MAN: Wieviel ist eine Unterschrift wert?

Im Dezember 2018 wurden in München Standort- und Beschäftigungssicherungsverträge für MAN unterzeichnet, wodurch betriebsbedingte Kündigungen bis 31. Dezember 2030 ausgeschlossen werden sollten. Nun, in Zeiten der Krise, ist der Vertrag nicht mal das Papier wert, auf dem er steht. Dass bereits Leistungen und Zugeständnisse erfolgt sind, scheint plötzlich irrelevant. Worauf kann man noch vertrauen?

Für alle, die es nicht wissen: MAN gehört zum VW-Konzern, dem größten Automobilhersteller der Welt. Trotz Rückgängen im Corona-Jahr 2020 fuhr das mehrheitlich von den österreichischen Familien Porsche und Piëch kontrollierte Unternehmen rund 8,8 Milliarden Euro Gewinn nach Steuern ein. Trotzdem sollen gerade jetzt, wo jeder einzelne Arbeitsplatz besonders wertvoll ist, bis zu 9.500 von 39.000 Stellen abgebaut und so das MAN-Ergebnis um 1,8 Milliarden Euro aufgebessert werden. Hat die reichste Familie Österreichs – ihr Vermögen wird auf 33,8 Milliarden Euro geschätzt – es so nötig?

Konzern in der Krise.
Seit 1919 werden in Steyr LKW gefertigt – mehr als 100 Jahre, davon die letzten mehr als 30 Jahre für MAN. Ab 1999 wurde in Oberösterreich die gesamte Lastwagen-Produktion der leichten und mittleren Baureihe von MAN gefertigt. Die börsennotierte MAN SE gehört zu rund 95 Prozent der Traton SE, deren Hauptaktionär wiederum der VW Konzern ist. Zur Traton-Gruppe gehören übrigens auch die schwedische Scania und Volkswagen Caminhoes e Onibus in Brasilien. Von 2019 auf 2020 musste MAN SE einen Umsatzrückgang von 14 Prozent hinnehmen, das Operative Ergebnis lag bei –631 Mio €, die Operative Rendite fiel 2020 auf – 5,8%. Da werden die Aktionäre wohl nicht gejubelt haben. Dem Geschäftsbericht 2020 ist zu entnehmen, dass MAN als strategischen Zielwert eine Operative Rendite von 8% anstrebt, um Investitionen und Entwicklungen zu ermöglichen. Dies soll durch eine „Unternehmenstransformation“, also den massiven Stellenabbau und die Schließung von Werken – die deutschen Standorte Plauen, Wittlich und eben das oberösterreichische Steyr – ermöglicht werden. Dabei wurden doch gerade erst 60 Millionen Euro in die neue Kunststofflackierungsanlage (übrigens die größte Lackieranlage für LKW-Kunststoffanbauteile in Europa) investiert… Aktuell sind in Steyr ca. 1.500 Mitarbeiter in der Produktion (Mechaniker, Lackierer, Schweißer,..), 700 im administrativen Bereich und rund 150 Lehrlinge beschäftigt. Nicht zu vernachlässigen die ganzen Zulieferbetriebe, die direkt oder indirekt von dem Werk abhängig sind. Der Plan der (gerade wegen Misserfolgs ausgetauschten) Unternehmensführung sieht eine Verlagerung der Produktion nach Polen und/oder in die Türkei vor, um Kosten einzusparen. Zu diesem Zwecke wurde einseitig durch Ziehen der „Schlechtwetterklausel“ der Standortsicherungsvertrag aufgekündigt.

