„Fair-Commerce Initiative“ – nach Amazon nun Alibaba im Visier

eCommerce-Marktplätze wie AliExpress oder wish.com missachten systematisch EU-Verbraucherschutz- und Wettbewerbsbestimmungen. Der österreichische Handelsverband hat jetzt im Zuge einer Serie von Testbestellungen u.a. Mehrwertsteuerbetrug, Produktfälschungen und Sicherheitsrisiken bei den Drittstaaten-Plattformen aufgedeckt.

Beitrag: Redaktion.

Das Potenzial asiatischer eCommerce-Plattformen wie Tmall.com, JD.com und Co für den heimischen Handel ist unbestritten. Mit Qualitätsprodukten „made in Austria“ und höchsten europäischen Standards können asiatische Konsumenten erreicht werden. Auf komplexen Märkten wie in China reicht es jedoch nicht mehr, einfach nur online zu sein und den eigenen Webshop zu übersetzen. Vielmehr ist eine Analyse der Konsumenten und ein Produkt/Market-Fitting essentiell, um die Erfolgschancen im Ausland richtig einzuschätzen. Auch im Payment-Bereich ergeben sich interessante Geschäftsmodelle für österreichische Händler, um etwa chinesische Touristen, die beim stationären Kauf in Österreich auf WeChat Pay oder AliPay nicht verzichten möchten, gezielt anzusprechen. Zunehmend entdecken aber auch heimische Konsumenten Produktangebote aus dem asiatischen Raum für sich und bestellen beispielsweise über den Alibaba-Marktplatz AliExpress. Schon 6 von 10 ÖsterreicherInnen kaufen bei chinesischen Plattformen ein, wie jüngst eine Studie von Mindtake im Auftrag des Handelsverbandes ergeben hat.

Wettbewerbsverzerrendes Verhalten durch vermeintlich besondere Garantieleistungen.
Die Europäische Union ist bekannt für ihr hohes Verbraucherschutzniveau und ihr konsequentes Wettbewerbsrecht. Insbesondere unterliegt auch der eCommerce-Sektor einem stringenten Regelwerk. Webshops in der EU müssen einer Vielzahl von Informationspflichten nachkommen, Verbrauchern ein 14-tägiges Rücktrittsrecht gewähren und irreführende Werbung unterlassen. Die Verbraucherschutz- und wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen gelten aber nicht nur für in Europa ansässige Online-Shops, auch Drittstaatenhändler müssen sich an diese Regeln halten, wenn sie ihre Tätigkeit auf ein europäisches Land ausrichten. Wie dies in der Praxis tatsächlich abläuft, hat sich der Handelsverband näher angesehen und die rasch wachsende Plattform AliExpress unter die Lupe genommen.

So ist es etwa in der Europäischen Union verboten, Verbrauchern gesetzlich zugestandene Rechte als eine Besonderheit des Angebots des Unternehmens anzupreisen. AliExpress macht jedoch genau das. Die chinesische Plattform bewirbt offensiv ihr „Buyer Protection“-Programm. Dabei wird u.a. garantiert, dass der Käufer sein Geld zurückerhält, wenn das Produkt nicht innerhalb einer bestimmten Zeit geliefert wird. In der EU allerdings haben Verbraucher ohnehin das Recht, einen Vertrag zu kündigen, wenn die Lieferzeiten nicht eingehalten werden. Der Verkäufer muss in diesem Fall das erhaltene Geld zurückzuerstatten.

Eine weitere Garantiezusage von AliExpress betrifft die Möglichkeit, binnen 15 Tagen den gekauften Artikel zurückzugeben, sofern das Produkt nicht der Beschreibung entspricht. Europäische Verbraucher werden dabei über ihre gesetzlichen Ansprüche im eCommerce getäuscht, da bei einem Online-Kauf die Rückgabe der Artikel ohne Angabe von Gründen binnen 14 Tagen ohnehin möglich sein muss – und das nicht nur, wenn das Produkt nicht der Beschreibung entspricht.

Produktfälschungen auf dem Vormarsch.
Der Handelsverband hat dutzende Testbestellungen auf AliExpress durchgeführt. Sneakers, T-Shirts und Pullover von namhaften Marken wurden bestellt und auf ihre Echtheit geprüft. Das Ergebnis war eindeutig: fast alle Produkte waren gefälscht, wie von Herstellerseite bestätigt wurde. Die Problematik von Produktfälschungen ist mittlerweile auch im Bewusstsein der Online-Shopper angekommen, da der heimische Konsument das volle Risiko trägt, den vorab entrichteten Kaufpreis nicht mehr zurückzuerhalten. Sollte seitens der Zollbehörde eine Produktfälschung vermutet werden, ist der Konsument mehr oder weniger verpflichtet, der Vernichtung der Ware zuzustimmen, da ansonsten ein Gerichtsverfahren droht. Eine Rücküberweisung des bereits bezahlten Kaufpreises für die gefälschte Waren durch den Drittstaaten-Onlinehändler erfolgt oftmals nicht.

