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Auftragsproduktion vs. Serienfertigung

Als produzierendes Unternehmen muss man sich entscheiden, ob man rein auf kundenorientierte, auftragsbezogene Fertigung setzt oder bestimmte Mengen auf Vorrat produziert. Das klingt einfach – ist es aber nicht! Verschiedene Faktoren spielen hier eine wichtige Rolle, Logistik express hat sich mit Vertretern beider Seiten unterhalten. 

Es gibt viele Synonyme für Produktionsarten, aber egal ob nun von Auftrags-, Bestell-, Kontrakt-, Kunden- oder Vertragsproduktion die Rede ist, gemeint ist bei der kundenorientierten Fertigung die direkte Beeinflussung von Qualität, Art und Produktionszeitpunkt durch den Kunden; erst nach Eingang einer Bestellung läuft die Produktion gemäß dieses Auftrages an. Die Alternative ist, unabhängig von einzelnen Aufträgen die Produkte oder Teile in einer festgelegten Anzahl herzustellen und so Bestände aufzubauen. Da lagernde Fertigwaren aber nicht nur Platz benötigen, sondern auch gebundenes Kapital darstellen, sollte man meinen, dass moderne, optimierungsbewusste Unternehmen die Bestände eliminieren wollen. Aber was, wenn es nicht anders geht?

3 Firmen – 3 Modelle
Lange Erfahrung mit kundenorientierter Fertigung hat beispielsweise die BMW-Group: „Bereits seit den 1990er Jahren setzen wir auf KOVP, den Kundenorientierten Vertriebs- und Produktionsprozess. Dank dieses Systems kann das bestellte Fahrzeug noch bis sechs Tage vor Montagestart modifiziert werden, sei es nun eine andere Farbe oder ein Zusatzwunsch bei der Innenausstattung“, erklärt Johann Schuberthan, Leiter Versorgungsprozesse bei BMW. Daraus resultiert, dass es keine Fahrzeuge „von der Stange gibt“, also keine Fahrzeuge auf Lager produziert werden. „Bei der saisonal stark schwankenden Nachfrage unserer Produkte hätten wir nicht die Ressourcen und Kapazitäten, auftragsbezogen zu fertigen. Daher fertigen wir entsprechend der Prognose unserer Vertriebsabteilung immer eine gewisse Stückzahl pro Modell“, erläutert DI Herbert Schwaiger, Geschäftsführer der Reform-Werke Bauer & Co Gesellschaft m.b.H. (Erzeuger von Land- und Kommunalmaschinen, Anm.).

Seit knapp 10 Jahren setzt die Palfinger AG auf auftragsbezogene Montage: „Früher erstellten wir eine Jahresplanung basierend auf den Verkaufszahlen des Vorjahres dividiert durch 12 Monate. Dadurch hatten wir immer einen gewissen Lagerbestand, und wenn kein bestehender Kran zum Auftrag gepasst hat, dann haben wir ihn einfach umgebaut. Das war natürlich teuer, aber wir waren damals noch der Meinung, dass nur durch eine hohe Losgröße eine Kostenoptimierung möglich sei. Heute wissen wir, dass das falsch ist“, erklärt DI Martin Zehnder, MBA Produktionsvorstand Palfinger AG.

