E-Commerce-Konzerne investieren Milliarden. Maschinelles Lernen revolutioniert Supply Chains in China

Das Land der Mitte investiert massiv in Artificial Intelligence (AI) und Maschinelles Lernen. Bis 2030 will die chinesische Regierung weltweit der führende Akteur im Bereich AI mit der Entwicklung einer Billion-Dollar-Industrie werden und unterstützt dabei die bedeutensten Technologie-Konzerne des Landes Baidu, Alibaba und Tencent.

Redaktion: Dirk Ruppik.

Computerprogramme die auf Machine Learning basieren nutzen Algorithmen, mit denen sich bestimmte Muster in großen Datenmengen herausfinden lassen. Im Falle von Supply Chain-Daten suchen die Algorithmen nach den einflussreichsten Faktoren in Bezug auf die effizienteste Lösung für die vorliegende Versorgungskette. Entscheidend ist, dass sich die Algorithmen ständig durch Hinzulernen verbessern.

Deep Learning (tiefes Lernen, mehrschichtiges Lernen) ist ein Teilbereich des Maschinellen Lernens, in dem mehrschichtige künstliche neuronale Netzwerke zu Lernzwecken verwendet werden. Deep Learning hat viele Implementierungen gefunden, wie z. B. die Spracherkennung und Amazon-Kaufempfehlungen. Die amerikanische Forschungs- und Beraterfirma Gartner sieht neben Blockchain, Künstlicher Intelligenz, Internet der Dinge (IdD), Digitaler Zwilling, Advanced Analytics auch Maschinelles Lernen als neuartige Technologien, die die Supply Chain entscheiden verändern
werden.

Einsatzmöglichkeiten Maschinellem Lernen.
Die Einführung von Maschinellem Lernen in ihre Versorgungsketten wird für Unternehmen zunehmend wettbewerbsentscheidend.  Es kann zudem genutzt werden, Probleme in der Supply Chain zu entdecken, bevor Betriebsabläufe gestört werden. Wenn die richtigen Algorithmen genutzt werden, sind die Einsatzmöglichkeiten nahezu unbegrenzt.

Maschinelles Lernen kann z. B. für die Voraussage des künftigen Bedarfs für die Fertigung eines Produkts genutzt werden. Weiterhin ist es möglich, durch Erkennen von Synergien innerhalb mehrerer Versandnetzwerke die Frachtkosten zu senken, die Performanz von Zulieferern zu verbessern sowie allgemein das wirtschaftliche Risiko zu mindern. Beim Supply Chain Management kann ein Mangel an Synchronisation oder der Ausfall einer Instanz die gesamte Versorgungskette unterbrechen und zu einem gewaltigen finanziellen Schaden führen. Durch die Verbindung verschiedener algorithmischer Ansätze wie dem überwachten Lernen, unüberwachten Lernen und dem verstärktem Lernen können die Faktoren gefunden werden, die die Versorgungskette am meisten beeinflussen. Somit ist es möglich, entsprechende Vorkehrungen zur Sicherung oder redundanten Auslegung zu treffen.

Weitere Anwendungen des Machine Learning finden sich in der Qualitätskontrolle, Schadenserkennung, Senken der Bestände und Betriebskosten, Voraussage der Nachfrage nach einem neuen Produkt, Verlängern der Lebensspanne von Maschinen, Fahrzeugen und Anlagen, etc.. Durch die Kombination von Machinellem Lernen mit Advanced Analytics, IdD-Sensoren und Echtzeit-Überwachung kann die komplette Versorgungskette visuell in Echtzeit dargestellt werden.

Chinesische Unternehmen liegen an der Spitze.
Der chinesische E-Commerce-Konzern JD investiert zunehmend in die Einführung der erwähnten Technologien in sein Supply Chain-Netzwerk. Bisher werden sie in der Entwicklung von intelligenten Fuhrparks, Paketverfolgung, Transport, in unbemannten Lagerhäusern, Liefer-Drohnen sowie autonomen Fahrzeugen eingesetzt.

„Die Supply Chain-Technologie hat große Bedeutung für JD. Die Integration von Maschinellem Lernen mit Tiefem Lernen wird große Innovationen hervorbringen“, sagte Zhai Songtao, Leiter von JD Supply Chain-Produkte bei JD-Y smart supply chain. Das Unternehmen etablierte die Y-Firmensparte bereits im November 2016 mit dem Ziel „intelligente“ Supply Chains zu entwickeln. Dabei arbeitet JD auch mit Firmen wie Procter & Gamble und dem bedeutensten chinesischen Milchprodukte-Hersteller China Mengniu Dairy Co Ltd zusammen.

