Wenn Freunde in die EU kommen

Nach dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen und der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags im Dezember 2011 soll Kroatien am 1. Juli 2013 als 28. Mitglied der Europäischen Union beitreten. Österreich sei mit seinem südlichen „Nachbarland“, mit dem es zwar keine gemeinsame Grenze hat, historisch, kulturell und vor allem wirtschaftlich eng verbunden, sagt Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. Die heimische Wirtschaft hat von 1993 (Beginn der Aufzeichnungen) bis Ende 2011 mit rund 6,4 Mrd. Euro ein Viertel aller Auslandsinvestitionen (gesamt ca. 25,6 Mrd. Euro) getätigt. Österreich ist damit der bei weitem größte Auslandsinvestor vor den Niederlanden mit 3,8, Deutschland mit 3 und Ungarn mit 2,4 Mrd. Euro.

Etwa 750 österreichische Firmen verfügen über Niederlassungen in fast allen Sektoren. Kroatien sei dadurch laut Leitl ein „erweiterter Heimmarkt“ mit bereits vielen österreichischen Anknüpfungspunkten. „Auch die kommenden Schwerpunkte der kroatischen Regierung – wie Infrastrukturausbau, Investitionen in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz – werden die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen beflügeln, da Österreich gerade in diesen Bereichen viel bieten kann und die heimischen Banken auch vor Ort sind, um österreichische Firmen auf dem kroatischen Markt zu begleiten“, betont Leitl. Der traditionelle Handelsbilanzüberschuss im bilateralen Handel zu „unseren“ Gunsten machte zuletzt mehr als eine halbe Milliarde Euro aus und zählt damit zu den höchsten im österreichischen Außenhandel, vor allem wenn man diesen in Relation zur Exportsumme setzt.

Ausgesprochen beliebt ist Kroatien bei Herrn und Frau Österreicher auch als Ferienland, wie die jüngste verfügbare Analyse zu diesem Thema zeigt. Führt der geplante Urlaub ins Ausland, kann kein anderes Land Italien und Kroatien das Wasser reichen. Für 19 Prozent sind Urlaube beim „echten“ südlichen Nachbarn geplant, gleich danach folgt Kroatien mit 12 Prozent, alle anderen Destinationen rangieren mit einem Sehnsuchtsfaktor von weniger als 10 Prozent.

Defizitziel nicht in Reichweite
Eines der größten Probleme: Von den Ratingagenturen wie vom Internationalen Währungsfonds (IWF) sind wiederholt nachhaltige Reformen der Sozialsysteme gefordert worden sowie Effizienzsteigerungen im öffentlichen Dienst und Verbandswesen und bei den Staatsunternehmen. Besitzstandswahrung und Relikte des alten Selbstverwaltungssystems – vor allem im Arbeitsrecht und bei Investitionsgenehmigungen – gehören zu den Hauptproblemen bei der Durchsetzung von Reformen. Der wenig effiziente Agrarsektor vereinigt 15 % der Beschäftigten auf sich, trägt jedoch nur 5,5 % zum BIP bei.

Für 2013 hat das Wirtschaftsinstitut Zagreb (EIZ) seine Wachstumsprognose auf real -0,2 % zurückgenommen. Damit würde das Land im fünften Jahr in Folge keinen BIP-Zuwachs verzeichnen können (2012 fast -2 %). Da das Defizit im Staatshaushalt auf absehbare Zeit bei 4 bis 4,5 % des BIP liegen dürfte, muss Kroatien damit rechnen, dass die EU unmittelbar nach dem Beitritt zur Union ein so genanntes EDP-Verfahren auf den Weg bringen wird (Excessive Deficit Procedure). Wie sich im Fall Ungarn, gegen das ein solches Verfahren auch seit seinem EU-Beitritt läuft, gezeigt hat, kann dies zu einem späteren Zeitpunkt zum Einfrieren von Mitteln durch die EU führen. Ungarn wurde so zu harten Maßnahmen gezwungen, um das Budget zu sanieren, wodurch das Wachstum weiter abgewürgt wurde.

Zu den unmittelbaren und bedeutsamsten Folgen, die sich aus dem Mitte 2013 anstehenden EU-Beitritt ergeben, zählt Kroatiens neuer Zentralbankgouverneur, Boris Vujcic, ein solches EDP-Verfahren. Dessen Bedeutung setzt er gleich hoch an wie der dann mögliche Zugriff auf EU-Kohäsionsfondsmittel. Er geht davon aus, dass Kroatiens Möglichkeiten, eine selbstständige Fiskalpolitik zu führen, durch ein EDP-Verfahren stark eingeschränkt werden.

