„Wohlstand für alle!“

Wenn es einen Oscar für den unscheinbarsten Hauptdarsteller des Wirtschaftsgeschehens gäbe, stünde die Transportbranche ganz oben auf der Kandidatenliste.

Gastbeitrag: Werner Schneider.

Manche Spediteure versuchen, gegen die Unwissenheit der Öffentlichkeit anzukämpfen, wenn sie etwa auf ihren LKW schreiben: „Ohne uns gibt es von allem zu wenig!“ Und dabei ist das noch ein Understatement. Transport ist die Basis unserer kapitalistischen Produktionsweise: Dieses System beruht auf Arbeitsteilung, die ihrerseits Spezialisierung und gezielte Investition erlaubt.

Im 18. Jahrhundert waren es die „manufactures“ in Frankreich, im 19. Jahrhundert war es die Industrialisierung in England, die den Bau von Kanälen, den Ausbau von Straßen und später dann Eisenbahnen notwendig machten. Adam Smith beschreibt in seinem Klassiker „Wohlstand der Nationen“ 1776 die Vorteile der Arbeitsteilung am Beispiel der Stecknadelproduktion. Aber dafür müssen Rohstoffe, Zwischenprodukte und Endprodukte von einer Fabrik zur anderen gefahren werden – ohne Transport keine Arbeitsteilung, ohne Arbeitsteilung keine industrielle Produktion – ohne industrielle Produktion kein Wohlstand, wie wir ihn heute kennen; also bedeutet Transport Wohlstand.

Auch Wohlstand für den Transporteur? Die meisten Transporteure werden dies wohl heftig verneinen. Schuld daran ist das kapitalistische Grundgesetz von Angebot und Nachfrage. Wenn ich einen Motor auf dem Markt anbieten will, muss ich erst einmal tüchtig in Produktionskapazität und Werbung investieren. Das schränkt die Anzahl der Anbieter schon einmal ein. Wenn ich Transport anbieten will, benötige ich eigentlich nur den LKW-Führerschein – und schon geht’s los.

Die Finanzierung wird einem meistens noch nachgetragen. Das hat jahrzehntelang sehr gut geklappt. Mit dem Fall der Berliner Mauer und den anschließenden politischen Änderungen hat sich dann ein schier unerschöpflich scheinendes Reservoir an LKW-Fahrern und –Unternehmern erschlossen. Das war auch nötig, denn der Warenverkehr auf der Straße nahm exponentiell zu, die Straßen-Infrastruktur erreichte an manchen Orten die Kapazitätsgrenze. Aber: A trend is a trend, until it hits a bend, wie die Engländer sagen, irgendwann nimmt jeder Trend eine andere Richtung.

Diese Trendwende ist bereits eingeleitet. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder und immer öfter Perioden, in denen freier Transportraum schwer zu organisieren war. Start-ups sind nun seit geraumer Zeit damit beschäftigt, die Lademeter der LKWs bis unter die Plane zu füllen und die unnützen Leerkilometer gegen Null zu reduzieren. Dabei wird eines übersehen: Das, was verbessert werden soll, ist Ergebnis der Produktionsplanung unserer Industrie.

In all den Jahrzehnten, in denen Laderaum auf Zuruf bereitstand, wurde damit umgegangen, als wäre er unerschöpflich. Be- und Entladezeiten beispielsweise wurden nach den Bedürfnissen der jeweiligen Fabrik geregelt, die Sicherheitsmarge wurde auf den Transporteur abgewälzt, der mit einem immer unberechenbar werdenden Straßenverkehr fertig werden muss.

Die Trendwende wird noch verstärkt durch weitere Faktoren. Der Fahrermangel ist einer davon. Über ihn wird bereits viel diskutiert, richtig spürbar wird er in ein paar Jahren, wenn ein beachtliches Gros der jetzigen Fahrer peu à peu in Rente gehen wird. Ein anderer Faktor ist das Wachstum der zu transportierenden Mengen. Bereits vor Covid und vor Trump waren die prognostizierten Mehrmengen schwindelerregend. Sie werden jetzt wohl noch grösser sein.

Denn Covid und Trump haben die Anfälligkeit langer Lieferketten aufgezeigt; sie sind anfällig gegen Epidemien und gegen politische Entwicklungen wie den beginnenden Wirtschaftskrieg zwischen USA und China. Die britische Zeitschrift The Economist rechnet damit, dass globale Lieferketten zwar weiterhin bestehen werden, ein gewisser Teil der Produktion aber doch relativ schnell nach USA, bzw. Europa zurückgeholt wird; vor allem würden neue Investitionen näher an der Heimat geplant werden. Die Ausgabe vom 10. April titelt gar: „Riding high. A special report on the future of work.“ Und der Spezialbericht ist überschrieben: „Labour gains.“

Um es verhalten auszudrücken: Ein Nadelöhr in der Beschaffung von Laderaum im Straßentransport in naher Zukunft ist nicht auszuschließen. Sollte sich dies bewahrheiten, wird es einen latenten Fehler des kapitalistischen Systems aufzeigen, nämlich die mangelnde Koordination: Wenn eine Firma etwas tut, kann es gut für sie sein. Wenn alle Firmen es tun, kann es schlecht für alle werden. Wenn eine Firma Arbeiter entlässt, kann es gut sein für ihre Profitmarge. Wenn alle Firmen Leute
entlassen, wird der Gesellschaft Kaufkraft entzogen, die Nachfrage lässt nach und der Teufelskreis nach unten beginnt – so wie es in der Großen Weltwirtschaftskrise 1929 geschehen ist.

Hoffen wir, dass genügend Einsicht vorhanden ist und die „systemrelevante“ Funktion des Transportes in unserer Gesellschaft rechtzeitig gewürdigt wird. Es muss keine Oscar-Verleihung sein. Ludwig Erhard, der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister und Bundeskanzler, hatte 1957 sein Buch veröffentlicht: „Wohlstand für alle“ – auch für den Transporteur, das wäre schon ausreichend. Und solange wir noch nicht in der schönen neuen Welt sind mit selbstfahrenden LKWs und Laderaum effizient füllenden Algorithmen, in der Milche und Honig fließen, sollte man die Fahrer und Disponenten bei einer Hommage der kleinen, aber umso notwendigeren Akteure unserer Wirtschaft nicht vergessen. (WS)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2021

Translate »
error: