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Quo vadis, Branche?

Der Beginn eines Jahres ist eine hervorragende Gelegenheit, eine Prognose zu erstellen und Pläne zu schmieden. Gibt es Grund zu Optimismus, oder sieht die Branche voller Sorge in die Zukunft? Welche Hindernisse gilt es, zu überwinden? Logistik express wagt ein Stimmungsbild.

Autorin: Angelika Gabor

Üer der Transportbranche hängen in diesem Jahr gleich mehrere Damoklesschwerter: die drohende und teilweise schon faktische Aussetzung des Schengener Abkommens, die Debatte über eine flächendeckende Maut und die Unsicherheit über die genaue Ausgestaltung der Mauttarife ab 1.1. 2016, die für die Preisgestaltung natürlich nicht unwesentlich sind. Hinzu kommen schlechte Konjunkturdaten. „Aus heutiger Sicht habe ich allgemein keine besonders positiven Erwartungen. Europa findet nur langsam auf einen Wachstumskurs zurück, und die Nachrichten aus China sind auch nicht ermutigend. Hoffen wir, dass positive Impulse aus den USA kommen. Für Gebrüder Weiss erwarte ich trotzdem eine Fortsetzung der erfreulichen und soliden Entwicklung der letzten Jahre“, meint Wolfgang Niessner, Vorstandsvorsitzender der Gebrüder Weiss Gesellschaft m.b.H.

Etwas optimistischer klingt da Komm.-Rat Johannes Hödlmayr, MBA, Vorstand der Hödlmayr International AG, der mit drei bis vier Prozent mehr Stückzahlen als im Vorjahr rechnet. „Im Automobilsektor kommt es nach der Finanzkrise endlich zu einer Erholung, wenn auch in Österreich nicht ganz so schnell. Wir werden in diesem Jahr 150 neue Arbeitsplätze schaffen – allerdings keinen davon in Österreich, denn hier wird vonseiten der Politik einfach zu wenig getan.“ Beide Unternehmen planen zudem Investitionen in Anlagen, Technologien und Ausbildung. Niessner:„ Gut ausgebildetes Personal ist die Basis für exzellenten Kundenservice. Die verschiedenen Auszeichnungen und positiven Arbeitgeber-Rankings zeigen, dass wir uns hier auf einem sehr guten Weg befinden.“

Hemmschuh Grenzkontrollen
Klare Worte findet Univ.-Prof. Dr. Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, wenn es um Grenzkontrollen geht: „Richtige Grenzkontrollen wie früher wären eine absolute Katastrophe. Derzeit habe ich den Eindruck, dass nur stichprobenartig kontrolliert wird. Es wirkt ein bisschen wie Aktionismus, die Verzögerungen betragen immer etwa 20 Minuten.“ Bei rigorosen Kontrollen samt reaktivierten Grenzstationen wäre aus seiner Sicht die Wartezeit nicht prognostizierbar.

„Fakt ist, solche Kontrollen gefährden langfristig das europäische Produktionssystem – internationale Lieferketten kommen massiv unter Druck. Dabei wäre gerade jetzt eine starke Wirtschaft nötig, um die Kosten für die Flüchtlingskrise zu finanzieren. Grenzen schwächen Europa“, so Kummer. Hödlmayr rechnet aktuell mit rund 20.000 Euro Mehrkosten pro Monat durch die verlorene Zeit.

„Die Lenkzeiten fehlen, wenn der Fahrer an der Grenze steht, und die Fahrzeuge erreichen ihren Stützpunkt nicht mehr. Hält die Situation weiter an, wäre das eine Katastrophe für die Transportbranche! Man müsste mit Kostensteigerungen um 10 Prozent rechnen, wenn nicht mehr.“

Niessner sieht das ähnlich: „Die Grenzkontrollen und die damit verbundenen Verzögerungen erschweren die Planung für uns als internationales Transport- und Logistikunternehmen und haben nachteilige Folgen für die zeitlich eng getakteten Wertschöpfungsketten vieler Unternehmen. Da auch in unserer Branche Zeit Geld ist, werden wir gegebenenfalls Mehrkosten verrechnen müssen. Bleibt es so, müssen viele Logistiksysteme überdacht und den neuen Gegebenheiten angepasst werden.“ Er fände es aber grundsätzlich schade, wenn wir uns von zwei Errungenschaften der EU, nämlich dem freien Personen- und Warenverkehr, verabschieden müssten. „Wenngleich ich auch die Sicherheitsproblematik verstehe“, fügt er hinzu. Das Paradoxe dabei? Die Grundidee von Schengen war eine Sicherung der Außengrenzen bei ungehindertem Verkehr im Inneren, und nun passiert genau das Gegenteil …

