Deutsche Industrie verschenkt im Einkauf Milliarden

ARAIA-Studie zu Optimierungshebeln im Einkauf // Signifikante Einsparmöglichkeiten bleiben ungenutzt // Einkauf, Logistik, Produktion und Entwicklung müssen besser zusammenarbeiten // Marc Staudenmayer: „Die deutsche Industrie lässt weiterhin Milliarden von Euro im Einkauf liegen“

 

Trotz der Wirtschaftskrise verschenken deutsche Industrieunternehmen jedes Jahr Milliarden Euro im Einkauf, weil sie ihre Möglichkeiten, die Beschaffung zu verbessern, bislang nicht ausschöpfen. Das ist das Ergebnis einer Studie der ARAIA Consulting GmbH, München (ARAIA). So nutzen derzeit nur etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen die Chance, durch eine verbesserte Konstruktion ihrer Produkte Kosten zu senken – obwohl dadurch fast zehn Prozent gespart werden könnten. Varianten von Zulieferprodukten zu verringern reduziert die Kosten im Schnitt um mehr als sieben Prozent; trotzdem nutzt gegenwärtig nur jedes zweite Unternehmen diese Strategie konsequent aus, wie die Studie „Optimierungshebel im Einkauf“ zeigt. Befragt wurden 77 Einkäufer, Supply Chain Manager, Einkaufsleiter und Finanzvorstände deutscher Industrieunternehmen, die insgesamt ein Einkaufsvolumen von 250 Milliarden Euro repräsentieren.

 

Marc Staudenmayer, Gründer und Geschäftsführer von ARAIA: „Es ist erschreckend, dass viele im Grunde einfache Methoden zur Kostensenkung nicht richtig genutzt werden. Das geht zu Lasten der Gewinnmargen, schwächt die Unternehmen im Wettbewerb und gefährdet Arbeitsplätze.“

 

Die Studie untersucht, wie die deutschen Industrieunternehmen verschiedene Ansätze und Methoden, sogenannte Hebel, nutzen, um ihren Einkauf zu verbessern. Dabei betrachtet die Untersuchung insgesamt zwölf verschiedene Hebel in drei Gattungen:

 

  • Die kaufmännischen Hebel beleuchten, vereinfacht ausgedrückt, wo eine Firma einkauft und ob sie beispielsweise ihre Einkaufsmacht unternehmens-übergreifend bündelt, um bessere Konditionen zu bekommen.
  • Die technischen Optimierungshebel setzen bei der Frage an, was gekauft wird, beispielsweise wie viele Varianten eines Produkts.
  • Hebel entlang der Lieferkette fragen nach dem „Wie“ des Einkaufs und befassen sich beispielsweise mit dem Management von Lieferantenbeziehungen.
Als eines der zentralen Ergebnisse zeigt die Studie, dass sich mit den drei am seltensten genutzten Optimierungshebeln durchschnittlich Einsparungen zwischen sechs und zehn Prozent erzielen ließen. Dies betrifft als erstes den Hebel Reduktion von Produktvarianten, zweitens die strategische Make-or-Buy-Entscheidung und drittens den Hebel Redesign-to-Cost, d. h. die kostengetriebene Konstruktion oder Überarbeitung von technischen Produkten. Darüber hinaus werden auch die häufig angewendeten kaufmännischen Hebel noch nicht voll ausgeschöpft. Dies ist darin begründet, dass viele Abläufe im Einkauf nicht transparent genug sind und softwarebasierte Einkaufslösungen nach wie vor auf große Skepsis stoßen. Staudenmayer: „Die deutsche Industrie lässt weiterhin Milliarden von Euro im Einkauf liegen.“

 

Technische Ansätze mit viel Potenzial

Dass gerade das Potenzial von technischen Hebeln wie Variantenreduktion, Make or Buy und Redesign-to-Cost noch nicht ausreichend ausgeschöpft wird, wundert den Fachmann nicht: „Zum einen verhindert der mangelnde Austausch zwischen dem Einkauf und anderen Fachabteilungen, etwa Produktion, Logistik, Qualitätsmanagement und Entwicklung, dass unternehmensweit akzeptierte Lösungen entstehen“, weiß Staudenmayer. „Zum anderen fehlt dem Einkauf häufig das Know-how, um komplexe technische Produkte zu vereinfachen oder zu verändern.“ Es falle vielen Unternehmen leichter, bewährte Hebel fraglos weiterhin anzuwenden, als völlig neue Ansätze umzusetzen.

