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Plattformen aus Fernost definieren den digitalen Einzelhandel

In den letzten 18 Monaten haben chinesische digitale Handelsplattformen ein neues Geschäftsmodell im grenzüberschreitenden Einzelhandel durchgesetzt. Entstanden ist das Geschäftsmodell während der Pandemie in China.

So ge­nannte „quick-commerce“ Plattformen hatten die chinesischen Endkonsumenten direkt mit Herstellern und Anbietern von Produkten des täglichen Bedarfs, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneprodukten und Pharmazeutika verbunden und eine Zustellung „on-demand“ organisiert. Dieses Model des „direct ecommerce“ wird nun, gestützt auf die neue strategische Handelsoffensive der Volksrepublik China, weltweit ausgerollt. Wie funktioniert das Modell?

Hersteller wird über eine Kommunikations- und Handelsplattform mit dem Konsumenten verbunden

Nachfrage nach Produkten wird über eine zentralisierte Kommunikationsplattform generiert. Dabei werden die angebotenen Produkte in der Regel erst dann endgefertigt, wenn der Konsument in Europa oder N-Amerika gekauft hat. Je mehr Konsumenten die Plattform nutzen, desto besser können Vorhersagen getroffen werden, welche Produkte, von welchen Konsumenten nachgefragt werden. Dem folgend generieren die neuen Plattformen auch entsprechende Nachfrage und unterstützen die Kundenbindung durch Spiele, Rabattaktionen und andere social-media Werkzeuge über Apps auf den mobilen Endgeräten der Konsumenten. Durch dieses Geschäftsmodell wird der traditionelle Groß- und Einzelhandel weitgehend ausgeschaltet und substituiert.

30 – 40% günstigere Endkonsumentenpreise im „direct-ecommerce“ sind die Regel Produktion nur nach Bestellung, keine Zwischenlagerung, keine Zwischenhändler, keine Großhändler und Logistikketten. Stattdessen werden die einmal bestellten Waren produziert, direkt verpackt und dann an zentralen Orten in Übersee gesammelt und für die Flugfracht konsolidiert. Keine Zuladung, sondern Großraumfrachtflugzeuge, ca. 25 – 35 pro Tag nach Europa (Stand März 24).

Selbst wenn die Plattform die Versandkosten von Fernost nach Europa übernimmt, bleibt der Endkonsumentenpreis bis zu 40% günstiger als vergleichbare Angebote auf „old-ecommerce“ Plattformen. Deutsche und nordamerikanische Plattformen sind dieser Konkurrenz noch nicht gewachsen. Der Europäische Endkunde hat das Modell bereits angenommen und wur können davon ausgehen, dass sich dieses Modell mittelfristig am Markt durchsetzt.

EU hat klare Regeln, die das Geschäftsmodel fördern

Die 27 Mitgliedsstaaten der EU haben die jetzt eingetretenen Entwicklungen bereits vor etwa 10 Jahren vorhergesehen. Entsprechend wurden die Regeln für Warensendungen mit geringem Wert (max. 150 EUR) angepasst. Für alle Warensendungen gilt, Vorabdaten sind Pflicht, zu diesen Daten gehört eine klare Kennung des Lieferanten, des Empfängers und des Abgabenschuldners. Wenn die Einfuhrumsatzsteuer bereits beim Vertragsabschluss von Konsumenten in der EU gezahlt wurde, ist die Sendungen von der Einfuhrumsatzsteuer beim Import in die gesamte EU befreit. Erst ab einem Warenwert von 150 EUR fällt Zoll an. Das neue Geschäftsmodell ist für diese geltenden Rahmenbedingungen optimiert.

Bis 2021: EU-Mitgliedsstaaten hätten eine Datenaustauschplattform aufbauen müssen- leider wurde es versäumt, dies einheitlich zu tun

Die rechtlichen und regulatorischen Vorgaben, um Entwicklungen wie jetzt zu beherrschen wurden von ALLEN 27 EU-Staaten einstimmig beschlossen. Die bekannten Probleme basieren nicht auf mangelnden oder fehlerhaften Regeln oder gesetzlichen Vorgaben, sondern auf mangelhafter Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten oder deren Behörden.

