Nicht jede Feder zählen

Das Logistik- und Dienstleistungsunternehmen arvato services will die Inventur in vielen Lagerbereichen auf das Stichprobenverfahren umstellen. Den Anfang machte der Mobile-Devices-Reparatur-Standort Herzebrock. Dahinter steckt die Softwarelösung Stasam der Stat Control GmbH.

Ein Leben ohne Mobilfunk? Die meisten Menschen schütteln bei dieser Frage den Kopf und eine wachsende Zahl von Haushalten spart sich stattdessen sogar schon den Festnetzanschluss. Umso schlimmer, wenn das zum zentralen Kommunikationsmedium avancierte Handy ausfällt und repariert werden muss.

Für die Handy-Hersteller ist es deshalb extrem wichtig, einen sehr schnellen und zuverlässigen Garantie-Service zu bieten. Führende Mobilfunkanbieter haben dieses Kernthema auf arvato services übertragen. An den Standorten in Herzebrock, Trier und Korbußen bei Gera betreibt der unter anderem auf die Telekommunikationsbranche spezialisierte Full-Service-Dienstleister drei Betriebe, die sich auf die Instandsetzung von Mobiltelefonen aller Hersteller spezialisiert haben. Jährlich werden hier mehr als 1,5 Millionen Mobilfunkgeräte repariert. 80 bis 90 Prozent aller eingehenden Aufträge sind Garantiefälle und werden direkt mit den Herstellern abgerechnet.

Umstrittene Vollinventuren
Allein in Herzebrock lagern auf einer Fläche von 400 Quadratmetern für die unzähligen Modelle und Ausführungen mehr als 15.000 verschiedene Ersatzteile. "Je nach Art reicht ihr Wert von 0,1 Cent für eine Schraube oder Feder bis hin zu 80 bis 300 Euro für eine Platine", erklärt Iris Jarvers, die bei arvato services das Bestandscontrolling mitverantwortet. Jeder Artikel wird von arvato gekauft und fließt als Handelsware in den Bestand des Unternehmens. Dort wird er mit großer Akribie verwaltet, überwacht und vor Diebstahl geschützt. Schließlich gehören Handys neben MP3-Playern, Fernsehern oder Notebooks nach wie vor zu den besonders begehrten Industriegütern. Und es ist nicht allzu schwer, sich aus vielen kleinen Ersatzteilen nach und nach ein voll funktionsfähiges Telefon zusammen zu bauen.

In Herzebrock wird deshalb zweimal im Jahr eine Inventur durchgeführt. Bisher wurde dabei jede einzelne Lagerposition mühsam gezählt und dokumentiert. 120 Mitarbeiter, aufgeteilt auf 60 Zählteams, waren damit einen Tag lang beschäftigt. "Durch die vielen Mitarbeiter ging es dann ziemlich eng im Lager zu", erinnert sich Jarvers. Zu den hohen Kosten für dieses aufwändige Verfahren kamen die Behinderungen im Tagesgeschäft sowie die am Ende eventuell nicht immer korrekten Ergebnisse. "Kein Mensch kann einen ganzen Tag lang nur zählen und dabei fehlerfrei arbeiten. Je länger man zählt, desto mehr Fehler schleichen sich ein", weiß Rudolf Linnemann, der bei arvato services die Innen- und Bestandsrevision leitet. Die Qualität von Vollinventuren ist deshalb umstritten.

Das hat auch der Gesetzgeber längst erkannt und erlaubt schon seit 1977 das Durchführen von Stichprobeninventuren. Paragraph 241 des Handelsgesetzbuchs (HGB) stellt die hierfür geltenden Regeln auf. Erlaubt sind die vereinfachten Inventur-Verfahren für Lager ab circa 1.000 Positionen. Grundlage dafür ist das Phänomen, dass etwa 20 Prozent aller Lagerpositionen 60 bis 95 Prozent des Lagerwertes repräsentieren. Diese Konstellation besteht auch in Herzebrock, wo kostbare Teile wie Platinen, Displays und Minikameras einen großen Teil des Wertes ausmachen.

