Logistik und Infrastruktur in der Russischen Föderation

Mehr als 200 Experten aus Deutschland und Russland trafen sich am 18. und 19. Juni zur 2. Deutsch-Russischen Logistik-Konferenz der BVL in Moskau. Der russische Logistikmarkt ist im Aufbau – und gleichzeitig im Wandel begriffen. 
 
Ein Markteintritt in den zweitgrößten europäischen Logistikmarkt nach Deutschland lohne sich für westeuropäische Unternehmen aber schon jetzt, so der Generalbevollmächtigte der Knauf Gruppe GUS, Gerd Lenga. Ein wesentliches Konferenzthema war die Zusammenarbeit mit der russischen Eisenbahn RZD, die durch ihren Vizepräsidenten Salman Babaev prominent vertreten war. Der Unternehmer und Duma-Abgeordnete Mikhail Bryachak und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer dankten der BVL für ihre Initiative, für die Vorbereitung und Durchführung der Konferenz. 
 
Der Begriff Logistik beschreibt in Russland überwiegend die Kernfunktionen Transport, Umschlag, Lagerung – mit einem klaren Schwerpunkt auf Transport. Während der Konferenz wurde allerdings vielen Teilnehmern bewusst, dass auch in Russland das Logistik-Verständnis erweitert werden müsse. Ein Ansatz, der auch in anderen europäischen Ländern zum Erfolg geführt habe. Zunächst sei es jedoch vorrangig, die Herausforderungen in den Kernaufgaben der Logistik zeitnah zu lösen. 
 
Ein Markteintritt lohne sich für westeuropäische Unternehmen aber schon jetzt. Gerd Lenga, Generalbevollmächtigter der Knauf Gruppe GUS, stellte erstaunliche Fakten vor: Der russische Logistikmarkt sei nach Deutschland der zweitgrößte in Europa. Laut "The Economist" wachse die russische Wirtschaft in den nächsten Jahren zwischen 3,7 und 4,2 Prozent jährlich. Die Zeitung "Kommersant" berichtet am 07. Juni 2012, Präsident Putin habe es zur Chefsache gemacht, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern: Bis 2018 solle Russland vom 120. auf den 20. Platz entwickelt werden. Lenga fuhr fort: Volkswirtschaftlich bilde Russland deutlich stärker eine Mittelschicht aus, als dies in den anderen BRIC Staaten geschehe. Dadurch entstehe Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen – und das wiederum kurble die Wirtschaft weiter an. Zudem sei das Staatsdefizit Russland das mit Abstand niedrigste der BRIC-Staaten und die Umsätze der westlichen Unternehmen seien in Russland um das 5- bis 8-fache höher als in China oder Indien. Sein Fazit: Russland ist ein riesiger Markt mit guten Aussichten. Im gleicher Weise äußerten sich Ulrich Brandenburg, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, und Michael Harms, Vorsitzender des Vorstands der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK), die beide interessierten deutschen Firmen auch konkrete Unterstützung aus ihren Institutionen und ihren Netzwerken anboten. 
 
Mehrere konkrete Beispiele gelungener Engagements wurden vorgestellt, unter anderen von den Firmen Knauf, MAN Truck and Bus und BASF. Roman Platonov und Dennis Fanelsa von BASF stellten zwei Supply-Chain-Integrationen in Russland vor – in unterschiedlichsten Produktsparten, aber mit vergleichbaren Erfahrungen. Ihr Fazit: Wer sich vom Technikcenter zum Systemhaus zum Regionalen Hub inklusive Kostenoptimierung und Effizienzsteigerung entwickeln möchte, der brauche eine vollständige Geschäftsintegration, definitiv nur ein IT-System, lokale Partner, eine lokale Belegschaft und gute Netzwerke zum Informations- und Erfahrungsaustausch – übrigens nicht nur in Russland. 
 
Aus Sicht von Logistikdienstleistern bestätigen Tatiana Lyubimova von DHL Global Mail und Michael Pötschke von Arvato diese Einschätzung. Beide stellten nationale Spezifika des B2C Dienstleistungsmarktes in Russland vor: ein zurzeit wesentlich geringeres Volumen als in Westeuropa, Barzahlung statt Kreditkarte – und ein großes Potenzial für die Geschäftsentwicklung in den nächsten fünf bis zehn Jahren. 
 
