Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug

Was der griechische Philosoph Epikur (341-271 v.Chr.), von dem diese Worte stammen, wohl zur heutigen Gesellschaft sage würde? Egal ob Macht, Einfluss, oder Wirtschaftswachstum – die Gier nach Mehr scheint unersättlich. Auf Teufel komm raus werden Schulden gemacht, für die kommende Generationen bluten müssen. In Österreich geht es sich gerade noch aus, aber wie Griechenland und Italien zeigen, ist der Crash nur eine Frage der Zeit.

Das Jahr 2018 lässt die Wirtschaft frohlocken: die heimischen Wirtschaftsforschungsinstitute IHS und Wifo gehen von drei Prozent Wachstum aus, das noch bis zum Jahresende anhält. Österreich meistert den Ratsvorsitz mit Bravour und glänzt mit Wachstumszahlen, die über jenen des Euroraumes liegen und einer Rekordbeschäftigung: rund 3.795.000 Menschen befinden sich aktuell in einem unselbständigen Beschäftigungsverhältnis. Mehr Beschäftigte bedeuten mehr Steuereinnahmen und mehr Konsum, das freut natürlich besonders den Finanzminister. Was uns alle freuen sollte: der Stand der österreichischen Staatsverschuldung ist von 83 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) im Jahr 2016 auf 78,3 Prozent im Jahr 2017 zurückgegangen, oder in absoluten Zahlen: von 296 auf 290 Milliarden Euro. Mitgrund für die erfreuliche Reduktion ist der anhaltend niedrige Zinssatz – was für Sparer wiederum weniger erfreulich ist. Für 2019 sieht die Prognose wieder ein bisschen anders aus, das Wachstum bremst sich ein. Doch ist das wirklich soooo schlimm? Warum ist Wirtschaftswachstum das Maß aller Dinge, der heilige Gral der Politiker und Wirtschaftstreibenden? Leider ist unsere Gesellschaft, unser Staat wie wir ihn aktuell kennen, auf Pump aufgebaut. Die Staaten haben untereinander hohe Schulden, nicht erst, seit sie in der Bankenkrise Unsummen in den Sektor investiert haben. Um diese Schulden auszugleichen, sind (Steuer)Einnahmen nötig, je mehr desto besser. Gleichzeitig streben die meisten Menschen nach Wohlstand und Eigentum, auch Luxusgüter werden auf Kredit finanziert. Mehr produzieren, mehr verkaufen, mehr verdienen lautet die Devise.

Der britische Ökonom Fred Hirsch beschrieb in den 70er Jahren in seinem Buch „Social Limits to Growth“ ein Phänomen, das heute nur allzu sehr zutrifft: den Verteilungskonflikt zwischen jenen, die nicht an der Spitze der Einkommens- und Vermögensverteilung sind, dies aber mit aller Kraft ändern wollen, und jenen, die bereits ganz oben sind und ihren Kuchen nur sehr ungern teilen möchten. Sobald materielle Grundbedürfnisse befriedigt sind, wollen die Menschen begrenzte und dadurch besonders verführerische Güter: attraktive Arbeit oder Prestige- und Luxusgüter. Durch die steigende Nachfrage schießt der Preis in der Höhe – und die Reichen werden noch reicher, die begehrten Güter unerreichbarer. Doch brauchen wir das wirklich alle, oder gaukeln uns das nur Fernsehen und Social Media vor? „Wenn jeder einzelne darauf verzichtet, Besitz anzuhäufen, dann werden alle genug haben“. So logisch das auch klingen mag, es wird wohl ein frommer Wunsch von Franz von Assisi bleiben. Die Zweiklassen-Gesellschaft ist präsenter denn je, die familiäre Herkunft bestimmt in zunehmendem Maße über Erfolg oder Misserfolg im Leben. Und hier geht es nicht nur um Erbschaften – ob Erste-Group-Chef Andreas Treichl mit seiner Prognose, dass die (Wieder)Einführung von Erbschafts- und Vermögenssteuern in Österreich nicht umsetzbar ist, langfristig Recht behält? – ein ganz wesentlicher Faktor ist die Bildung. Wer kann sich die beste Schule leisten, durch die in weiterer Folge eine Chance auf einen gut dotierten Arbeitsplatz besteht? Im Zusammenhang mit digitalen Technologien, die zu einem Wandel der traditionellen Industrien und Arbeitswelten geführt haben und noch in großem Maße führen werden, sind einige besondere und begehrte Jobs entstanden. Doch die zu ergattern, ist ohne hochwertige Ausbildung so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn, zurück bleiben gescheiterte, frustrierte Existenzen – mit denen sich kein weiteres BIP-Wachstum erreichen lässt. Das Ergebnis sehen wir beispielsweise in Spanien und Griechenland, wo aktuell jeder 5. bzw. 6. Mensch im erwerbsfähigen Alter ohne Arbeit dasteht.

