Double-dip in Europa und Asien erhöht den Globalisierungs- und Konsolidierungsdruck in der LKW-Branche

Die aktuelle Absatzkrise bei LKW ist vor allem in West- und Südeuropa, Brasilien und China zu spüren. Insgesamt ist die Branche auf zyklische Entwicklungen eingestellt und kann die erneute Talfahrt nach dem Rekord-Einbruch von 2009 in den nächsten Jahren wegstecken. Dies zeigt die aktuelle AlixPartners Commercial Vehicle-Studie 2012. Mittelfristig gilt es, weiter zu expandieren, vor allem in die Schwellenländer, denn der weltweite Wachstumstrend für LKW bleibt nachhaltig. Allerdings werden im zusehends reiferen und damit kostengetriebenen LKW-Markt künftig nur diejenigen Hersteller noch ausreichende Renditen erzielen, die deutliche Skaleneffekte nutzen können und typische Branchen-Ineffizienzen beseitigen. Deshalb müssen die Hersteller ihre Globalisierung konsequent fortsetzen. Um in den Schlüsselmärkten erfolgreich zu sein, benötigen sie zudem eine Lokalisierung ihrer Produkte und Lieferketten. Zudem bleibt der Kostendruck erhalten. Kostensenkungen lassen sich durch weltweite Skaleneffekte bei Produkten beispielsweise durch Modulstrategien, im Einkauf sowie bei optimierten Prozessen in der Zusammenarbeit mit Zulieferern erzielen.
 
In Europa hat die Eurokrise eine zweite LKW-Markt-Depression ausgelöst, die den üblichen Acht-Jahres-Zyklus der Branche durchbricht: Nach einem bisher beispiellosen Einbruch des LKW-Absatzes im Jahr 2009, der in Europa und den USA mit rund 60 bis 70 Prozent Produktionsrückgang am stärksten war, hatten sich die Absatzzahlen 2010 und 2011 wieder erholt. Nun erlebt die Branche einen erneuten Absatzrückgang, allerdings fokussiert auf West- und Südeuropa, Brasilien und China. Die Gründe für den Rückgang in 2012 sind jedoch sehr unterschiedlich. In Westeuropa rechnet die AlixPartners Commercial Vehicle-Studie 2012 mit einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr von voraussichtlich 15 bis 20 Prozent – vor allem durch einen dramatischen Absatzrückgang in Südeuropa (bis zu 40 Prozent) aufgrund der Eurokrise. Ein noch stärkerer Konjunktureinbruch ist denkbar. Das Spitzenniveau von 2008, so die Studie, wird in West- und Osteuropa voraussichtlich nicht vor 2015/2016 wieder erreicht. Der Rückgang in Brasilien (bis zu 20 Prozent) ist hauptsächlich durch die Einführung der Euro V Abgasnorm verursacht, da die Käufer die Investitionen in die (preiswerteren) Euro III Fahrzeuge im Rekordjahr 2011 getätigt haben. Der Rückgang in China (ca. 12 Prozent) ist auf eine „verordnete Verschnaufpause“ zurückzuführen. In den restlichen Regionen ist vor allem Wachstum zu verzeichnen – beispielsweise in den USA um 12 Prozent aufgrund der steigenden Investitionen in neue Fahrzeuge oder um über 20 Prozent in Russland dank eines starken Wirtschaftswachstums.
 
LKW bleiben ein Wachstumsmarkt
Getrieben von der zunehmenden globalen Arbeitsteilung und einer steigenden Wirtschaftsleistung bleibt der weltweite Markt für LKW auch künftig eine Wachstumsbranche. Allerdings ist der LKW-Absatz stark zyklisch, wobei die Zyklen sehr eng an das allgemeine Wirtschaftswachstum gekoppelt sind – dies trifft besonders auf die reifen Märkte in der Triade zu. Nach Stückzahlen liegt die mittelfristige Wachstumsprognose der Branche bis zum Jahr 2015 weltweit bei 4,3 Prozent pro Jahr. Dies entspricht 530.000 zusätzlich verkauften LKW zwischen 2011 und 2015, wobei der Löwenanteil von knapp 300.000 auf China und die Asien-Pazifik-Region entfällt – und dies, obwohl sich das Marktwachstum in China verlangsamt und nur noch bei 3,2 Prozent liegt. Berücksichtigt werden muss bei diesen Zahlen, dass die LKW in den Schwellenländern im Durchschnitt nur rund halb so teuer sind wie in den Industrieländern Europa, USA und Japan. Die Umsätze je Fahrzeug sind deshalb deutlich niedriger als in den Industrieländern, der Durchschnittpreis steigt jedoch stetig an.
 