Gemischter Satz
Natürlich weiß auch Schwaiger, dass Lagerbestände Geldmittel binden, immerhin stehen in seinen Hallen inklusive der Kommissions- und Vorführgeräte für Händler Fahrzeuge im Wert von vier bis fünf Millionen Euro, hinzu kommt das Ersatzteillager im Zusatzwert von zwei bis drei Millionen Euro. Aber: „In unserer Hauptsaison von Februar bis Juli stecken hinter der Produktion 100 Prozent Aufträge.“ In den anderen Monaten würden etwa 60 bis 70 Prozent der Fertigung ohne konkreten Kundenauftrag erfolgen. Das Problem: „Wir reizen das gesetzlich erlaubte Modell der flexiblen Arbeitszeit bereits aus, in der Saison bauen unsere Mitarbeiter ein großes Zeitguthaben auf, das dann abgearbeitet werden muss. Würden wir nur auftragsbezogen fertigen, müsste ich zeitweise doppelt so viele Mitarbeiter und Maschinen beschäftigen, und dann wiederum viele nach Hause schicken, das ist unmöglich“, bedauert Schwaiger. Trotzdem versucht er, so weit wie möglich zu flexibilisieren: etwa 20 Prozent der Fertigung laufen über ein Kanban-2-Schütten-System (Pull-Prinzip, Anm.) Die restlichen 80 Prozent erfolgen über Stücklisten. „Unser Vertrieb erstellt eine Vorschau für 12 Monate, da wir bei vielen Zukaufteilen sehr lange Lieferzeiten haben und diese vordisponiert werden müssen. Jeden Monat wird dann die Auftragslage mit dieser Vorschau abgeglichen und überarbeitet, die Produktion erfolgt anhand dieser Planung“, führt Schwaiger aus. Gute Erfahrungen habe man mit einer Erhöhung der „Abstellfrequenz“ gemacht: „Während früher die einzelnen Fahrzeugtypen nur zwei bis maximal fünf Mal pro Jahr in hoher Stückzahl produziert wurden, montieren wir nun monatlich sämtliche Gerätetypen ab“. Das wirke sich extrem positiv auf den Lagerstand der Fertiggeräte und der Lieferverfügbarkeit aus, jedoch „die damit verbundenen Herausforderungen an die Logistik sind natürlich enorm.“ Bei rund 12.000 lebenden Eigenfertigungs- und etwa 10.000 Zukaufteilen müssen natürlich auch diese mehrfach pro Jahr in einer ausreichenden Losgröße produziert oder bestellt werden, die ca. 50.000 Ersatzteile werden je nach Nachfragehäufigkeit lagerbevorratet oder gemäß Einzelauftrag produziert.

Das Lean-Prinzip
Einen Umdenkprozess in den eigenen Werken ebenso wie bei Zulieferbetrieben konnte die Palfinger AG dank effizientem Change-Management erfolgreich abschließen, Step-by-Step wurden die Lean-Prinzipien im Produktionsprozess umgesetzt und gleichzeitig das Verständnis bei Mitarbeitern und Partnerunternehmen geschaffen. „Zu Beginn stand das Aufbrechen der ‚Losgrößenfertigungsdenkmuster‘, dafür ist nachhaltige Überzeugungsarbeit nötig. Für dieses heikle Thema braucht man Experten mit Praxisbezug, die nicht nur die Theorie kennen, sondern direkt an der Maschine Bedenken ausräumen können. Natürlich kann man nicht in jedem Unternehmen das gleiche System einführen, abhängig von der Produktion ist jeweils ein anderer Fertigungsschritt in der Kette zur Umstellung auf auftragsbezogene Produktion sinnvoll“, weiß Zehnder. Wichtig sei es, den eingeschlagenen Weg konsequent zu verfolgen und gegebenenfalls flankierende Maßnahmen zu treffen, denn „natürlich müssen auch die Arbeitstechnik und Standardisierungen angepasst werden.“ Die Erfahrung zeigte Zehnder, dass durch die kundenorientierte Fertigung sowohl die Qualität, als auch die Produktivität gesteigert wurden. Das Maximum, den „One-piece-flow“, hält er dabei gar nicht für nötig: „Es gilt, die Durchlaufzeiten stark zu reduzieren, aber dies kann auch innerhalb von Losgrößen geschehen. Wenn ich beispielsweise 100 Teile fertigen muss, von denen 10 gleich sind, ist es natürlich sinnvoll, diese hintereinander zu produzieren, um Rüstzeiten zu sparen. Gefragt ist hier Augenmaß für den Job-Flow.“ Zur Glättung der Produktion könne durchaus ein Minimalbestand an Fertigprodukten innerhalb klarer Grenzen aufgebaut werden. Eine Herausforderung in diesem Reformationsprozess sieht Zehnder im Nachhinein vor allem bei den externen Lieferanten: „Optimal ist es, wenn die Prozesse bei internen und externen Lieferanten gleich sind. Die Umstellung der eigenen Werke, wie etwa des Komponentenwerkes in Bulgarien, war ungleich einfacher zu bewerkstelligen als jene bei unseren JIT-Lieferanten. Viele Firmen sichern die JIT-Lieferung über ein entsprechend großes Lager, aber das ist der falsche Ansatz“, ist er überzeugt. Sinnvoller wäre seiner Meinung nach eine auftragsbezogene Fertigung innerhalb eines Trendmonitorings: „Das Ziel muss sein, über zukünftige Ressourcen zu diskutieren, um dann in regelmäßigen Zyklen zu produzieren“.

