Ukraine-Krieg wirbelt Lieferketten durcheinander

Die Welt ist seit der Invasion Russlands in die Ukraine schlagartig eine andere geworden. Und damit auch die Welt der Logistik.

Beitrag: Redaktion.

Am 24. Februar 2022 trat in Europa eine Zeitenwende ein, wie es Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz in Reaktion auf die Invasion Russlands in die Ukraine formulierte. An diesem Tag brach in Europa Krieg aus, dessen Auswirkungen auf alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens noch nicht abschätzbar sind. Hält schon die Corona-Pandemie die Welt seit zwei Jahren in Atem so verschärft der Krieg die Krisensituation noch einmal mehr. Praktisch über Nacht hat sich auch die Welt für die globale Logistik und Rohstoffversorgung grundlegend verändert. Eingespielte Logistikketten funktionieren nicht mehr, Transporte planen war gestern, improvisieren steht heute auf der Tagesordnung. Gütertransporte per Schiff sind genauso nicht mehr planbar wie jene auf Straße, Schiene oder in der Luft. Beim genauen Hinschauen auf das Thema werden die massiven Einschläge sichtbar.

Ein Beispiel dafür ist der Hamburger Hafen, der wichtigste Container-Exporthafen für Österreich. 5,6 Mio. t Fracht aus und für Österreich wurden im Vorjahr via Hamburg umgeschlagen, ein schönes Plus von 27 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020. Und doch ist die Freude im Elbe-Hafen betrübt denn immerhin 337.000 Container wurden bisher jährlich von und für Russland via Hamburg umgeschlagen. Mit elf Liniendiensten wurden von Hamburg aus verschiedene russische Häfen bedient, das alles geht derzeit nicht, weil Russland mit EU-Sanktionen belegt ist und praktisch kein Warenverkehr zwischen EU und Russland stattfindet.

In Hamburg staut sich russische Ladung und Axel Mattern, Vorstand von Hamburg Hafen Marketing, wagt derzeit keine Prognose, wie es künftig mit dem Russland-Handel weitergehen wird. Faktum ist, dass bekannte Reedereien wie Maersk, CMA CGM, MSC oder Hapag Lloyd keine Buchungen mehr für Russland und Ukraine akzeptieren.

Massiv zu spüren bekommt den Ukraine-Krieg der maritime Terminalbetreiber HHLA mit Sitz in Hamburg. Im ukrainischen Hafen Odessa betreibt HHLA einen Containerterminal, der am 24. Februar behördlich geschlossen wurde und seither ruht hier die Arbeit und sind viele von den 450 HHLA-Mitarbeitern in alle Winde verstreut sind, Männer an der Waffe, Frauen und Kinder auf der Flucht. Entlang der ukrainischen Schwarzmeerküste wurden bisher fünf Schiffe Opfer von kriegerischen Angriffen. Weshalb Reedereien mit ihren Schiffen das Schwarze Meer meiden und sich Ladung in anderen Häfen staut, weil das Fahrtgebiet derzeit zu gefährlich ist, weil Seeminen im Meer herumschwimmen und eine große Unfallgefahr für die Schiffe und deren Besatzung darstellen.

Dem Geschäft mit der Luftfracht geht auch die Luft aus. Alle russischen Flugzeuge sind aus dem EU-Luftraum verbannt, umgekehrt können westliche Airlines das weltgrößte Land Russland derzeit nicht überfliegen, geschweige denn anfliegen, weil Russland den Westen das verboten hat. Flüge von Europa nach Asien müssen Russland umfliegen, das dauert nicht nur länger, sondern verursacht auch höhere Kosten und die Flugzeuge müssen die Frachtkapazitäten um 20 Prozent reduzieren. Das wiederum treibt wiederum die Frachtraten in die Höhe. Auch die Bahnen haben das Nachsehen. In den vergangenen Jahren hat sich die eiserne Seidenstraße als Alternative zum doch langen Seeweg im Fernost-Trade etabliert und wurde auf der Schiene immer mehr Fracht von China via Russland nach Europa und vice versa gefahren. Die Nachfrage nach dem Bahntransport durch Russland ist schlagartig eingebrochen, was für Logistiker einen harten Einschlag bedeutet. In „normalen“ Zeiten wurden rund eine Mio. Container pro Jahr auf dem Landweg von Fernost nach Europa und retour befördert. Alle diese Behinderungen führen dazu, dass sich Logistiker derzeit in der Ukraine und Russland geschäftlich nicht präsent sind.

Lieferketten werden durcheinander gewirbelt, Produktionen gedrosselt, weil Rohstoffe oder Komponenten nicht verfügbar sind. Die Versorgung mit Waren und Rohstoffen für Österreichs Handel und Industrie war schon während der Corona-Pandemie auf unterschiedliche Weise gefährdet, der Krieg markiert eine weitere Eskalationsstufe. Die Störungen in den Lieferketten führten zu Beginn der Corona-Krise zu erheblichen Preissteigerungen bei begehrten Rohstoffen. Die globalen Lieferengpässe haben Österreichs Wirtschaft in zweiten und dritten Quartal des vergangenen Jahres 750 Mio. Euro gekostet, wie die Österreichische Nationalbank kürzlich vorrechnete. Was also tun in unsicheren Zeiten. Eine der Antworten lautet: Weg vom Single Sourcing, also Abhängigkeit von nur einem Lieferanten, hin zum Dual Sourcing, ja zum Multiple oder sogar Global Sourcing.

Mit mehr Lieferanten lassen sich Ausfälle.
besser ausgleichen. Dual Sourcing erweist sich in Krisenzeiten als Retter in der Not. Diese Erkenntnis wird in Österreichs Handel und Industrie gerade populär. Bricht ein Lieferant ganz oder vorübergehend weg, springt ein zweiter für ihn ein. Das macht die Supply Chain wesentlich resilienter als beim Single Sourcing. Aus eins mach zwei – das ist das Prinzip von Dual Sourcing im Einkauf. Bei zwei Lieferanten muss es aber nicht bleiben. Je nach Branche und Marktumfeld lässt sich die Versorgung auf weitere Schultern verteilen. In diesem Fall spricht man von Multiple Sourcing.

Als Einkäufer in Handel und Industrie sollte man nicht alle Eier in einen Korb zu legen, hält Oliver Wagner, Geschäftsführer des österreichischen Zentralverbandes Spedition & Logistik in Zeiten wie diesen für unabdingbar: „Die Abhängigkeit von einem einzigen Partner in der Supply Chain war niemals eine resiliente Lösung, da Probleme bei diesem Partner sofort auf die gesamte Lieferkette durchschlagen.“ Deshalb hoffen Österreichs Logistiker, dass ihre Kunden künftig stärker das Multiple- und Global
Sourcing forcieren. Nicht nur in Pandemie-Zeiten kann Dual oder Multiple Sourcing beim Einkauf helfen. Es wappnet Lieferketten auch gegen Naturkatastrophen wie eben Kriege, Vulkanausbrüche, Naturkatastrophen oder unerwartete Veränderungen im Beschaffungsprozess wie beispielsweise Insolvenzen, Produktwechsel oder Preiserhöhungen.

In unsicheren Beschaffungszeiten hilfreich ist Rohstoffe auf Vorragt zu lagern, sprich Pufferlager für den Fall der Fälle aufzubauen. Solche seien klar zu forcieren, betont Wagner und rechnet mit einer Rückverlagerung von Produktionen nach Europa und den Aufbau von Pufferlagern. Corona und der Krieg in der Ukraine könnten eine „Deglobalisierung“ bewirken. Das würde bedeuten, dass der Handel zwischen dem Westen und China und Russland relativ zum Bruttoinlandsprodukt abnehmen wird, schätzen Experten die Entwicklung ein. Denn Faktum ist: Politische motivierte Handelshemmnisse verbunden mit geopolitischen Risiken belasten die internationale Arbeitsteilung massiv und begünstigen die Ausbildung eines wirtschaftlichen Nationalismus. (RED)

 

 

Quelle: LOGISTIK express Journal 2/2022

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