Leben Totgesagte länger?

Hinter uns liegt Ostern, das Fest der Auferstehung. Ob man nun gläubig ist oder nicht – wir könnten tatsächlich einige Auferstehungen brauchen. Nämlich die Auferstehung der demokratischen Werte, der Menschenrechte, der Wirtschaft im Allgemeinen und vor allem auch des gesunden Menschenverstandes. Und wenn man möchte, eine Auferstehung des europäischen Gedankens, weil in der aktuellen Lage ist der nämlich tot. Redaktion: Angelika Gabor.

Erstmals hat ein Land die – zumindest in politischen Kreisen – hochgelobte und unersetzliche Europäische Union wieder verlassen. Nach 43 Jahren Mitgliedschaft hieß es „rien ne va plus“ und die Briten, bis dahin brave Nettozahler, zogen die Notbremse. Und warum? Der Hauptgrund für das Verlassen der EU war der Wunsch, Entscheidungen, die Großbritannien betreffen, im eigenen Land zu treffen. Ganz ehrlich, das kann man den Briten nicht verübeln. Der Widerstand gegen die politische Elite, die außer Beschwichtigungen nichts über die Lippen bringt, wächst.

Deutliche Beweise dafür sind die Stimmengewinne rechtspopulistischer Parteien, nicht nur in Österreich, Frankreich und Deutschland. Gebeutelt von der Wirtschaftskrise, noch langfristig beschäftigt mit den Auswirkungen der Bankenkrise und völlig ohnmächtig angesichts der Flüchtlingskatastrophe droht die Europäische Union zu zerbrechen. Und anstatt sich tatsächlich mit den berechtigten Sorgen der EU-Bürger auseinanderzusetzen bzw. zuzuhören und Lösungen zu entwickeln, geht das Europäische Parlament zur Tagesordnung über. Ein Land ist draußen? Macht nix, gibt genug andere, die gerne aufgenommen werden würden, um auf Grund ihrer geopolitischen Lage noch mehr aus den Fördertöpfen zu naschen: die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Montenegro, Serbien, Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Kosovo und – Trommelwirbel – die Türkei.

Pos-se, Substantiv [die], ein lustiges Bühnenstück
Oder im übertragenen Sinne groteske öffentliche Vorgänge. Tragischer Weise werden wir gerade Zeuge gleich mehrerer Possen: die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die Medien- und Justizreformen sowie das Hochschulgesetz in Ungarn und die Justizreform in Polen sind nur drei Beispiele dafür. Den beiden Letztgenannten droh(t)en Verfahren wegen „systematischer Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit“ und Aktivierung von Artikel 7 des EU-Vertrages, was zum Entzug der Stimmrechte im Europäischen Rat führen könnte. Allerdings wäre hierfür eine einstimmige Entscheidung der Staats- und Regierungschefs nötig. Ungarn hat bereits sein Veto gegen eine Bestrafung Polens angekündigt – kein Wunder, ist es ja selbst einst auch ungestraft davongekommen. Tja, und nun sitzt die EU-Kommission in der Bredouille: Proteste und Empfehlungen ließen die Regierungschefs Polens und Ungarns bisher kalt, der logische Schluss wäre es, das Sanktionsverfahren gem. Art. 7 EUV einzuleiten. Wissend, dass es keine Mehrheit dafür geben wird, was in geradezu plakativer Weise die Machtlosigkeit der Kommission aufzeigt. Wenn zwei Länder zusammenhalten, kann der Rest brausen gehen.

Um auf die Türkei zurückzukommen… die Beitrittsverhandlungen sind aktuell eingefroren, Rufe nach dem kompletten Abbruch werden laut. Interessanter Weise überholen Vertreter der ÖVP dabei gerade jene der FPÖ im vollen Galopp, die SPÖ hechelt hinterher. Das Referendum, in dem sich eine knappe Mehrheit für die Installation eines Präsidialsystems unter der Leitung von Recep Tayyip Erdogan entschieden hat, versetzte viele in Schockstarre. So sehr auch versucht wurde, Stimmung gegen den türkischen Präsidenten zu machen, so breit ist jetzt sein Grinsen. Sieg auf der ganzen Linie! Doch solange die nach wie vor überforderte EU in punkto Flüchtlingsthematik noch auf die türkische Kooperation angewiesen ist, wird sie weiter kuschen – und weiterhin hohe Beträge in ein Land schicken, dessen Volk teilweise hungert, während sein Sultan sich einen goldenen Palast gebaut hat.

Gemeinsam oder einsam?
Mitte April 2017 hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seinen neuesten „World Economic Outlook“ veröffentlicht. Das Positive vorweg: die Prognose wurde nach oben revidiert, rechnete man im Jänner noch mit einem Plus von 3,4 Prozent, wird nun ein Wachstum der globalen Wirtschaftsleistung im Ausmaß von 3,5 Prozent erwartet. Zwar mag das nach einer marginalen Änderung klingen, aber bei einem globalen BIP von rund 74 Billionen US-Dollar entspricht das immerhin 74 Millionen US-Dollar.

Der Haken: bezogen auf Österreich sind die Erwartungen deutlich weniger optimistisch, lediglich 1,3 Prozent BIP-Anstieg werden prognostiziert – womit wir leider klar hinter dem Durchschnitt des Euro-Raumes zurückbleiben. Allerdings, vielleicht haben wir Glück, und der IWF irrt sich, immerhin liegen die Prognosen der heimischen Wirtschaftsforscher deutlich höher – nämlich bei 2 Prozent laut Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO und 1,7 Prozent laut Institut für Höhere Studien IHS. Was machen wir, das Land großer Töchter, Söhne, denn falsch? Warum hinken wir nicht nur hinter China, Indien, Afrika und den USA, sondern sogar hinter Russland hinterher? Hieß es nicht stets, Österreich könne sich sein Sozialsystem und seine hohen Abgabenquoten leisten, da wir besonders innovativ und produktiv und somit trotzdem als Standort beliebt seien?

Der neue amerikanische Präsident möchte sein Land wieder an die Spitze bringen, und setzt dabei auf eine Abschottung der US-Wirtschaft. Nach dem Vorantreiben der Freihandelsabkommen seiner Vorgänger rudert er nun also zurück und unterstützt eine protektionistische Handelspolitik. Der IWF sieht das als großes Risiko für die internationale Wirtschaftszusammenarbeit und damit als Bedrohung der wirtschaftlichen Ordnung, insbesondere in Schwellenund Entwicklungsländern. Ich fürchte, damit hat er Recht. Die Globalisierung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, zu vernetzt sind internationale Beschaffung, Produktion und Konsum. Auch wenn ich wahrlich kein Fan von TTIP & Co bin, von einem Extrem ins andere zu schwenken, wird keinem helfen. Internationaler Handel ist – sofern Standards eingehalten werden – ein Schlüsselfaktor für Wohlstand und Wachstum. Wer fairen Handel zu beiderseitigem Vorteil betreibt, wird wohl kaum gegeneinander in den Krieg ziehen. Das ist es, was wir wirklich brauchen. Mehr Fairness, und weniger Krieg. Dann klappt’s auch mit der Auferstehung. (AG)

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