Ökologisierung der Maut
Ab 2017 soll es durch die Ökologisierung zwei Mautklassen geben: einen Mautsatz für EURO 6 Fahrzeuge und einen weiteren für die anderen EURO-Klassen. Die genaue Höhe wurde noch nicht bekannt gegeben. „Ich hoffe, dass die genauen Bedingungen tatsächlich wie geplant im Sommer bekannt gegeben werden, und nicht wieder erst kurz vor Weihnachten. Denn dann kann die Branche sich gut darauf einstellen und kalkulieren. Das wäre eine Gelegenheit für den neuen Verkehrsminister, sich positiv hervorzuheben“, so Kummer. Niessner ist vorsichtig optimistisch: „Der gewerbliche Güterverkehr in Österreich verwendet schon heute einen modernen Fuhrpark und könnte davon profitieren. Ob sich dies in Zeiten klammer Staatskassen auch so darstellen wird, ist aus heutiger Sicht – Österreich hat bereits die höchsten Mautsätze in Europa – allerdings in Frage zu stellen.“

Flächendeckende Maut?
Von der Idee einer flächendeckenden Maut hält Hödlmayr gar nichts: „Ich bin strikt dagegen! Das trifft die Industrie und die Produktionsbetriebe, wenn die Zulieferer teurer werden, und damit gehen weitere Arbeitsplätze verloren. Eine Erhöhung der ohnehin bereits sehr hohen Maut würde den Export massiv belasten.“ Das sieht Niessner ähnlich: „Eine flächendeckende österreichische Maut ist nicht zu befürworten, da hauptsächlich die nationale österreichische Wirtschaft belastet wird. Höhere Mautkosten hätten zur Folge, dass Wirtschaftsregionen in den Randgebieten Österreichs noch stärker von Ballungszentren abgeschnitten würden. Aktuell werden mehr als 90 Prozent des österreichischen Güterverkehrsaufkommens auf der Straße innerhalb von 150 Kilometern durchgeführt.“ Auch Kummer ist von der Idee alles andere als begeistert: „Ich halte das für Wahnsinn! Eine flächendeckende Maut wäre sehr ineffizient, und das vorhandene System der ASFINAG würde nicht funktionieren, somit sind teure Investitionen nötig. Das wäre eine weitere Bürde für die Wirtschaft, dabei brauchen wir genau das Gegenteil, nämlich Entlastung.“ Der Idee des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble hingegen kann er sehr viel abgewinnen: „Das wäre das beste Mittel! Eine europaweite Anhebung des Preises um ein oder zwei Cent unabhängig vom Grundpreis hätte keine Auswirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit, jeder wäre gleich betroffen. Durch den niedrigen Dieselpreis haben sich die Unternehmen ohnehin einiges erspart.“

„Kluge Wünsche“
Gerald Rudolf Klug hat Alois Stöger als Verkehrsminister beerbt. Ein Ressort mit vielen Baustellen, aber auch Möglichkeiten. Was, wenn man einen Wunsch an ihn frei hätte? Da muss Niessner nicht lange nachdenken: „Die Wünsche an die jeweiligen Verkehrsminister sind immer dieselben: Die Logistik als wichtigen Wirtschaftsfaktor berücksichtigen und den Standort Österreich durch entsprechende und ausgewogene politische Maßnahmen stärken, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten bzw. zu verbessern.“ Hödlmayr hat einen guten Tipp parat: „Endlich gibt es einen Gesamtverkehrsplan. Der Minister soll das Hirnschmalz der österreichischen Verkehrsexperten und Unternehmen nutzen, um die 117 Maßnahmen umzusetzen, das hilft nämlich allen Verkehrsträgern.“ Diesen Wunsch hat er mit Kummer gemeinsam: „Eine konsequente Umsetzung des Gesamtverkehrsplans würde den Standort Österreich stärken, und das haben wir dringend nötig. Denn dass die Grenzkontrollen ausgerechnet an der für uns wichtigsten Grenze zu Deutschland stattfinden, schadet unserem Warenverkehr immens.“

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