Brasilien: Investitionen in die Infrastruktur sind Tropfen auf den heißen Stein

Fußball-WM und Olympische Spiele können Defizite der brasilianischen Infra-struktur nicht hinreichend beseitigen / Logistik weiter vor Herausforderungen / 2013 startet Deutschlandjahr in Brasilien
 
Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und der zwei Jahre später stattfindenden Olympischen Sommerspiele an Brasilien haben einen Investitionsschub in die Infrastruktur des Landes ausgelöst. Um für den Ansturm von Athleten, Sportbegeisterten und Touristen aus aller Welt gewappnet zu sein, investiert die mittlerweile sechstgrößte Volkwirtschaft der Welt enorme Summen in den Ausbau der lange vernachlässigten Transport- und Verkehrswege. Vielen Logistikexperten gehen die unternommenen Anstrengungen aber nicht weit genug, um die Defizite der Infrastruktur langfristig zu beheben und die Grundlage für eine effiziente Logistik zu bereiten. Dennoch hoffen viele deutsche Un-ternehmen, von einer besser ausgebauten brasilianischen Infrastruktur und den sportli-chen Großereignissen zu profitieren. Zum Deutschlandjahr, das in diesem Frühjahr in Brasilien beginnt, rückt auch die Bundesvereinigung Logistik (BVL) e.V. Deutschlands wichtigsten Handelspartner in Südamerika in den Fokus.
 
Kurzfristige Milderung infrastruktureller Mängel
Brasilien hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wirtschaftlichen Schwergewicht entwickelt. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 2,5 Billionen US-Dollar liegt der südame-rikanische Staat mittlerweile vor großen europäischen Ländern wie Großbritannien. Ein stabiler Finanzsektor, die den Binnenkonsum ankurbelnde wachsende Mittelschicht sowie signifikante Devisenreserven bilden die Grundlage des brasilianischen Wirtschaftswachs-tums. Fußball-WM und Olympia bringen nun einen Investitionsschub in die Infrastruktur des Landes mit sich, denn Flughäfen, Straßen, Stadien und deren Anschlüsse müssen vorbereitet werden. Dafür sind zahlreiche Projekte vorgesehen oder werden schon reali-siert, wodurch sich die angespannten Verkehrszustände in den Metropolen des Landes durch den Ausbau von Verkehrswegen und des Öffentlichen Personennahverkehrs zumin-dest zum Teil lösen werden.
 
Prof. Thomas Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der BVL, sieht Brasilien im Ansatz auf dem richtigen Weg: „Wichtig ist zunächst, dass die Bedeutung der Verkehrs- und Transportwege erkannt und überfällige Projekte durch staatliche Wachstumspro-gramme und die Sportereignisse der kommenden Jahre angestoßen wurden. Davon wird der Wirtschaftsbereich Logistik profitieren. Auf den bestehenden Programmen lässt sich für die Zukunft aufbauen.“
 
Viele Logistikexperten bewerten die getätigten Investitionen trotz aller Bemühungen noch nicht als ausreichend, um nachhaltig für Besserung zu sorgen: „Die vorgesehenen Infra-strukturmaßnahmen bleiben ein Tropfen auf den heißen Stein“, beschreibt Stephan Grü-ner, Sprecher des BVL-Chapters (Regionalgruppe) São Paulo und Geschäftsführer von BMS Logística, die zwiespältige Situation. „Um für den Großteil der Bevölkerung spürbare Verbesserungen zu erzielen, werden die vorgesehenen Maßnahmen nicht ausreichen.“
 
Nachholbedarf auf allen Transport- und Verkehrswegen
Lange Zeit vernachlässigte Investitionen im Transportsektor bremsen das Land abseits von Fußball und Olympia in seiner wirtschaftlichen Entwicklung, wodurch großes wirt-schaftliches Potenzial verschenkt wird. Probleme bereitet dem Land seine große Abhän-gigkeit vom Straßennetz, das sich mit wenigen Ausnahmen in schlechtem Zustand befin-det. Viele Häfen sind unzureichend an das Hinterland angebunden und arbeiten an der Kapazitätsgrenze. Der Lufttransport spielte in Brasilien lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle, was vor allem auf die hohen Standzeiten der Frachtmaschinen und auf inneffizientes Flughafenmanagement zurückzuführen ist. Der Warentransport vollzieht sich daher langsam und im Vergleich zu anderen Schwellenländern vergleichsweise kostenintensiv.
 
