Zerreißprobe für die Lieferkette

Die Finanz- und Wirtschaftskrise wirkt sich unmittelbar und schwerwiegend auf die Lieferketten der Industrieunternehmen aus.

Das zeigt eine Studie der internationalen Unternehmensberatung PRTM Management Consultants, die in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Skandivavien und den USA unter weltweit operierenden Unternehmen aus den Branchen Automobil- und Maschinenbau und Elektronik sowie der Chemie- und Konsumgüterindustrie durchgeführt worden ist.

Für die Untersuchung wurden in den Monaten Februar bis April rund 80 Supply Chain-Verantwortliche auf Basis eines ausführlichen qualitativen Fragenkatalogs befragt. Die Studie mit dem Titel "Flexibility in Times of Crisis" (Flexibilität in Krisenzeiten) ergänzt aktuell die Studie "Global Supply Chain Trends 2008 – 2010", für die PRTM Anfang 2008 weltweit mehr als 300 Unternehmen befragt hat, und liefert ein repräsentatives Bild der Strategien und Maßnahmen, mit denen Unternehmen versuchen, die Auswirkungen der Krise abzumildern. Die Studie ist ab sofort in gedruckter Form verfügbar und kann kostenlos bei PRTM angefordert werden.

"Die Finanz- und Wirtschaftskrise unterwirft die globalen Wertschöpfungsnetzwerke einer Zerreißprobe. Angesichts fehlender Daten sind die Markteilnehmer gezwungen, ihre Planungsaktivitäten unter Blindflugbedingungen zu intensivieren, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Auch gewinnt die Liquiditätssicherung an Gewicht. Zudem geben die Unternehmen der Stabilisierung des eigenen Lieferantennetzwerkes eine hohe Priorität und sind dafür auch bereit, Lieferanten finanziell zu unterstützen", sagt Dr. Reinhard Geissbauer, Geschäftsführer von PRTM Management Consultants.

Neue Trends als kurzfristige Reaktion auf die Krise
Supply Chain-Flexibilität, also die Fähigkeit, trotz ungeplanter Schwankungen der Nachfrage ohne Qualitätsverlust lieferfähig zu bleiben, ist das zentrale Erfolgskriterium für weltweite Supply Chains. Das zeigte schon die weltweite Studie des vergangenen Jahres. In der Krise ist für jeden zweiten Befragten (51 Prozent) die Supply Chain-Flexibilität nochmals wichtiger geworden. Akute Unsicherheit als Folge des aktuell schwierigen Geschäftsumfeldes machen die Planung daher immer wichtiger. Viele Unternehmen sind gezwungen, verstärkt mit Annahmen zu arbeiten, da verlässliche Daten nur für den kurzfristigen Planungshorizont vorliegen. Voraussagen jenseits der 3-Monatsgrenze müssen in immer kürzeren Intervallen angepasst werden.

Zudem ist eine Tendenz des "Insourcings" zu beobachten. Aufträge, die an Lieferanten vergeben worden sind, werden verstärkt wieder selbst erledigt, um unmittelbarer reagieren zu können und die eigenen Fertigungsstätten besser auszulasten. Branchenübergreifend überragende Bedeutung gewinnt das Liquiditätsmanagement. Bestandsreduzierung ist dabei für zwei von drei Befragten (74 Prozent) am wichtigsten, gefolgt von aktivem Forderungsmanagement (40 Prozent) sowie der Verbesserung der Verbindlichkeiten (40 Prozent). Darüber hinaus geben die Befragten an, vermehrt auch Währungsschwankungen zur Optimierung des Cashflow auszunutzen.

Gefahren durch notleidende Lieferanten
Bedeutendes Gefahrenpotenzial für die Lieferfähigkeit bergen notleidende Lieferanten. Das Risiko, dass Lieferanten infolge Zahlungsunfähigkeit ausfallen, ist markant gestiegen. Um das Überleben einzelner Schlüssellieferanten sicherzustellen, haben mehr als die Hälfte aller Unternehmen bereits aktive Stützungsmaßnahmen ergreifen müssen. Entscheidend ist dabei, diese Risiken frühzeitig zu erkennen. Die überwiegende Mehrzahl der Befragten (67 Prozent) versuchen deshalb mithilfe verbesserter Analyseinstrumente, bedrohte Lieferanten zu identifizieren und 75 Prozent der Befragten haben bereits aktive Unterstützungsmaßnahmen für notleidende Lieferanten unternommen. Jedes zweite Unternehmen (45 Prozent) gibt an, strategisch wichtige Lieferanten auch aktiv finanziell zu unterstützt zu haben. Komplexe Supply Chain-Strukturen bergen nach Ansicht der Unternehmen hohes Gefahrenpotenzial. Folgerichtig versucht jedes fünfte Unternehmen (21 Prozent), die Supply Chain-Komplexität beispielsweise durch Reduzierung von Fertigungsvarianten zu reduzieren. Neuen Auftrieb erhält die seit einigen Jahren zu beobachtende Tendenz, über margenbessere Serviceangebote zusätzliches Geschäft zu generieren. Doch erst jeder dritte Befragte (29 Prozent) versucht, über zusätzliche produktbezogene Dienstleistungen wie Wartung, Zubehör und differenzierte Logistikdienstleistungen Umsatzrückgänge teilweise zu kompensieren.

Eingeschränkte Handlungsoptionen für Unternehmen
Die befragten Unternehmen haben in den letzten 12 Monaten Umsatzrückgänge in Höhe von 30 Prozent bis 49 Prozent (in Einzelfällen sogar bis 80 Prozent) erlitten. Trotz dieses schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes, ergeben sich für die Marktteilnehmer aber auch wirksame Handlungsoptionen. Die entscheidenden Stellschrauben sind nach Einschätzung der Supply Chain-Experten von PRTM die Überprüfung der Konfiguration der Lieferkette, die Sicherung von Liquidität und Lieferantennetzwerk sowie die Entwicklung neuer innovativer Serviceangebote.

"Angesichts der derzeit zu beobachtenden Zurückhaltung des Bankensektors bei der Kreditvergabe, sind die Unternehmen gut beraten, nicht unnötig Kapital abfließen zu lassen und Bestände bestmöglich zu reduzieren. Was sich im Aufschwung rechnete, kann sich angesichts des scharfen Einbruchs negativ auf das Unternehmensergebnis auszuwirken. Deshalb kann es aus Kostengründen zudem sinnvoll sein, Outsourcing-Entscheidungen zu revidieren", sagt der Studienleiter Michael D’heur, Principal bei PRTM.

Services sollen Umsatzausfälle kompensieren
"Mich überrascht jedoch die niedrige Neigung, durch innovative Serviceangebote neues Geschäft zu generieren. Denn wenn die Produktmärkte wegbrechen und wichtige Investitionen in neues Equipment aufgeschoben werden laufen die vorhandenen Maschinen länger und bedürfen innovativer Services. Hier lässt sich noch Geld verdienen", erklärt Michael D’heur und ergänzt: "Beispiele sind ‚End-to-End Product Lifecycle Services‘, ‚Continuous Product Performance Improvement‘ und das Anbieten von Services für externe Drittmaschinen." Abgesehen von der kurzfristigen Wirkung ließen sich damit schon heute die Weichen auf Wachstum nach der Krise stellen.

Quelle: MyLogistics

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