Investitionsklima und -risiken
Kroatien ist ein Nachzügler im Wettbewerb um Auslandsinvestitionen. Eine überzeugende Öffnung wäre wichtig, um Anschluss an das Wettbewerbsniveau im EU-Binnenmarkt zu finden und die Wachstumsschwäche zu überwinden. Ein neuer gesetzlicher und institutioneller Rahmen zur Investitionsförderung ist im Aufbau. Die vielfältigen administrativen Hürden sollen in- und ausländische Investoren mit Hilfe von Expertenteams aus der öffentlichen Verwaltung nun leichter nehmen können.

Unternehmen, die in Kroatien bereits geschäftlich engagiert sind, sehen die Standortvorteile in der geostrategisch attraktiven Lage des Adriaanrainers, im Reichtum an erneuerbaren Energiequellen und anderen Ressourcen wie zum Beispiel Wasser, bei den qualifizierten Mitarbeitern, der – abgesehen von der Bahn – gut entwickelten Infrastruktur, in den großen, noch nicht genutzten Entwicklungspotenzialen sowie in der kommenden EU-Mitgliedschaft.

Klar ist aber auch, dass Kroatien auf dem langen Weg in die EU bislang den Kurswechsel in Richtung einer vorbehaltlosen Öffnung gegenüber Auslandsinvestitionen noch nicht geschafft hat.

Trotz einer Reihe von Ansätzen der neuen Mitte-Links-Regierung von Premierminister Zoran Milanovic bestehen zentrale Investitionshindernisse fort. Dazu gehören vor allem unüberschaubare, langwierige und vielfältige Genehmigungsprozesse für Bau- und Investitionsvorhaben. Sie gehen zu einem Gutteil auf wenig transparente Kompetenzabgrenzungen zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen zurück, mit einer übermächtigen Stellung von lokalen Behörden sowie von Staatsunternehmen in den Hauptinfrastrukturbereichen. So wurde auf einem US-Investitionsforum in Dubrovnik „der Beamte mit dem Stempel“ als ein Haupthemmnis genannt.

Regulierungswut und überlastete
Gerichte
Viele Investoren monieren die Regulierungswut in Kroatien und die Gerichte, die dem Ansturm von Fällen nicht gewachsen sind. Auf Überregulierungen weist die – wenn auch offiziell nicht bestätigte – Zahl von über 10.000 bestehenden Gesetzen und Vorschriften hin, die das private Inzenjerski Biro aufgrund seines schon seit Jahrzehnten geführten ING Register of Regulations ermittelt hat. Der Bereich Justiz hat sich bis zuletzt hartnäckig auf allen Mängellisten der EU im Beitrittsprozess gehalten.

Der Druck, Strukturreformen und Deregulierungen in Angriff zu nehmen, ist auf der Zielgeraden in die EU unter dem Eindruck der seit der Krise ausgeprägten Wachstums- und Investitionsschwäche enorm gewachsen. Die Regierung Milanovic zeigt sich zu Strukturreformen entschlossen und versucht, den Widerstand dagegen vor allem durch Kompromisse zu überwinden. So dürften Gewerkschaftsforderungen im Prozess der Flexibilisierung des rigiden Arbeitsrechts nicht überhört werden.

Die EU und auch der IWF fordern ein beschleunigtes Tempo bei der Verbesserung des Investitionsklimas. Nur dann könne Kroatien seine Chancen durch die bevorstehende Eingliederung in den Binnenmarkt nutzen. Die Konkurrenzfähigkeit sei das zentrale Anliegen. Nach dem neuen Investitionsgesetz vom Oktober 2012 werden Investoren Expertenteams an die Seite gestellt, die sie durch alle behördlichen Prozesse schleusen und helfen sollen, die Umsetzung von Projekten zu beschleunigen. Anlaufstelle ist für ausländische Investoren die neue Agentur für Investitionen und Konkurrenzfähigkeit (AIK). Für inländische KMU übernimmt HAMAG Invest (Kroatische Agentur für KMU und Investitionen) diese Aufgabe.

Die Arbeiten an einer Industriestrategie für die Jahre 2014 bis 2020 sind im Jänner 2013 aufgenommen worden. Sie sollen die Basis für die Verteilung von EU-Fördermitteln werden und auch für die künftige FDI-Politik (foreign direct investment, ausländische Investitionen). Frühere Strategiepläne schafften in der Regel die Umsetzung nicht. Der Ökonom und Wirtschaftsminister der früheren Mitte-links-Regierung, Ljubo Jurcic, hofft, dass Kroatien endlich den Zustand der Desorganisation überwinden kann. Dem Vernehmen nach sollen die traditionellen Industriezweige das Rückgrat der Industrie bilden. Dazu gehören die Nahrungsmittelindustrie, die Metall- und Holzverarbeitung, die Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie, Kfz-Zulieferer, der Schiffs- und Bootsbau sowie die Gesundheitsindustrie (Pharma- und Medizintechnik).