Auch Frank Baur, stellvertretender Sprecher des BVL-Chapters São Paulo und Abteilungs-leiter Bedarfsplanung und Logistik für Lateinamerika bei der Robert Bosch Ltda. im Ge-schäftsbereich Automotive Aftermarket, sieht den Ausbau der brasilianischen Infrastruktur trotz richtiger Ansätze skeptisch: „Die geplanten Projekte müssen einfach schneller umgesetzt werden. Die Realisierungsquote ist bislang verhalten, die Prozesse sind lang-atmig.“ Die Gründe hierfür liegen für ihn in der mangelhaften Koordination von öffentlicher Hand und beteiligten Unternehmen. „Die Regierung ist für die Umsetzung der Maßnahmen verantwortlich, was die Prozesse schwierig macht.“
 
Chancen auch für deutsche Unternehmen
Das Interesse ausländischer Investoren in Brasilien bewertet Prof. Thomas Wimmer nach wie vor als hoch. „Daran können auch die gedämpften Erwartungen in Bezug auf das wei-tere Wirtschaftswachstum nur wenig ändern. Die aus den Olympischen Spielen und der Fußball-WM resultierenden Investitionen in die Infrastruktur haben auf jeden Fall das Potenzial, zu einer erneuten Belebung der brasilianischen Konjunktur beizutragen“, so Wimmer.
 
Vor diesem Hintergrund kann auch die deutsche Wirtschaft auf gute Geschäfte hoffen. Deutsches Know-how und Schlüsseltechnologien Made in Germany sind in Brasilien sehr gefragt. So ist der Bedarf an Sicherheitstechnik, Energieversorgung und Telekommunika-tion vor den Spielen enorm – Bereiche, in denen deutsche Unternehmen zur Weltspitze gehören. Eine direkte Beteiligung deutscher Firmen am Ausbau von Straßen, Flughäfen oder dem Schienennetz ist dagegen eher unwahrscheinlich. Aufträge werden vornehmlich an einheimische Unternehmen oder Konsortien vergeben. Um auf dem brasilianischen Markt als Logistiker erfolgreich agieren zu können, sollten deutsche Unternehmen auf regionale Partner setzen: Sie kennen die besonderen Gegebenheiten vor Ort und helfen, die nach wie vor großen Sprachbarrieren zu überwinden.
„In Brasilien herrscht trotz aller Herausforderungen große Euphorie und Begeisterung im Vorfeld der großen Sportevents“, so Wimmer. „Wenn es gelingt, diese Euphorie zu be-wahren, wird mit einer dauerhaft leistungsfähigen Infrastruktur eine der wirtschaftlichen Schwachstellen des Landes bald beseitigt sein. Das wird auch dem Wirtschaftsbereich Logistik in Brasilien noch einmal einen Schub geben.“
 
Am 4. April 2013 lädt die BVL gemeinsam mit der Deutsch-Brasilianischen Außenhan-delskammer zur 4. Deutsch-Brasilianischen Logistikkonferenz in São Paulo. Referenten aus beiden Ländern präsentieren dabei ihre Erfahrungen im südamerikanischen Markt. Die Veranstaltung bietet eine Plattform zum Austausch von Unternehmern, Politikern, Wissenschaftlern und Logistikexperten aus Industrie, Handel, Dienstleistung und trägt dazu bei, die Beziehungen zwischen beiden Ländern im Bereich Logistik auszubauen. 

Quelle: BVL
 

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