Umsonst ist nur der Tod, und der kostet das Leben

Der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht. Die Preise für Lebensmittel und Energie steigen weiter, während die Einkommen stagnieren. Die Auswirkungen der Zero-Covid-Politik in China sind zwar schon zu spüren, werden aber noch stärker. Die kommende Zinsanhebung der EZB ist ein Anfang zur Stärkung der Kaufkraft, aber zu wenig, um der Inflation die Stirn zu bieten. Es fehlen tausende Arbeitskräfte, aber keiner will die offenen Jobs. Grund genug für kollektiven Suizid? Nein. Alles wird gut.

Redaktion: Angelika Gabor.

Ende Juni veröffentlichten die beiden Wiener Konjunkturforschungsinstitute Wifo und IHS ihre Prognosen hinsichtlich Wirtschaftswachstum und Inflation. Leider kommen beide unabhängig voneinander zu ähnlichen Ergebnissen, die fürwahr kein Grund zum Feiern sind. Zwar lief das erste Halbjahr gar nicht mal so schlecht – insbesondere Industrie und Tourismus legten ein gutes erstes Quartal hin und werden dadurch unterm Strich für ein Wachstum von 4,3 Prozent (Wifo) und 3,8 Prozent (IHS) sorgen. Kommendes Jahr jedoch liegen die Prognosen nur noch bei 1,6 Prozent (Wifo) bzw 1,4 Prozent (IHS). Ein heftiger Dämpfer. Gleichzeitig begleitet uns die höchste Inflation seit knapp 50 Jahren wohl länger als gehofft (und von EZB-„Experten“ erwartet). Im Juni 2022 lag die Inflation in Österreich bei 8,7 Prozent (im Vergleich zu Juni 2021), in Deutschland bei 7,6 Prozent. Die Vorhersagen sind düster, eine Entspannung ist nur langsam in Sicht. In Russland geht die Inflation übrigens zurück, die Wirtschaft floriert wieder, der Rubel gilt als stärkste Währung 2022. Die Sanktionen des Westens entlocken dem Kreml aktuell wohl nur ein müdes Lächeln.

Wo sind sie denn alle?
Laut aktueller Studie des Handelsverbands leiden rund 40 Prozent der Händler unter Personalmangel, das entspricht etwa 20.000 offenen Stellen, beispielsweise im Verkauf. Aber auch die Logistik ist stark betroffen, insbesondere die Hilfskräfte fehlen. Woran das liegt? Die derzeitig miese Situation ist verschiedenen Faktoren geschuldet: einerseits haben während der Pandemie viele „essential Worker“ das Handtuch geworfen und dem Verkauf den Rücken gekehrt. Mitarbeiter, die wegen Lockdowns gekündigt wurden, haben sich teilweise umorientiert und neue Berufsfelder für sich erschlossen. Andere sind aufgrund der gestiegenen Lebenskosten einfach gezwungen, besser bezahlte Jobs zu finden, auch wenn sie vielleicht gerne geblieben wären. Und schließlich gibt es noch die große Gruppe von Saison- und Hilfsarbeitern aus dem Ausland, die als Erntehelfer, Küchenhilfen oder am Fließband arbeiten, während der Krise nicht nach Österreich kommen durften und nun erkannt haben, dass sie daheim eigentlich auch ihr Auslangen finden – ohne ständiges Pendeln oder ein Leben getrennt von der Familie. Laut Mag. Dr. Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit und Leiter des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, waren im Juni weniger als 300.000 Menschen ohne Arbeit. Die 3,95 Millionen unselbstständig Beschäftigten sind 130.000 Personen mehr als im Juni 2019.

Mich persönlich wundert es nicht, dass sich immer weniger Menschen finden, die diese offenen Arbeitsstellen annehmen – sozial eher geächtet, schwierige Arbeitsbedingungen (wer möchte bei 35°C Außentemperatur die Mittagsschicht zum Abwaschen in einer Gastroküche übernehmen?), familienunfreundliche Arbeitszeiten und eine Entlohnung knapp über der Mindestsicherung sind nicht wirklich attraktiv. Hinzu kommt beispielsweise im Handel, dass manche Kunden die „der Kunde ist König“ Philosophie ausreizen und die Geduld der Angestellten sehr auf die Probe stellen. Dating-Pro-Tipp: so wie ein Mensch sich dem Service- oder Verkaufsmitarbeiter gegenüber verhält, so wird er sich später auch dir gegenüber verhalten.

Die heilige Kuh schlachten.
Mitte 2015 kündigte der damalige Finanzminister Hans Jörg Schelling (VP) gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner die Abschaffung der Kalten Progression im Zuge der Steuerreform an. Das IHS forderte bereits 2013 eine automatische Inflationsanpassung der Steuersätze als Gegenmaßnahme zur Kalten Progression. Wir schreiben das Jahr 2022, und es scheint tatsächlich wahr zu werden: die schwarz-grüne Bundesregierung hat als Teil des Entlastungspakets zur Unterstützung der Bevölkerung das endgültige „Aus“ für die schleichende Steuererhöhung beschlossen. Die Steuerstufen sollen gemäß der Inflationsrate ab 2023 jährlich erhöht werden (bis auf die höchste Stufe, die 55 Prozent ab 1 Million versteuerbarem Einkommen bleiben – die
Betroffenen werden es verschmerzen). Es gibt also wieder Licht am Ende des Tunnels. Auch wenn mehr Menschen denn je armutsgefährdet sind, sollten wir die Hoffnung nicht verlieren. Die Leistungsfähigkeit und Kreativität der Österreicher sind Werte, auf die man auch in Zukunft bauen kann – wir werden Lösungen finden. Am Ende wird alles gut – und wenn nicht, ist es einfach nicht das Ende. (AG)

 

Quelle: LOGISTIK express Journal 3/2022


Translate »