Bildungsreform die x-te
Seit die Kaiserin Maria Theresia am 6. Dezember 1774 mit ihrer Unterschrift unter die „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt und Trivialschulen in sämtlichen Kayserlichen Königlichen Erbländern“ dafür sorgte, dass nicht mehr nur die betuchte Elite Lesen, Schreiben und mehr erlernte, hat sich viel geändert. Beinahe jede Regierung der zweiten Republik bastelte an den Schulplänen und Regeln herum, und jede Änderung wurde seitdem stets von Kritik begleitet. Pisa-Studie und Zentralmatura haben es zwar überraschenderweise noch nicht in die Liste der „Unwörter des Jahres“ geschafft, bereiten aber regelmäßig Kopfzerbrechen. Keine Noten, doch Noten, schriftliche Bewertung, mündliche Bewertung, siebenstufige Notenskala, doch wieder fünfteilig, kein Sitzenbleiben in der Volksschule, dann doch wieder, aber nur mit zwei Nicht genügend, Neue Mittelschule, doch nicht neue, sondern nur noch Mittelschule … dazu überfüllte Klassen und überforderte Lehrpersonen, Probleme in der Kommunikation und mit dem Respekt. Maria Theresia würde sich im Grabe umdrehen, könnte sie hören, welcher Umgangston heutzutage schon in manchen Volksschulen vorherrscht. Obwohl sich der Staat das Bildungssystem einiges kosten lässt, landet zu wenig davon direkt in den Klassen und bei den Schülern. Der allgemeine Fachkräftemangel macht auch vor den Klassenzimmern nicht Halt. Zu wenige Menschen möchten Lehrer werden, und man kann es ihnen kaum verübeln. Klar, es gibt lange Ferien, aber das war es dann auch schon so ziemlich mit den Benefits. Wie in dem medial ausgeschlachteten Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ von Susanne Wiesinger steht, ist das Unterrichten im Jahr 2018 kein Zuckerschlecken mehr. Wer kann, schickt sein Kind in eine Privatschule. Keine Frage, für die erfolgreiche Integration all jener Menschen, die in den letzten Jahren auf der Suche nach einer neuen, sicheren Heimat zu uns gekommen sind, wäre eine ordentliche Durchmischung das Beste. Aber wer ist so altruistisch und riskiert die vielleicht bessere Zukunft seines Nachwuchses für das möglicherweise verbesserte Gemeinwohl?

Dies ist die vierte und letzte Ausgabe des Logistik express im Jahr 2018. Das Jahr neigt sich dem Ende zu, Jahresabschlüsse und Bilanzen stehen ebenso vor der Tür wie das Christkind und der Weihnachtsbaum. Die Prognose für 2019 besagt ein moderates Wirtschaftswachstum von rund 2 Prozent, was manche schon jetzt in leichte Panik verfallen lässt. Aber vielleicht finden wir alle gemeinsam ein bisschen Zeit, um nachzudenken, was wir wirklich wollen und brauchen. Kann das Unternehmen auch bestehen, wenn es keine neue Filiale eröffnet? Ist es wirklich nötig, die Anlage zu automatisieren und damit Arbeitskräfte einzusparen, um den Gewinn zu maximieren? Wieviel Geld braucht man, um glücklich leben zu können, um das Unternehmen erfolgreich zu führen? Oder um es mit den Worten des US-amerikanischen Humoristen Will Rogers zu sagen: „Zu viele Leute geben Geld aus, das sie nicht verdient haben, um Dinge zu kaufen, die sie nicht wollen, um Leute zu beeindrucken, die sie nicht mögen.“

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 4/2018

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