Das kann teuer werden.
Der Aufschrei ist natürlich groß, nicht nur von Seiten der (kampfbereiten) Belegschaft, sondern auch aus der Politik formiert sich Widerstand. Was für ein Signal sendet das aus, wenn ein Vertrag so einfach einseitig aufgekündigt werden kann, nachdem sich die andere Seite an alle Bedingungen gehalten hat? Und diese Bedingungen waren nicht ohne: Im Gegenzug für die Zusicherung der Arbeitsplätze haben die Mitarbeiter auf Überstundenzulagen und auf Pausen verzichtet, wodurch bei gleichem Lohn zwei LKW mehr täglich produziert wurden. Bedenkt man den Neupreis eines MAN-Trucks, war das kein schlechtes Geschäft für den Konzern. Mit einer globalen Pandemie samt Nachfrageeinbruch konnte damals ja niemand rechnen. Im guten Glauben an das Fortbestehen des Werkes hat die österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG seit 2017 insgesamt 2,4 Millionen Euro in Projekte mit MAN investiert – Steuergelder natürlich, was denn sonst. Allerdings: bei betriebsbedingten Schließungen können Forschungsgelder binnen drei Jahren zurückgefordert werden. Damit nicht genug, laut einer Expertise des Linzer Zivilrechtsexperten und Rektors der Johannes-Kepler-Universität (JKU), Meinhard Lukas, könnten auf die Konzernmutter im schlimmsten Fall bis zu 1,4 Milliarden Euro Kündigungsentschädigungszahlungen bis 2030 zukommen. Bei erwarteten Einsparungen von 80 Millionen Euro pro Jahr durch eine Verlagerung der Produktion nach Polen rinnt da noch viel Wasser die Weichsel hinunter, bis sich das rentiert (den Imageschaden nicht einberechnet). Kein Wunder, dass Alternativen wie eine Übernahme durch Investoren willkommen wären.

Wolf im Schafspelz?
So schön hatte sich Investor und Ex-Magna-Manager Sigfried Wolf es ausgedacht, schon im Juni hätte er das Ruder übernehmen wollen, um nach der Übernahme durch seine WSA Beteiligungs-GmbH ein eigenständiges Unternehmen in Steyr mit Logistik und Vertrieb aufzubauen. Mit sieben Produkten für den Exportmarkt unter der Eigenmarke Steyr – leichte Kastenwagen mit Dieselmotoren und Elektroantrieb, Pritschenwagen, Kastenwagen und mittlere Lkw zwischen sechs und zwölf Tonnen sowie zwei Busse mit Elektroantrieb. Mit einem Teil der Stammbelegschaft, die zudem bis zu 15 Prozent Kürzung bei ihrem Nettoeinkommen in Kauf nehmen sollten. Aber da als einzige Alternative die Schließung drohte, schienen die Pläne sehr erfolgversprechend. Allerdings hatte er die Rechnung ohne die Belegschaft gemacht. Denn wie inzwischen wohl jeder weiß, entschieden sich die Mitarbeiter in der Urabstimmung Anfang April mehrheitlich gegen das Übernahmeangebot. Ups! Nach den Einbußen der letzten zwei Jahre ist es ihnen kaum zu verdenken, dass sie keine Lust auf noch mehr Verzicht hatten. Dazu gab es Befürchtungen, die weithin bekannten Verbindungen von Wolf zu Russland würden sich negativ auswirken. Und schließlich wurden schon einmal Versprechen gebrochen – wenn Garantien nicht zählen, worauf kann man sich dann noch verlassen? Wie hätten Sie abgestimmt? Ich wüsste es nicht…

Mit seiner Erfahrung ist Wolf ein knallharter Geschäftsmann, der sich auch von Rückschlägen nicht aufhalten lässt, und es bleibt abzuwarten, ob da nicht doch noch eine Nachbesserung kommt – denn die Gelegenheit ist günstig, und das geballte Know-How der Belegschaft durchaus wertvoll. Es gäbe auch noch das „Green Mobility“-Projekt des Konsortiums rund um den Unternehmer Karl Egger (KeKelit), allerdings scheint das von der MAN-Zentrale nicht ernst genommen zu werden. Die Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp sind jedenfalls kampfbereit, wenngleich die Erfolgsaussichten nicht gerade rosig sind.

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2021

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