„Trotz des aktuellen Einbruchs in Europa, Brasilien und China bleiben die Wachstumstreiber der Branche nach wie vor intakt – dies sind vor allem die globale Arbeitsteilung, der wachsende Wohlstand und der nachhaltige Investitionsbedarf“, sagt Gorazd Vrbica, Director bei AlixPartners. „Die regionalen Absatzschwächen verdeutlichen, wie wichtig eine internationale Präsenz für die LKW-Hersteller ist.“
 
Auch im LKW-Markt liegt die Zukunft in den Schwellenländern
Derzeit gibt es weltweit vier führende internationale Hersteller von schweren LKW: Daimler mit den Marken Mercedes, Freightliner, Mitsubishi und Fuso; Volvo mit den Marken Renault, Mack und Nissan; Paccar mit den Marken DAF, Kenworth und Peterbuilt; sowie VW mit Mehrheitsbeteiligungen an den Marken MAN und Scania. Die großen LKW-Hersteller haben aus vielen Gründen ein vitales Interesse an einer Expansion in den Schwellenländern: Erstens können sie hier am weltweit höchsten Wachstum teilhaben, zweitens erlaubt eine globale Präsenz, die meist regionalen Konjunkturschwankungen besser abzufedern, drittens können die Investitionen auf höhere Stückzahlen verteilt werden, viertens können größere Unternehmen günstiger einkaufen, und fünftens lassen sich auch die hohen Entwicklungsaufwendungen zur Verbrauchs- und Emissionssenkung auf höhere Stückzahlen umlegen, da auch die Schwellenländer mit einem Abstand von fünf bis zehn Jahren in ihren Umwelt- und Sicherheitsstandards nachziehen.
 
„Die Globalisierung ermöglicht den LKW-Herstellern, eine kritische Größe zu erreichen“, sagt Elmar Kades, Managing Director bei AlixPartners. „Im zyklischen und zunehmend reifen LKW-Markt, in dem der Kostenaspekt mehr und mehr im Vordergrund steht, können künftig nur global agierende Unternehmen, die alle Skalenvorteile nutzen, noch ausreichende Renditen erzielen.“
 
„Going local“ durch Mergers und Kooperationen
Wer in den Schwellenländern LKW verkaufen will, muss dort auch heimisch werden: Eine Vor-Ort-Fertigung lokalisierter LKW-Modelle, ein Netz einheimischer Zulieferer und ein dichtes Vertriebs- und Servicenetz sind auch in den BRIC-Staaten die Grundlage für jeden Markterfolg. Ein Start vom Nullpunkt aus dauert jedoch viele Jahre, vor allem was den Aufbau erfolgreicher Vertriebs- und Servicenetze betrifft. Daher bieten sich Akquisitionen, Beteiligungen, Joint Ventures oder Kooperationen mit lokalen Partnern an. Viele der internationalen Hersteller haben sich bereits lokale Kooperations- und Joint-Venture-Partner gesichert, so etwa VW/MAN den chinesischen LKW-Hersteller CNHTC oder Daimler die russische Kamaz.
 
„Wir erwarten mittel- bis langfristig eine weitere Konsolidierung der Anbieterlandschaft bei schweren LKW“, so Kades. „Mit Ausnahme der großen chinesischen Hersteller sowie der indisch-koreanischen Tata/Daewoo sind die lokalen Player auf Dauer zu klein, um erfolgreich im Wettbewerb bestehen zu können.“
 
Lokale Fahrzeuge, globale Plattformen
Den Welt-LKW gibt es nicht. Stattdessen müssen die Produkte der globalen LKW-Hersteller eine wachsende Vielfalt an regionalen Standards und spezifischen Kundenanforderungen erfüllen. Dies betrifft nicht nur die unterschiedlichen Emissions- und Sicherheitsbestimmungen, die jeweils mit einem Minimum an Aufwand und Kosten erreicht werden müssen; wie bei den PKW nimmt auch im Nutzfahrzeugbereich die Vielfalt an kundensegmentspezifischen Fahrzeugvarianten und Komplettlösungen zu. Zur Standardpalette gehören heute Verteilerverkehrs- und Kurzstrecken-LKW, Langstrecken-LKW und Baustellen-LKW.
 
