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Wie Gebrüder Weiss der Corona-Krise begegnet

Mit über 7.300 Mitarbeitenden, 150 firmeneigenen Standorten und einem vorläufigen Jahresumsatz von 1,7 Mrd. Euro (2019) zählt Gebrüder Weiss zu den führenden Transport- und Logistikunternehmen Europas. Mag. Wolfram Senger-Weiss, Vorsitzender der Geschäftsleitung erörtert in einem schriftlichen Interview mit der Österreichischen Verkehrszeitung den aktuellen Geschäftsverlauf und die Herausforderungen für das Unternehmen.

Mag. Wolfram Senger-Weiss, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Gebrüder Weiss

Inwieweit beflügelt die momentane Situation den Home Delivery Service von Gebrüder Weiss? Wie stark ist das Wachstum?
Wir beobachten Steigerungen in diesem Segment von rund 25 Prozent in Österreich und bis zu knapp 70 Prozent in unseren osteuropäischen Niederlassungen. Durch unsere Vertriebsaktivitäten der vergangenen beiden Wochen dieses Service auch regionalen beziehungsweise stationären Händlern anzubieten, erwarten wir uns weitere deutliche Steigerungen in diesem Segment.

In welchen Branchen besteht derzeit eine besonders starke Nachfrage (Home Delivery Service) und wie reagiert Gebrüder Weiss darauf?
Grundsätzlich verstärktes Aufkommen bei den bestehenden Kunden aus dem Online Handel. Stationären Händlern bieten wir für sperrige und großvolumige Güter die Endkundenbelieferung, Erstellung und Anbindung von Webshops sowie Lager-und Mehrwertlogistik an. Paketservice mit DPD sowie Retourwarenmanagement und Add-on Services im Rahmen des E-commerce runden unsere Lösungen ab.

Wie hat sich die nationale Stückgutlogistik in den letzten Tagen entwickelt?
Im klassischen nationalen Stückgut-Segment bewegt sich die Bandbreite der Rückgänge aktuell bei 15  Prozent und 20 Prozent. Aber auch hier gibt es regional große Schwankungen. Stärker betroffen sind Regionen wo es zu kompletten Werksschließungen von Großkunden gekommen ist. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend  in den nächsten Wochen in abgeschwächter Form fortsetzen wird.

Wie wichtig ist den Kunden in der momentanen Situation die kontaktlose Zustellung von Stückgutsendungen?
Aktuell im B2B Bereich bewegen sich die kontaktlosen Zustellungen im Bereich von 15 Prozent, da hier in den Warenannahmen unserer Kunden ohnehin rasch reagiert wurde und diverse Hygiene-Maßnahmen (Plexiglasabtrennungen, Masken, Desinfektion) umgesetzt wurden. Im B2C Bereich liegt die Quote aufgrund der Umstellung in den Prozessabläufen seit 16. März bei 100 Prozent.

Wie stellt sich die Situation in der Luft und Seefrachtspedition dar?
Im Jänner und Februar kam es durch den shut-down in China zu entsprechenden Verzögerungen. Jetzt läuft die Produktion in China wieder an und Waren stehen zur Verfügung. Durch die reduzierten Flugpläne der Fluggesellschaften ist ein großer Teil des Frachtraumes weggefallen, denn die meiste Fracht fliegt im Bauch der Passagierflieger (belly-freight). Die reinen Frachtflugzeuge können die Kapazitäten nicht ausgleichen. Lufthansa und andere Carrier überlegen derzeit, mit Passagiermaschinen ohne Passagiere zu fliegen und dadurch mehr Frachtraum in den Markt zu bringen. In der Seefracht fehlen in Europa und USA weiter Container für den Export wegen des Lock down in China nach Chinese New Year.

Es wird noch einige Wochen dauern, bis sich dieses System wieder eingeschwungen hat. Die Maßnahmen in Europa und in den USA wirken da natürlich nicht positiv. Wir gehen davon aus, dass sich der Export aus China nun relativ schnell wieder auf einem höheren Niveau einpendelt und dann mit 4 bis 6 Wochen Verzögerung die Container in Europa wieder zur Verfügung stehen. Dann hängt alles davon ab, wie die Lage in Europa sich bis dahin entwickelt und ob beziehungsweise auf welchem Niveau die Produktion und damit das Exportvolumen läuft.

Wir haben gehört, dass Gebrüder Weiss wie viele andere Logistikunternehmen ab 1. April Kurzarbeit einführen wird. Wieviele und welche Mitarbeiter sind davon betroffen? Und für wie lange ist diese Phase anberaumt?
Unser Fokus liegt im Moment auf der Sicherstellung der Versorgungsketten in Österreich. Wir brauchen hier die volle Unterstützung unserer Mitarbeiter um diese systemkritische Aufgabe auch erfüllen zu können. Für die Bereiche, wo es zu deutlich reduzierten Sendungsmengen kommt, werden wir Kurzarbeit einführen. Ziel der Maßnahme ist es, dass trotz der Geschäftsrückgänge keine Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Eine detaillierte Aussage zur Anzahl und Zeitraum ist nicht möglich, da eine Berechnung erst auf Basis der tatsächlich angefallen Arbeitszeit erfolgt.

Wie stuft man bei Gebrüder Weiss die Geschäftsentwicklung im weiteren Jahresverlauf ein?
Dies wird einerseits von der Dauer der getroffenen Maßnahmen in dem jeweiligen Markt abhängen und davon wie lange die Wirtschaft braucht um wieder hochfahren zu können, und andererseits von der globalen Entwicklung (siehe USA). Auf jeden Fall wird es einen beträchtlichen Einfluss auf den Geschäftsverlauf haben. Durch unsere lange Geschichte und der stabilen Eigenkapitalquote bringen wir viel Erfahrung und Sicherheit mit und sind sehr zuversichtlich die Krise gut zu meistern. Wir bieten unseren Kunden ein sicheres und stabiles Service auch in unsicheren Zeiten und das wird sich langfristig bezahlt machen.

Was sind für Gebrüder Weiss in der momentanen Situation die größten Herausforderungen? (Grenzaufenthalte, vollausgelastete Lager etc.)
Im europäischen Verkehr entsteht die Hauptbelastung durch Grenzwartezeiten und Transitregelungen, speziell von und nach Osteuropa. Durch die Restriktionen im Einzelhandel kommt es zu Ablieferschwierigkeiten bei schon bestellten Waren, die nachgelagert aufwändige Administrations- und Handlingprozesse auslösen. Generell ist ein Fahrermangel zu bemerken, da ausländische Fahrer sich nach Rückkehr teilweise den lokalen Quarantänevorschriften zu unterziehen haben und deshalb nicht der Logistikkette zur Verfügung stehen. Hier muss auf ständig ändernde Vorschriften reagiert. Die Lagerkapazitäten sind im Moment eher knapp und die Situation wird sich in diesem Bereich mit jeder zusätzlichen Woche in der die getroffenen Maßnahmen andauern verschärfen. Wichtig wäre, dass man sich der gesamteuropäischen Verantwortung in den Ländern besinnt und nicht einseitige Maßnahmen trifft, die in anderen Ländern wichtige Logistikketten für die Versorgung abreißen lassen.

www.gw-world.com

 

Die ÖVZ bedankt sich bei Gebrüder Weiss für die Beantwortung der Fragen.

Redakation: Joachim Horvath, Österreichische Verkehrszeitung, oevz.com

 

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