AliExpress möchte den Bedenken der Konsumenten mit einer zusätzlichen Garantieoption entgegnen: Verkäufer auf der Plattform können freiwillig als „Extra-Service“ für bestimmte Produkte eine Echtheitsgarantie anbieten. Sollte sich herausstellen, dass das Produkt tatsächlich eine Fälschung ist, erhält der Käufer sein Geld zurück. Allein das Anbieten dieser Echtheitsgarantie kommt jedoch einem Eingeständnis nahe, dass auch gefälschte Waren verkauft werden. Werbung mit der Echtheit der angebotenen Ware ist darüber hinaus irreführend, da es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nur Originalwaren zu liefern.

Massive Sicherheitsrisiken für heimische Konsumenten.
Nicht nur Produktfälschungen stellen bei AliExpress ein Problem dar, sondern auch die mangelhafte Einhaltung von Sicherheitsvorschriften für Produkte. In die Europäische Union dürfen nur Produkte eingeführt werden, die den geltenden Sicherheits- und Umweltschutzbestimmungen der EU entsprechen. Hierzu wurde die CE-Kennzeichnung eingeführt, um Verbraucher vor unsicheren Produkten zu schützen. So muss etwa Kinderspielzeug oder elektrische Betriebsmittel bestimmten Anforderungen entsprechen, damit diese für die Nutzer keine Gefahr darstellen. Viele Händler aus dem asiatischen Raum halten sich jedoch nicht daran. Sie liefern Produkte ohne die Einhaltung der Vorschriften sowie der erforderlichen Produktkennzeichnung nach Europa und gefährden damit die Sicherheit der Konsumenten.

Systematischer Mehrwertsteuerbetrug durch Falschdeklaration.
Handlungsbedarf besteht darüber hinaus bei der illegalen Steuerumgehung durch asiatische Handelsplattformen, die ihre Pakete im Cross-Border-Handel fast gänzlich zoll- und mehrwertsteuerfrei in die EU schleusen. Das Schadensausmaß durch entgangene Umsatzsteuerzahlungen liegt allein in Österreich bei mehreren Hundert Millionen Euro.

Möglich wird dies durch die Ausnutzung der sogenannten »De-Minimis-Regel«. Produkte unter einem Wert von 22 Euro werden bei der Einfuhr in die Europäische Union von der Mehrwertsteuer nicht erfasst – und bei mehreren 100 Millionen Paketen im Jahr tut sich der Fiskus schwer, die Wertangaben jeder einzelnen Sendung zu überprüfen. So waren auch ausnahmslos alle Test-Bestellungen bei AliExpress falsch deklariert, um die österreichische Einfuhrumsatzsteuer-Freigrenze zu umgehen.

Handelsverband fordert Konsequenzen für überführte Unternehmen.
Der Handelsverband weist seit Jahren auf diese mutmaßlich wettbewerbsverzerrenden Geschäftspraktiken hin, die damit beginnen, dass …

  • 97% aller Pakete aus China unter der 22-Euro-Grenze in die EU und nach Österreich gelangen;
  • diese Pakete oftmals falsch deklariert sind, um Mehrwertsteuer- und Zollabgaben bewusst zu umgehen;
  • es sich bei vielen Produkten aus Asien, die entweder direkt an den Konsumenten oder auf Marktplätzen wie Amazon, AliExpress oder wish.com distribuiert werden, um Produktfälschungen handelt;
  • geltende Konsumentenschutzrechte teilweise nicht gewährt oder Bestimmungen systematisch umgangen werden;
  • oftmals von asiatischen Händlern keine Beteiligung an den länderspezifischen Müllentsorgungssystemen erfolgt, obwohl dies gesetzlich vorgesehen wäre.

Die zuletzt aufgedeckten Marktverzerrungen und Verbraucherschutzverstöße verschaffen asiatischen Onlinehändlern einen massiven Wettbewerbsvorteil gegenüber dem heimischen Handel. Höchste Zeit, endlich eine strengere Vollziehung sicherzustellen und mit sinnvollen und bereits bewährten Regulativen dagegenzuhalten. Andere europäische Staaten, allen voran Schweden, haben ihre Systeme bereits umgestellt und zeigen vor, wie hier prozessual und technisch vorzugehen ist.

Der Handelsverband hat daher konkrete Maßnahmen erarbeitet, um den Problemen Herr zu werden. Im Sinne der heimischen Volkswirtschaft ist es entscheidend, jetzt zu handeln und nicht noch länger abzuwarten. Ansonsten könnten hierzulande Strukturen zerstört werden, die wir nicht mehr wiederaufbauen können. Eine Umsetzung der digitalen Verzollung und Versteuerung ab dem ersten Cent schon ab 1.1.2020 und damit die Streichung der 22-Euro-MwSt-Freigrenze ist ein absolutes Muss und die Vorbereitungen müssen jetzt getroffen werden. In Schweden gelang die Umstellung binnen drei Monaten – und zeigt Wirkung. Argumente von Anwälten, die Bürokratie hierfür sei zu aufwendig, sind inakzeptabel. Pro Jahr gehen alleine dadurch mehr als 200 Mio Euro verloren, wobei die Schäden durch Produktpiraterie hier noch gar nicht miteinbezogen sind. (RED)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2019

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