„Um diese hohe Komplexität zu minimalen Kosten abbilden zu können, sind eine höhere Teile-Standardisierung und Modulkonzepte notwendig“, sagt Andreas Rapp, Director bei AlixPartners. „Die LKW der Zukunft basieren auf gemeinsamen Modulstrategien für alle lokalen und segmentspezifischen Varianten, welche auf einem variantenflexiblen Hauptband lokal gefertigt werden“ sagt Andreas Rapp, Produktions- und Logistikexperte bei AlixPartners. Dabei werden sowohl der LKW-Aufbau, vom Chassis über Achsen bis hin zur Elektronik, als auch die Produktionsprozesse, in der Fahrzeugmontage wie in der Komponentenfertigung, weltweit modularisiert und standardisiert. Berechnungen von AlixPartners zeigen, dass dadurch Produktionskosteneinsparungen von 20 Prozent und Entwicklungskosteneinsparungen von 30 Prozent möglich sind.
 
In vielen Schwellenländern ist der LKW-Standard noch relativ niedrig; ein chinesischer LKW kostet heute etwa die Hälfte eines vergleichbaren Fahrzeugs für den europäischen oder nordamerikanischen Markt. Doch die Standards steigen schnell, getrieben sowohl von den wachsenden Kundenanforderungen als auch von den sich verschärfenden gesetzlichen Bestimmungen. „Derzeit beobachten wir in den Emerging Markets einen klaren Markttrend zu den hochwertigeren, leistungsfähigen LKW”, sagt Vrbica. „Bis zum Jahr 2020 rechnen wir mit deutlich weiterentwickelten Fahrzeugen, die gegenüber den europäischen LKW nur noch um rund ein Drittel günstiger sind.“
 
Solche zukünftigen „Value“-LKW könnten bei leicht gesenkten Spezifikationen gegenüber modernen westlichen LKW klare Kostenvorteile erreichen. Dabei werden wichtige Standardmodule, wie etwa Bremsen oder Achsen, von Zulieferern in Niedriglohnländern und mit hohem Automatisierungsgrad gefertigt. „Value-Fahrzeuge werden damit auch auf anderen Märkten sehr wettbewerbsfähig sein und Auswirkungen auf den Markt selbst in Europa und den USA haben. Es ist daher sehr wichtig für die weltweiten LKW-Hersteller, diese Entwicklung selbst voranzutreiben“, so der Produktions- und Logistikexperte Rapp.
 
Verbesserte Zusammenarbeit mit Zulieferern
Kostensenkungspotenziale identifiziert die Studie auch bei der Zusammenarbeit mit den Zulieferern. Der Vergleich mit der PKW-Produktion zeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen LKW-Herstellern und ihren Zulieferern verbessert werden kann. „Die Potenziale bei den Zulieferern sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft“ sagt Beschaffungsexperte Vrbica. „Vor allem in den Schwellenländern ist die vertikale Integration noch sehr hoch. Dabei hätte eine stark entwickelte Lieferantenbasis in diesen Ländern enormes Potenzial – durch eine bessere Möglichkeit der Lokalisierung globaler Player und den Export der Komponenten in westliche Länder“.
Eine höhere Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg könnte die gemeinsame Planung sowie die Steuerung von Kapazitäten, Risiken und Kosten optimieren. Rapp zufolge sind die Zulieferer der ersten Ebene oft noch nicht so weit, die Verantwortung für komplette Teilsysteme zu übernehmen – auch weil die LKW-Hersteller noch keine Verantwortung abgeben wollen. So werden die Aufgaben der Tier-1-Zulieferer häufig zweimal erledigt, es kommt zu Änderungen, Verzögerungen und Kostenüberschreitungen.
 
Ebenso kann eine verbesserte Abstimmung zwischen Herstellern und Zulieferern bei technischen Änderungen und Produktionsanläufen helfen, die Anlieferungen zu harmonisieren und gemeinsame Einsparungen zu realisieren. In der Regel ist es zudem machbar, Lagerbestände zu reduzieren, das Distributions-Netz zu optimieren und „make or buy“-Entscheidungen zu verringern. „Gemeinsam entwickelte und gemanagte Prozessteuerungs-Systeme ermöglichen eine reibungslosere Zusammenarbeit und beschleunigen Verbesserungsprozesse“, sagt Rapp. „Auch das Inventar- und Kostenmanagement sollte transparent und gemeinschaftlich geführt werden, um die Gesamtkosten für Hersteller und Zulieferer zu senken.“
 