Dank dieser Strategie beträgt die Durchlaufzeit für einen Kran ab Produktionsstart nun nur noch 20 Tage. Kommt ein dringender Auftrag, kann immer noch im Zuge des Fertigungsprozesses ein Auftrag priorisiert werden, denn: „Jeden Morgen wird entschieden, welche Anzahl Krane in 20 Tagen übergeben wird.“ Die dadurch entstehende Flexibilität führt zu schnellen Reaktionszeiten, gleichzeitig kehrte viel mehr Ruhe innerhalb der Prozesse ein, da keine Teile mehr „überholen“. Weiterer Vorteil: die Liefertreue stieg an.

Auto nach Maß
Wer so kurz vor der Fertigung noch auf Kundenwünsche eingeht wie BMW, muss natürlich über eine äußerst flexible Produktionskette verfügen – oder sich ein besonderes Modell einfallen lassen. „Um diese Flexibilität zu erreichen, waren zwei Punkte ausschlaggebend“, beschreibt Schuberthan, „zum Einen wird erst bei Montagebeginn der Kundenauftrag einem Fahrzeug zugeordnet, davor handelt es sich um anonyme und austauschbare Bauteile ohne Typennummer, die je nach Bedarf zum Montageband abgerufen werden. Zum Anderen war eine starke Reduzierung der Varianten nötig, da wir sonst immensen Lagerbedarf hätten, um das Wunschauto in vorgesehener Zeit fertig zu stellen.“ Durch intensive Entwicklung konnte die Variantenzahl pro Baureihe auf den einstelligen Bereich reduziert werden. Auch beim Design neuer Fahrzeuge müssten sich die Entwickler innerhalb gewisser Vorgaben bewegen, um diesem Prinzip zu entsprechen. Das Ziel sei die Schaffung reproduzierbarer Situationen, wie etwa einheitliche Motoreinbaubedingungen, um die Effizienz zu steigern. Um ein ganzheitliches System zu erlangen und die Liefertreue zu optimieren, wurden auch die Zulieferer einbezogen, berichtet Schuberthan: „Heute erreichen wir dank des durchgängigen Systems sechs Prozent Wertschöpfung über unsere Zulieferer.“ Die Fertigung von Bauteilen für Werke im Ausland erfolgt nach dem CKD-Prinzip (Completely Knocked Down, Anm.), der Bausatz wird vor der Lieferung in alle Einzelteile zerlegt bzw. gar nicht erst montiert. „Die Ansprüche an unsere Logistik sind dementsprechend hoch“, ist sich Schuberthan bewusst. „Die Distributionslogistik ist das letzte entscheidende Element der Prozesskette, wenn es hier hakt, sind Termintreueziele unmöglich einzuhalten.“ Um die Abläufe nachhaltig zu beschleunigen und transparenter zu machen, setzt BMW auf das „Group Vehicle Distribution System“ (GVDS), im Zuge dessen alle Logistik-Partner online angebunden und so die Umschlagprozesse deutlich gestrafft wurden.

Fazit
So unterschiedlich die Produkte, Zielgruppen und Unternehmensstrukturen sind, so variabel ist auch die jeweilig beste Lösung. Fakt ist, dass hohe Bestände vermieden und Prozesse verschlankt werden sollten, wo immer es möglich ist. Das Gespräch mit den drei Unternehmen hat gezeigt, dass es bei Weitem nicht nur schwarz und weiß, sondern sehr viele Grautöne gibt. Eine „reine“ Produktionsform existiert wohl nur im Lehrbuch. Die Unternehmensführung ist gefordert, die Prozesse des Betriebes genau zu durchleuchten, um den „goldenen Mittelweg“ zu finden, mit dem sich das optimal auf ihre individuelle Produktion abgestimmte Ergebnis erzielen lässt. Wichtig ist, den Mut zu haben, traditionelle Denkweisen zu verwerfen und Neuem eine Chance zu geben, wie unsere Beispiele beweisen. Doch wer von den drei Vorgestellten über das „beste“ System verfügt, liegt eindeutig im Auge des Betrachters.

Logistik express Redaktion: Angelika Thaler

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