Das neue IOSS-Modell, das wie davor existente B2B2C-Importmodelle, eine konsolidierte Einfuhr in alle EU-Mitgliedsstaaten über ein ausgewähltes EU-Land ermöglicht, setzten einen laufenden und qualitativ hochwertigen Datenaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten voraus. Allerdings werden bis heute etwa von Irland nur mangelhaft Daten mit den BeNeLux Zollbehörden ausgetauscht. Ähnlich schlecht läuft es in Deutschland. Den Zollbehörden fehlen die Mittel und das Personal, um die vorhandenen Daten zu analysieren und das entsprechende Risikomanagement beim Import von bis zu 7.000 Tonnen an Warensendungen pro Monat an einzelnen Flughäfen zu gewährleisten.

Wo keine Vorabdaten verfügbar sind, wird das System missbraucht

Wo die notwendigen Daten (noch) nicht verfügbar sind oder nicht ausgetauscht werden, steigen die Einfuhrmengen, die Zollbehörden sind überlastet und nicht in der Lage die notwendigen Kontrollen zu gewährleisten. Resultat: Missbrauch durch Fehldeklarierungen, schlechte Datenqualität, mangelnde Produktsicherheit.

Wie es anders geht, zeigt etwa Ungarn. Dort verlangt der Zoll zusätzlich – wenn eine rasche, datengestützte Verzollung zu einer raschen Freigabe der vorangemeldeten B2C Sendungen unter 150 EUR, deren Einfuhrumsatzsteuer bereits gezahlt wurde (s.g. „Import-One-Stop-Shop“ System), für die Zustellung in der EU führen soll – eine digitale Proforma-Rechnung.

Eine solche standardisierte e-Rechnung lässt sich leicht aus den verpflichtenden Daten der gesetzlich vorgesehenen Vorabdaten der digitalen Zollerklärung zusammenstellen. Konsequenz: Verglichen mit anderen EU-Zollgrenzen ist die Datenqualität in Ungarn signifikant besser als in Deutschland oder den BeNeLux Staaten.

  1. Zwischenfazit: Nicht die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen, wie sie das EU-MWSt. Ecommerce Paket vorgegeben hat, sind schlecht. Es ist die mangelnde Umsetzung in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten die zu Herausforderungen führen. EU-Konsumenten erkennen die Vorzüge des grenzüberschreitenden Einzelhandels im direct-ecommerce. Europäische Einzelhändler werden gleiche oder ähnliche Geschäftsmodelle aufbauen müssen. Zollbehörden müssen die notwendigen digitalen Kompetenzen zur Nutzung der vorhandenen Daten und die notwendigen Ressourcen aufbauen.

Zollverfahren und IOSS Verfahren (vereinfachte Einfuhrumsatzsteueranmeldung) müssen angeglichen werden

Das neue „direct-ecommerce“ Geschäftsmodell, führt zur Ausschaltung der Warenwirtschaftsketten im Zwischenhandel. Während im Großhandel bei einem Import in die EU Zoll und Einfuhrumsatzsteuer anfällt, fällt im vereinfachten Verfahren für B2C Lieferungen mit geringem Wert (unter einem Warenwert von EUR 150) nur die Einfuhrumsatzsteuer (i.e. die MWSt. des EU MS in dem der Adressat der B2C Sendung ist) an.

Selbst bei der Konsolidierung der B2C Sendungen für den Transport (etwa die Flugtransport aus China in die EU) bleibt der Einzelsendungscharakter der B2C Lieferung bestehen, und eine solche B2C Sendung ist von der Einfuhrumsatzsteuer am Ort der Einfuhr für die gesamte Zustellung in der EU befreit, wenn das Import-One-Stop-Shop System genutzt wurde.