Der Global Competitiveness Report (http://www.weforum.org/issues/global-competitiveness) des World Economic Forum 2012/13 bescheinigt Kroatien noch eine geringe Effizienz der öffentlichen Verwaltung. Auf Platz zwei der Problemliste für das Geschäftsklima folgt die Korruption. Nahezu eine identische Beurteilung bekommt die dennoch als FDI-Standort attraktive Slowakei, der anders als dem etwa gleich großen Kroatien auch noch eine nicht ausreichend entwickelte Infrastruktur bescheinigt wird. Im Vergleich zu Slowenien verfügt Kroatien noch über ein etwas weniger restriktives Arbeitsgesetz, während beide Länder bei den Steuersätzen in etwa die gleiche Einstufung haben. Sie hinken diesbezüglich der Slowakei klar hinterher – ebenso wie bei den Steuerregulierungen.

Perspektiven für ausländische
Direktinvestitionen
Der Investitionszufluss blieb 2012 in Kroatien deutlich hinter demjenigen des Vorjahres zurück und erreichte in den ersten neun Monaten 452,8 Mio. Euro und damit nur rund 42 % seines Volumens im gesamten Vorjahr. In den vergangenen zehn Jahren (2002 bis 2011) waren durchschnittlich jeweils rund 2,0 Mrd. Euro an Direktinvestitionen in Kroatien getätigt worden und seit dem Krisenjahr 2009 jeweils rund 1,3 Mrd. Euro. Immobilien und die Immobilienbranche konnten 2012 mit Abstand die meisten Investitionen aus dem Ausland anziehen. Es folgten die Freizeitbranche, der Großhandel und die Banken. Im verarbeitenden Gewerbe blieb der FDI-Zufluss schwach. Nur in die Nahrungsmittelindustrie flossen in den ersten drei Quartalen von 2012 mehr als 10 Mio. Euro. Ihr FDI-Bestand ist damit auf knapp 400 Mio. Euro angewachsen, was ebenfalls mehr als in jedem anderen Zweig des verarbeitenden Gewerbes bedeutet.

Die meisten Direktinvestitionen kamen bis Ende September 2012 auch nach deutschen Quellen wie eingangs bereits erwähnt aus Österreich (6,5 Mrd. Euro). Allerdings dürfte ein Teil davon ebenso wie vom FDI-Zufluss aus den zweitplatzierten Niederlanden (insgesamt 4,0 Mrd. Euro) von Unternehmen mit deutschem Hintergrund stammen. An dritter Stelle rangierte Deutschland (3,1) vor Ungarn (2,4 Mrd. Euro).

Beim Neuzugang lagen in den ersten drei Quartalen 2012 erneut Österreich (193 Mio. Euro) und die Niederlande (87,8 Mio. Euro) vorn. Italien rangierte in diesem Zeitraum gleichauf mit der Türkei (jeweils 81,3 Mio. Euro). Türkische Investoren haben in jüngster Zeit in die kroatische Petrochemiebranche investiert (Übernahme von Dioki), in den Banken- (Kent Bank) und den Tourismussektor, an dem sie sich besonders interessiert zeigen. Sie sehen ebenso wie die VR China und Russland Kroatien als ein Eingangstor zur EU an. Gazprom will u. a. in kroatische Kraftwerke investieren.

Privatisierungsprozess
2013 zeichnen sich im Rahmen von Privatisierungen einige Akquisitionsmöglichkeiten ab. Zu den Kandidaten gehören die Versicherung Croatia Osiguranje, die HPB-Postbank, das Chemieunternehmen Petrokemija, der Hersteller von Nachrichtentechnik RIZ und eine Reihe touristischer Objekte. Für Autobahnen und besondere touristische Anlagen werden Konzessionäre gesucht. Der Privatisierungsprozess hatte sich bisher in Kroatien als sehr zäh erwiesen, dürfte aber nicht zuletzt wegen Haushaltszwängen jetzt energischer vorangetrieben werden. Im Infrastrukturbereich wird ausländisches Kapital für große Kraftwerke (WKW Plomin III und WKW Ombla) gesucht, deren Umsetzung aber noch viele Hindernisse überwinden muss. Der Bereich erneuerbare Energie gilt als sehr perspektivenreich. Marktkenner sehen gute Chancen für deutsche Investitionen in Windkraftwerke. Ein Glasfaserbreitbandnetz soll ausgebaut werden, und größere Investitionen in die Bahn- und Hafeninfrastruktur stehen an.

Quelle: LE Magazin 01-2013

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