Ein wesentliches Konferenzthema war die Zusammenarbeit mit der russischen Eisenbahn RZD, die durch ihren Vizepräsidenten Salman Babaev prominent vertreten war: Im Modal Split werden in Russland 85 Prozent der Warenströme per Bahn abgewickelt und nur rund 15 Prozent durch andere Verkehrsträger. Und das bei einer niedrigen Schienennetzdichte, einer seit Jahren rückläufigen Waggonproduktivität und einer durchschnittlichen Transportgeschwindigkeit von 15 km pro Stunde. Im Vergleich dazu werden in Deutschland 20 Prozent per Bahn transportiert und 80 Prozent durch andere Verkehrsträger – bei einer hohen Schienennetzdichte, einer steigenden Waggonproduktivität und einer durchschnittlichen Transportgeschwindigkeit von 45 km pro Stunde. Professor Alexander Kolik von der technischen Staatsuniversität Moskau führte ergänzend aus, dass im europäischen Teil Russlands ein entwickeltes Straßennetz bestehe und der Straßentransport mit der Eisenbahn konkurrieren könne. Im zentralen und östlichen Teil des Landes gäbe es jedoch zur Eisenbahn faktisch keine Alternative. 
 
Tim Zur, Logistikchef von Knauf beklagte, die RZD besitze in Russland ein Monopol bei der Traktion und gestalte die Tarife und die Anforderungen in Eigenregie. Hinzu kämen Beschränkungen des Gütertransports durch saisonalen Personenverkehr sowie zu unangekündigten Infrastruktur-Reparaturen in der Hochsaison. Dies führe zu Versorgungsengpässen, Produktionsstopps und nicht bedarfsgerecht belieferten Kunden, beispielsweise für den Bau olympischer Objekte in Sotschi. 
 
Darüber hinaus stufe das Verkehrsministerium vergleichbare Produkte von Wettbewerbern günstiger ein, als Knauf Gipsplatten. So entstünden zusätzlich wettbewerbsverzerrende Unterschiede in den Logistikkosten. Dem sei – so waren sich Verlader einig – nur durch konsequente Entmonopolisierung und Privatisierung zu begegnen. 
 
Der Zollthematik wurde eine eigene Sequenz mit Kurzvorträgen russischer Spezialisten unter der Leitung von Oleg Dunaev, Vorsitzender des Logistikkomitees der Russischen Handelskammer, gewidmet. Das Fazit war ernüchternd, aber mit einer positiven Perspektive versehen: So lange die Zollbehörden so autark bleiben wie heute, wird sich wenig ändern. Aber das Thema ist in der Politik angekommen und seitens der Wirtschaft werden Restriktionen der Behörden nicht mehr kritiklos hingenommen. 
 
Karl-Friedrich Rausch, Vorstand Transport und Logistik bei der Deutschen Bahn, wusste durchaus positivere Erfahrungen zu berichten. Am Beispiel Volkswagen Kaluga und dem Schienenkorridor von China nach Europa stellte er Projekte vor, die gemeinsam erfolgreich entwickelt wurden und nun produktiv in Betrieb sind. Manfred Kuhr, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group, konnte das beeindruckend bestätigen, insbesondere wie gut die Zusammenarbeit mit Joint Venture Partnern in Russland funktioniert – allen Vorurteilen zum Trotz. Mit dem russischen Partner Fesco werden Teile nach und Fertigfahrzeuge aus Kaliningrad, St. Petersburg, Moskau, Alabuga, Nishni Nowgorod und Wladiwostok für verschiedenste Markenhersteller mit einer Produktionskapazität von 3,15 Millionen Fahrzeugen bewegt – und in Supply Chains organisiert. 
 
Als Parlamentarischer Staatssekretär und Logistikkoordinator der Bundesregierung betonte Andreas Scheuer die Bedeutung der Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg, die gemeinsamen Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit sowie die in der Praxis realisierten Ergebnisse. Er bezeichnete Russland nicht nur als bedeutenden Wirtschaftspartner, sondern auch als Drehkreuz zwischen Europa und Asien. Mikhail Bryachak, der erst kürzlich als Unternehmer in das Komitee für Transport in die Staatsduma gewählt wurde, hob hervor, wie wichtig Deutschland als Partner für die Konsolidierung und Weiterentwicklung logistischer Systeme in der Russischen Föderation sei: für Import, Export und Transit, für eine Integration in globale Warenströme. Und für einen Beitritt Russlands in die Welthandelsorganisation WTO. 

Quelle: MyLogistics

Portal: www.logistik-express.com  

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