Europa, beeil dich

Die „Züge“ Industrie und IT fahren bereits woanders ab – mit Industrie 4.0 könnte der Anschluss noch gelingen.

Das in Deutschland schon seit längerem heiß diskutierte Trend-Thema Industrie 4.0 stößt seit einigen Monaten auch in Österreich auf stark steigendes Interesse. Capgemini Österreich, adesso Austria und Fraunhofer Austria Research haben in Wien eine informelle Expertenplattform ins Leben gerufen, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Thema auch hierzulande zur „Chefsache“ zu machen. Denn noch können einige Randgebiete der EU wie Estland, Polen, Rumänien oder Irland mit attraktiven Industriestandorten locken, aber der Zug in Richtung „Produktion“ fährt immer weiter östlich ab. In der IT-Industrie sind es wiederum die USA, die Europa in eine atemberaubende Abhängigkeit getrieben haben. Europas Politiker hören die Botschaft wohl, wollen aber die Auswirkungen auf die Arbeits-platzsituation nicht wahrhaben oder negieren sie sogar. Einzig die Initiativen rund um Industrie 4.0 – vor allem getrieben von Deutschland – können zumin-dest in Teilbereichen hoffnungsfroh stimmen. Auch für den Standort Österreich. Dass das Thema „Digitalisierung“ nun auch massiv in der europäischen Wirtschaft angekommen ist, bestätigt der CEO von Capgemini in Österreich, Klaus Schmid: „Wir erleben seit geraumer Zeit einen Digitalisierungsschub neuer Qualität, der nahezu alle Berei-che der Gesellschaft betrifft“, sagt der Chef des weltweit tätigen IT-Beratungs- und Implementierungsunternehmens.

Der Modekonzern Burberry sei das erste Unternehmen gewesen, das Capgemini von Anfang bis Ende bei dieser Transformation begleiten durfte. Mit europäischem IT-Know-how versteht sich.
„Unser Asset in Europa, unser großes Plus gegenüber Konkurrenten wie China sind unser Know-how, unsere Kreativität sowie vor allem die Lösungs-kompetenz unserer Arbeitskräfte“, verwies der Geschäftsführer von Fraunhofer Research Austria, Wilfried Sihn, kürzlich darauf, dass der nach wie vor entscheidende Erfolgsfaktor in der Wirtschaft unverändert der gut ausgebildete Mensch sei. Hohes Ausbildungs-niveau, gekoppelt mit „Industrie 4.0“, einer Strategie, die diese Fähigkeiten im internationalen Wettbewerb mithilfe digitaler Technologien möglichst effizient steuert, wäre das Asset, mit dem Europa sich einen Platz in der industriellen Führungsliga sichern könnte.

Der große Vorteil gegenüber traditionellen Produktionssteuerungs- und Planungssystemen (PPS) liegt darin, dass man nun dank hoch entwickelter Sensortechnik in der Lage ist, Echtzeitdaten zu verarbeiten. In der technologischen Umsetzung von Industrie 4.0 geht es somit nicht nur um massiven IKT-Einsatz, sondern auch stark um Sensortechnik, mit der massive Fortschritte erzielt werden konnten. Im Zusammenspiel mit Big Data-Analysemethoden und Cloud-Konzepten ergibt das ganz neue Möglichkeiten, Maschinen-, Produktions- und nicht zuletzt auch Produktdaten im Feld intelligent und in Echtzeit auszuwerten und mit den Bedürfnissen des Endkunden unmittelbar in Beziehung zu setzen.

Big Data also auch in der Produktion. Isabella Mader, Vorstand des Excellence Institutes: Arbeiten des MIT zeigen, wie man Wissen aus dem Kundenservice in einem bidirektionalen Austauschprozess einbeziehen sowie aus dieser Kundenrückkopplung kontinuierlich Lehren ziehen kann und damit Muster erkennt, um Optimierungspotenziale, aber auch völlig neue Geschäftschancen dank Industrie 4.0 forcieren zu können.

In Zukunft werden also neue Paradigmen die IT bestimmen, bei denen Europas IT-Industrie noch mitmischen kann: Für Erwin Greiml, Geschäftsführer beim Softwarehaus adesso Austria, sind dies folgende drei Paradigmen, nämlich Mobilität, Agilität, also die schnelle Reaktion auf Veränderungen, sowie Elastizität der Infrastrukturen, die sich in Dimension und Funktionalität an die Geschäftsprozesse anpassen können. In Deutschland werde das Thema Industrie 4.0 ganz groß geschrieben, in Österreich sei man da leider noch zurückhaltender. Es ist daher höchst an der Zeit, dass sich die österreichische Politik ernsthaft und dauerhaft mit den Chancen und Potenzialen auseinandersetzt, die die „ad hoc vernetzten, echtzeitfähigen, dezentralen und selbstoptimierenden Cyber-Physical-Production-Systems, CPPS“ (offizielle Definition für Industrie 4.0) für die österreichische Industrie bringen können.

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 3-2014

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