 

Crossfunktionale Teams gefordert

Bei einem Redesign-to-Cost-Prozess müssen beispielsweise alle Komponenten einer Ware oder Dienstleistung auf ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis hin überprüft werden – eine große Herausforderung angesichts der zunehmenden Produktkomplexität. Nur wenn Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Qualitätsmanagement ihr Fachwissen in den Veränderungsprozess einbringen, ist eine optimale Lösung möglich. Auch beim Thema „Variantenreduktion“ ist ein regelmäßiger Austausch nicht nur mit der Konstruktion, sondern auch mit Marketing und Vertrieb von besonderer Bedeutung. Nur so kann verhindert werden, dass ständig neue Produktvarianten oder -familien entstehen, statt auf preiswertere Standards und Normteile zurückzugreifen.

 

Top-Hebel mit kleinen Schwächen

Aber auch die gängigsten Hebel aus dem kaufmännischen Bereich – Bündelung von Bedarfen, Lieferantenverhandlung und Sourcing – weist die Untersuchung auf Verbesserungsmöglichkeiten hin. Ein Beispiel ist die produkt-, geschäfts- und standortübergreifende Zusammenfassung von Bedarfen, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken und bessere Konditionen zu erzielen: Rund ein Viertel der befragten Unternehmen gab an, gar keine oder nur eine teilweise Analyse ihrer Stammdaten durchzuführen. „Dabei ist gerade Transparenz über alle Beschaffungsprozesse und -strukturen hinweg ein wichtiger Schlüssel zum Einsparerfolg“, sagt Staudenmayer. „Wenn der Einkauf nicht weiß, wer was von wem in welchen Mengen kauft, lassen sich auch keine Skaleneffekte erzielen, die Zahl der Lieferanten kann nicht gesenkt werden.“

 

Verbreitete Skepsis gegenüber eProcurement

Eine Lösung für das Dilemma bieten einheitliche und unternehmensweit gültige Beschaffungsrichtlinien und klar definierte Prozesse. Sie tragen auch dazu bei, das sogenannte Maverick Buying einzugrenzen. Immerhin jedes dritte befragte Unternehmen gab an, bis zu einem Fünftel des Beschaffungsvolumens werde an der Einkaufsabteilung vorbei beschafft. Auch bei Lieferantenverhandlungen und beim Sourcing deckt die ARAIA-Studie deutlichen Nachholbedarf auf: So ist die Skepsis gegenüber Software-Lösungen (eProcurement), die zum Beispiel Bietprozesse automatisieren, nach wie vor groß. 60 Prozent der Befragten sagten, sie nutzten die Möglichkeiten einer elektronischen Ausschreibung oder Bestellabwicklung nur teilweise bis gar nicht. Ein weiterer Schwachpunkt im Lieferantenmanagement: Neue Ansätze, um Kosten- und Preisstrukturen zu verbessern, sind noch kaum verbreitet. Nur ein Drittel der Studienteilnehmer greift zum Beispiel Profit-Sharing auf, ein Modell, bei dem der Lieferant an den Gewinnen beteiligt wird, dafür aber bessere Konditionen zusichert.

 

„In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist der Einkauf verstärkt als Kostenoptimierer gefordert“, bilanziert Staudenmayer. „Damit Beschaffer diese Rolle optimal ausfüllen, müssen sie drei grundlegende Veränderungen angehen: im Sinne einer vernetzten Unternehmenskultur mehr Transparenz und Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Funktionsbereichen herstellen; elektronische Informationssysteme stärker nutzen und so systematische und automatisierte Prozessabläufe fördern; und im Lieferantenmanagement häufiger kooperative Modelle berücksichtigen, die Geschäftspartner am Erfolg einer Unternehmung, aber auch an ihren Risiken beteiligen.“

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