Das E-Commerce-Unternehmen will seinen Plattform-Verkäufern den Zugang zu „Big Data“ ermöglichen, damit diese bessere Entscheidungen treffen können. „Durch die Algorithmen werden die Verkäufer auf unseren Plattformen bessere Entscheidungsmöglichkeiten haben, um ihre verkaufsstärksten Produkte zu fördern und die Bestände besser zu managen“, erklärte Zhai Xinlei, Leiter der Planungs- und Entwicklungsabteilung Supply Chain bei JD-Y. Er fügte an: „Die Daten könnten u. a. das Kaufverhalten, Nutzerprofile und den Bestandsstatus enthalten. Unsere Hauptvorteile sind massive Datenmengen und Anwendungsszenarios.“

CEO Liu Qiangdong, Gründer von JD.com, sagte: „Die grundlegende Natur des Einzelhandels wird sich nicht verändern, da nach wie vor die Kundenerfahrung, Kosten und Effizienz die größte Rolle spielen. Allerdings wird Künstliche Intelligenz diese Bereiche aufwerten.“ Darüber hinaus hat JD ein neues Supply Chain-Innovationsprogramm ins Leben gerufen, das Offline- und Online-Einzelhändler näher zusammenbringen soll. Das neue Programm integriert verschiedene Offline-Kanäle wie Supermärkte, Gemischtwarenläden, einige Markenhändler mit Dada-JD Daojia, um die Effizienz zu erhöhen und die verkauften Produkte noch schneller liefern zu können. Die durchschnittliche Lieferzeit beträgt momentan zwei Stunden.

Alibabas Singles Day ist Turbo-Beschleuniger für AI.
Alibaba hat bereits in 2017 15 Milliarden US-Dollar (13,6 Milliarden Euro) über drei Jahre für sieben Forschungslabore in China, Singapur, Russland, Israel und den USA bereitgestellt, die im Bereich AI, Machine Learning, Natural Language Processing, u. a. Forschung betreiben. Laut Forbes will die chinesische Regierung bis 2030 der führende Akteur im Bereich AI mit der Entwicklung einer Billion-Dollar-Industrie werden und unterstützt bzw. finanziert dabei kräftig die bedeutendsten Technologie-Konzerne Baidu, Alibaba und Tencent (BAT).

Die über 1,4 Milliarden Einwohner im Land der Mitte mit ihren Daten werden den chinesischen Algorithmen wohl die globale Vorherrschaft sichern. Gleichzeitig gelten Chinesen als offen gegenüber dem technologischen Wandel und sehen die neuen AI-Technologien nicht als bedrohlich. Der am 11. November jeden Jahres gefeierte „Singles Day“ erweist sich als Turbo-Beschleuniger für die AI-Technologien. Tmall Smart Selection ist ein AI-unterstützter Deep Learning-Algorithmus mit Natural Language Processing, der dem jeweiligen Käufer ausgewählte Produkte vorschlägt und zudem die Verkäufer über die veränderte Nachfrage informiert. Diese können ihre Bestände entsprechend frühzeitig anpassen. Der lernfähige AI-unterstützte Chatbot DianXiaomi kann mittlerweile sogar menschliche Emotionen interpretieren und bei Bedarf einen menschlichen Kundenbetreuer in den Verkauf einschalten.

Intelligente Gesichtserkennung für Überwachung und Social Scoring.
Zudem ist Alibaba der größte Investor von SenseTime – ein StartUp im Bereich Gesichtserkennung. Die AI-Technolgie kann Jack Mas-Konzern z. B. bei der Verifizierung von Käufen nutzen. Auch ein Einsatz in den Offline-Geschäften für das Kunden-Tracking und für Rabattaktionen ist geplant. Allerdings bringt sich Alibaba durch die Unterstützung von SenseTime in bedenkliche Nähe zur chinesischen Regierung, die Gesichtserkennung mittlerweile schon für die öffentliche Sicherheit und das Sozialkredit-System einsetzt.

Das online betriebenes Rating- bzw. „Social Scoring“-System will durch Punktevergabe für erwünschtes bzw. unerwünschtes Verhalten die totale Kontrolle der Bevölkerung erreichen. Das System basiert auf einer quasi allgegenwärtigen Überwachung. Reuters berichtete Ende Dezember, dass SenseTime eine Umsatzsteigerung von 200 Prozent in 2019 gegenüber dem Vorjahr auf 750 Millionen US-Dollar (681 Millionen Euro) erwartet. Die SenseTime-Technolgie wird u. a. auch in Smartphones von Xiaomi, Oppo und China Mobile eingesetzt.

Im Oktober wurde SenseTime zusammen mit anderen Unternehmen von den USA gebannt. Diese Firmen dürfen ab sofort keine amerikanischen Produkte und Technologien mehr importieren. Amerika beschuldigt die Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit in Xinjiang beteiligt gewesen zu sein und triftt zugleich die chinesische AI-Industrie hart. (DR)

E-Magazin Archiv: LOGISTIK express Journal 1/2020  https://epaper.logistik-express.com/

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