Optimierung der Flex-Konzepte
Der LKW-Markt ist zyklisch. Über die Jahrzehnte ist eine enge Korrelation mit den Schwankungen des Bruttoinlandsprodukts nachweisbar –in guten Jahren wird gekauft, in schlechten wird der Kauf neuer LKW bevorzugt zurückgestellt, und die alten Fahrzeuge werden stattdessen länger gefahren. Daraus ergeben sich jährliche Schwankungen von bis zu 30 Prozent. Die Flexibilisierung der Produktion – und des gesamten Unternehmens – ist eine der Grundvoraussetzungen, um zukünftig im LKW-Markt bestehen zu können. Es gilt, in Krisenzeiten die Produktion schnell herunterzufahren, um möglichst nicht in die Verlustzone zu geraten. Springt der Markt aber an, muss ebenso schnell wieder in hohen Stückzahlen produziert und geliefert werden. Die großen LKW-Hersteller haben zwar bereits ein hohes Maß an Flexibilisierung erreicht, im nächsten Jahrzehnt gilt es jedoch, die Flex-Konzepte zu verfeinern und auf eine weltweite Basis zu stellen.
 
Die Basis der Flexibilisierung bildet eine laufend durchgeführte Absatzprognose, die rechtzeitig vor Marktschwankungen warnt. Ein Lieferantenmanagement gibt diese Warnungen an die Zulieferer weiter und reduziert oder erhöht rechtzeitig alle Bestellungen, sodass die Lager stets auf Soll-Stand gehalten werden können und auch die Zulieferer laufend und frühzeitig über zu erwartende Produktionsmengen informiert werden. Passend dazu gibt es in der Produktion ein Flex-Arbeitskonzept mit langfristigen Zeitkonten – Mitarbeiter der Anhänger- und LKW-Fertigung können somit auch mal für sechs Monate nach Hause geschickt werden. „Die führenden Hersteller sind heute so weit, dass sie einen Großteil ihrer Fixkosten in variable Kosten umgewandelt haben. Diesen für die Branche zentralen Faktor gilt es zu halten und weiter auszubauen“, so Rapp.
 
Emissions- und Verbrauchssenkung
Die Einhaltung neuer Emissionsrichtlinien und die Senkung des Kraftstoffverbrauchs zwingen die Hersteller von Nutzfahrzeugen zur Entwicklung neuer Antriebe. Im LKW-Bereich sind dies in erster Linie kleinere, verbrennungsoptimierte Dieselmotoren mit Aufladung, Abgasrückführung und Abgas-Nachbehandlung sowie effizientere Getriebe. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs wird zunächst nur bei Fahrzeugen im Stadtbetrieb Einzug halten, also vorrangig Busse und leichte Distributionsfahrzeuge, die zunächst jedoch ein Nischenmarkt bleiben werden. Für schwere und mittelschwere LKW gibt es nach wie vor keine Alternative zum Dieselmotor als gleichzeitig energieeffiziente und gewichtssparende Lösung. „Die Vorteile der Hybrid- und Elektroantriebe sind vor allem im Stop-and-Go-Verkehr der Städte spürbar“ sagt Vrbica. „Die Entwicklungsinvestitionen für solche Antriebe sind allerdings enorm, was sogar für die hochvolumige PKW-Industrie eine Herausforderung darstellt.“
 
Reine Elektro-Nutzfahrzeuge werden nach derzeitigem Technikstand nur langfristig und regulierungsgetrieben einen Markt finden. Auch innovative Treibstoffe besitzen nur kurzfristiges Potenzial, und Biodiesel hat aufgrund seiner gegenüber traditionellem Dieselkraftstoff schlechten Ökobilanz geringere Chancen. Eine weitere Aufgabe der LKW-Hersteller ist die Gewichtsreduktion ihrer Fahrzeuge durch Leichtbau-Materialien und innovative Truck-Trailer-Kombinationen. Auch an einer Verringerung des Luftwiderstands wird stetig gearbeitet, sofern diese Maßnahmen nicht die Nutzbarkeit des Laderaums einschränken.
 
„Das Marktwachstum ist intakt und die führenden LKW-Hersteller sind auf dem richtigen Weg“, resümiert AlixPartners-Experte Kades. „Wenn sie weiterhin konsequent auf globale Expansion, umfassende Kostensenkung und lokalisierte Produktoptimierung setzen, können die Top Four auch in Zukunft gegen die stark wachsende Konkurrenz aus Asien bestehen.“

Quelle: AlixPartners

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