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Charakter vor Titel?

Überfüllte Vorlesungsräume und überlaufene Massenstudiengänge sind zwei der Indikatoren, dass Österreicher gerne die Schulbank drücken. Auch die Zahl der Studenten, die ihr Studium tatsächlich abschließen (mag dies auch „nur“ mit einem Bachelorabschluss sein), ist im Studienjahr 2011/12 auf 34.342 Abschlüsse weiter angestiegen. In einem hochgradig titelfixierten Land wie Österreich ein erfreuliches Ergebnis – oder? Wie wichtig ist ein Studienabschluss für die berufliche Karriere tatsächlich?

Jeder muss mit anpacken!
Mag. Alexander Ghezzo, Gründer und Geschäftsführer der Confare GmbH – Anbieter von Seminaren und Konferenzen – stellt fest, dass sich Titel in der Praxis als nebensächlich erweisen: „Jeder soll mitanpacken und sich für das Ergebnis und die Qualität von Produkten und Dienstleistungen mitverantwortlich fühlen. Loyalität und Begeisterungsfähigkeit – das sind die Eigenschaften, die letztlich zählen.“

Vor allem in Krisenzeiten sind diese und weitere persönliche Stärken wie Resilienz und Motivation essentiell für den beruflichen Aufstieg – der am Ende auch für den Erfolg eines Unternehmens steht: „Die Logistik muss nicht nur die inner- und außerbetrieblichen Waren-, Informations- und Geldflüsse gewährleisten, sie sichert durch ihre Kernaufgaben auch das Überleben von Unternehmen“, meint Günther Pressler, Logistic Manager bei der Salvagnini Maschinenbau GmbH und ergänzt: „In der aktuell volatilen Wirtschaftswelt wird die Bedeutung der Charaktereigenschaften von Mitarbeitern erst so richtig sichtbar!“ Lernfähigkeit und soziale Kompetenz zählen. Dies wird auch in der Ausbildung berücksichtigt, und viele Weiterbildungsprogramme bieten so genannte Managementfächer an, um Kompetenzen wie Teamfähigkeit, richtiges Reagieren in Krisensituationen etc. zu stärken. So lernt man auch an Massenuniversitäten die situationsbedingte Anonymität zu überwinden und wird vom Einzel- zum Teamkämpfer. Eine Kompetenz, die für ein erfolgreiches Berufsleben essentiell ist.

Wie praktisch ist die Theorie?
„Natürlich spielt das Fachwissen eine wesentliche Rolle“, beteuert Mag. Gregor Herzog, MBA, Geschäftsführer von GS1 Austria, „eine gute Formalausbildung ist einer von mehreren Indikatoren für Qualifikation und erleichtert die Mitarbeiterauswahl.“ Ohne die Kompetenz, theoretisches Fachwissen in der Praxis anzuwenden, verliert dieses jeden Sinn. Daher spielen berufliche Referenzen bei Einstellungsgesprächen eine ebenso wichtige Rolle – hier muss man auch das Alter des Bewerbers berücksichtigen: „Die Ausbildung spielt insbesondere bei unbeschriebenen Blättern – also jungen Bewerberinnen und Bewerbern mit noch wenig Berufserfahrung – eine Rolle. Ältere Personen mit guten Referenzen gleichen nicht vorhandene Titel mit Referenzen wieder aus“, so Herzog. Die wahre Herausforderung liegt seiner Meinung nach woanders: „Es ist schwierig, in einer Bewerbungssituation rasch zu erkennen, ob die Charaktereigenschaften zu uns passen – wie dynamisch, innovationsfreudig oder selbständig ist die Person? Denn wir haben keine Ambitionen, den Charakter unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter grundlegend zu ändern, die wichtigsten Charaktereigenschaften müssen also von vornherein passen.” Nachträgliche Qualifikation sei hingegen leichter möglich.

Wichtig ist aber natürlich auch die Bereitschaft, das Fachwissen stetig zu erweitern. Dabei wird es eher Akademikern nachgesagt, für Weiterbildungen im fortgeschrittenen Alter offen zu sein. Dazu Reinhard Botek, Key Account Manager der COS Group Austria: „Bei Berufseinsteigern ohne Titel liegt die Bereitschaft zur Weiterbildung neben dem Beruf signifikant unter der von Akademikern.“

Das Rezept zum Erfolg
Ein beruflicher Werdegang wie „vom Tellerwäscher zum Millionär“ ist heutzutage beinah undenkbar. „Möchte man eine Führungsposition erreichen, ist ein Hochschulabschluss bestimmt der beste erste Schritt“, so Ludger Schuh, Leiter des Geschäftsbereichs Inventory & Supply Chain der INFORM GmbH sowie Mitglied der Geschäftsleitung. Nicht jeder Akademiker bringt jedoch die Charaktereigenschaften eines Geschäftsführers mit. „Trotz Ausstattung mit einem Titel stehen die Türen die Karriereleiter hinauf ohne persönliches Zutun keineswegs mehr automatisch offen“, so Botek. Eine „gesunde“ Mischung aus Fachwissen, sozialer Kompetenz und persönlicher Motivationsfähigkeit ist das Rezept, das zum Erfolg führt.

Quelle: LE Magazin 01-2013

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