Chemie hat gestimmt
Bei der Aufstellung des Inventars darf deren Bestand also auch mit Hilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden auf Grund von Stichproben ermittelt werden. Voraussetzung ist, dass die verwendeten Verfahren den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) entsprechen und die Qualität des so aufgestellten Inventars dem Aussagewert einer körperlichen Bestandsaufnahme gleichkommt. "Die Wirtschaftsprüfer konnten sich davon überzeugen, dass die Standorte Herzebrock, Trier und Gera alle Voraussetzungen erfüllen", erinnert sich Linnemann.

Im nächsten Schritt erkundigte sich der Consultant nach geeigneten Softwarelösungen. Vor allem musste das eingesetzte Programm durch eine Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft zertifiziert sein. Diese Bedingung erfüllen nur wenige Anbieter auf dem überschaubaren Markt für Inventursoftware – einer von ihnen ist die Stat Control GmbH. Am Ende des Ausschreibungs-Verfahrens entschied sich arvato services für das Inventursystem Stasam von Stat Control. Stasam ist ein Stichprobeninventur- und Controlling-System für die permanente und die stichtagsbezogene Stichprobeninventur. Im Gegensatz zu anderen Inventursystemen verwendet Stasam vier statistischen Verfahren: Berücksichtigt werden die Mittelwertschätzung, die Differenzenschätzung, die Verhältnisschätzung und die Regressionsschätzung. Die besonders hochwertigen Lagerpositionen werden zur Inventur voll gezählt.

"Neben der fachlichen Kompetenz und dem Preis hat uns vor allem das persönliche Engagement der Mitarbeiter des Unternehmens überzeugt", so Jürgen Bohnenkamp. Der kaufmännische Leiter bei arvato services ergänzt: "Da stimmt einfach die Chemie." Zudem habe sich Stasam problemlos in die vorhandene SAP-Landschaft von arvato services integrieren lassen. Seit Juli 2006 ist Stat Control als einziger Anbieter von Inventursoftware Business-Partner der SAP-Tochter Steeb.

Steigende Motivation
Der Mitte 2009 in Herzebrock durchgeführte Test verlief erfolgreich, sodass schon die Inventur im Rahmen des letzten Jahresabschlusses komplett mit Stasam durchgeführt wurde. Von den genau 15.256 Lagerpositionen mussten dabei nur 576 Stück gezählt werden. "Das sind gerade mal 3,8 Prozent der Artikel", so Linnemann. "Anstelle von 120 waren dafür nur noch 40 Mitarbeiter im Einsatz", betont Jarvers, die auch den Zeitvorteil genau beziffert: "Nach nur drei Stunden war die Arbeit, die uns früher einen Tag aufgehalten hat, erledigt." Dadurch sei bei den betroffenen Kollegen letztlich auch die Motivation gestiegen, was wiederum zu besseren Zählergebnissen führte. Aufgrund der einfachen Durchführbarkeit wird es in Herzebrock auch künftig zweimal pro Jahr eine Inventur geben. Ebenso klar ist, dass auch die Standorte Gera und Trier auf das Stichprobenverfahren umgestellt werden.

Die Amortisation der Software ist für Bohnenkamp deshalb kein großes Thema: "Die Investitionen in Höhe von insgesamt 25.000 Euro haben wir in kürzester Zeit wieder erwirtschaftet." Weitere Anwendungen für Stasam werden den Nutzen noch erhöhen. So wird auch die Inventur in einem Lager für Handwerker- und Reparaturmaterial nach dem Stichprobenverfahren durchgeführt. Dabei geht es um Ersatzteile, die arvato services für die Instandhaltung der eigenen Intralogistik-Systeme wie zum Beispiel Regalbediengeräte bevorratet. "In Gütersloh umfasst dieser Posten rund 6.000 Teile mit einem Wert von über einer Million Euro", stellt Bohnenkamp fest.

Noch größer ist das Potenzial für weitere Geschäftsbereiche und Kundenprojekte innerhalb der weltweit agierenden Unternehmensgruppe. Als treibende Kraft und Initiator der Umstellung kennt Rudolf Linnemann noch viele Anwendungsmöglichkeiten. "Als weitere Länder kommen die Schweiz, Türkei, Tschechien und Griechenland in Frage", so Linnemann. Zudem soll den Logistikkunden von arvato services die Stichprobeninventur künftig als kostensparende Alternative angeboten werden.

Quelle: MyLogistics
Portal: www.logistik-express.com

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