, ist für die drei mittelständischen Unternehmen nicht in Einklang zu bringen mit dem Integrationspakt, zu dem sich Bayern gemeinsam mit Verbänden der Wirtschaft verpflichtet hat. Demnach sollen bis 2019 rund 60.000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die bayrische Wirtschaft unterstützt dieses Projekt mit 8 Mio. EUR.

 

Ähnliche Beiträge