  1. Zwischenfazit: Bei der Einzelanmeldung von B2C Warensendungen mit geringem Wert fällt kein Zoll an, während beim Import von Handelswaren für den Verkauf über den europ. Einzelhandel aus Drittstaaten (neben der Einfuhrumsatzsteuer) sehr wohl Zoll anfällt. Um Wettbewerbsgleichheit herzustellen, sollte umgehend die Zollgrenze von EUR 150 auf EUR 0 abgesenkt werden. Die notwendigen digitalen Systemanforderungen bestehen, dazu ist ein europ. Zolldatenhub notwendig.

Re-finanzierung: Der EU-Binnenmarkt ist für Investoren höchst interessant

Neben Nordamerika und Süd-Ost Asien ist die EU als Binnenmarkt für Investoren höchst interessant. Individueller Konsum und Digitalisierung, verbundenen mit rechtlichen Rahmenbedingungen sorgen für ein nachhaltiges Investitionsumfeld.

Verglichen mit anderen Regionen, verfügt die EU über keine marktbeherrschenden digitalen Plattformen. Das Wachstum des digitalen Einzelhandels, die damit verbundenen Warensendungsmengen, führen zu Investitionen in die dazu notwendige Infrastruktur.

  1. Zwischenfazit: Jene, die über Daten zur Disposition der Warensendungsmengen verfügen und den Handel an Bedürfnisse der Endkonsumenten anpassen, werden bestehende Geschäftsmodelle nutzen, um die damit verbundene Infrastruktur in der EU an sich zu binden. Direkte und/oder verdeckte strategische Investitionen in EU-Schlüsselunternehmen in der notwendigen Infrastruktur sind zu erwarten. Dazu fehlen politische und rechtliche Grundsatzentscheidungen und Rahmenbedingungen,

Nächste Schritte: MWSt. im digitalen Zeitalter & Zoll-Paket

Noch fehlen leider politische Grundsatzentscheidungen nach wie vor in Europa und sollten einheitlich innerhalb der EU und seiner Mitgliedsstaaten getroffen und umgesetzt werden.
Der Handelsverband.at hat national einen Aktionsplan aufgestellt, der sehr begrüßenswert ist. Auf Europäischer Ebene und in Deutschland haben wir ähnliche Empfehlungen platziert. Vorausgesetzt die EU-Mitgliedsstaaten halten sich an ihre eigenen Gesetze und Vorgaben, raten wir zu folgende nächste Schritte, die im Sinnes eines Level Playing Fields und der Chancengleichheit in allen EU-Staaten gleichermaßen umgesetzt werden sollten:

  • I. verpflichtende Einführung der Einhebung der Einfuhrumsatzsteuer für grenzüberschreitende B2C Warensendungen unter einem Warenwert von EUR 150 bei Kauf über Plattformen (Import-One-Stop-Shop System, inkl. der verpflichtenden IOSS VAT Kennung);
  • II. verpflichtende Vorabversandt einer normierten eRechnung, als Bestandteil des Datensatzes der verpflichtend mit der elektronischen Zolleinfuhrerklärung;
  • III. einheitliche MWSt. Nummer, um digitale Berichtspflichten in der gesamten EU für direkte und indirekte Abgaben anzupassen;
    IV. absenken der Zollgrenze für B2C Warensendungen von EUR 150 auf EUR 0;
  • V. Vereinfachung der Steuersätze in der EU um eine zusätzliche Vereinfachung des grenzüberschreitenden Einzelhandels zu gewährleisten;
  • VI. Datentechnische Harmonisierung von postalischen / Express Transportdokumenten;
    VII. Digitale Kennung der Betreiber entlang der gesamten Warenwirtschafts- und Zustellkette;
  • VIII. Schaffung der digitalen Zolldatenplattform in der EU, um einen Datenaustausch in Echtzeit zu Einzelhandelsbewegungen in der Union zu gewährleisten.

Der logistic-natvies e.V. ist ein internationales Netzwerk für Logistik & Infrastruktur des
modernen Handels und legt großen Wert auf eine pragmatische Herangehensweise mit direktem Praxisbezug. Jeder Leser ist herzlich eingeladen, im Netzwerk zu engagieren. [RED]
E-Mail: florian.seikel@logistic-natives.com

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2022 – Handel & Distanzhandel

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