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Der Blick in die Glaskugel

Leopold Fara ist international beratender Einkaufsexperte. Er erklärt im Interview, was auf die Rohstoffeinkäufer zukommt und wie sie sich absichern können. Sein Resümee: Wer auf die richtigen Indikatoren achtet, hat keinen Grund zur Panik, sondern vielmehr gute Chancen.

Was sind die Faktoren, die den Rohstoffmarkt gerade so unberechenbar machen?
 
So unberechenbar, wie manche oft meinen, ist der Rohstoffmarkt gar nicht. Es gibt unzählige Frühindikatoren, die eine sinnvolle Hypothesenbildung für die Entwicklung der Rohstoffmärkte und damit der Rohstoffpreise ermöglichen. Zunächst ist es wichtig zu wissen, welche Faktoren sich auf meine Rohstoffe auswirken. Rohstoff ist nun einmal nicht Rohstoff. Rohstoffe der Textilindustrie verhalten sich völlig anders als jene der Nahrungsmittelindustrie (Wetterabhängigkeit) und die wiederum anders als die der Automobil- und Maschinenbauindustrie oder Metalle der Seltene Erden (politische Abhängigkeit). 
 
Ein Beispiel: Für die erwähnte Automobil- und Maschinenbauindustrie ist ein wesentlicher Rohstoff der Stahl. Dieser wiederum braucht Eisenerz und Kohle. Da die großen Stahlproduzenten in China, Amerika und Europa nicht über ausreichend Rohstoffe in ihrer nahen Umgebung verfügen, muss der größte Teil dieser Raw Materials per Schiff transportiert werden. Somit ist neben der Ölpreisentwicklung, die man ebenfalls in seinen Frühindikatoren untersuchen kann, der Baltic Dry Index (BDI) von großem Interesse. Dieser beschreibt die Verschiffungskosten für Schüttgut, in erster Linie für Eisenerz und Kohle. Letztlich kann der verantwortliche Einkäufer oder Logistiker sicher nur mehr oder weniger gute Hypothesen bilden. Das ist aber weit besser, als mit langen Stangen im Nebel zu stochern.
 
Experten warnen vor neuen Börsencrashs. Wie wird sich das auf Rohstoffpreise auswirken?
 
Eigentlich hat sich die Finanz- und Börsenwirtschaft schon längst von der Realwirtschaft abgekoppelt. Wenn Sie bedenken, dass die weltweit existierende Geldmenge mittlerweile etwa das 70-fache des dagegenstehenden Welt-Bruttosozialproduktes umfasst, wird verständlich, dass dieser Überschuss an Liquidität die weltweite Inflation, wenn auch regional unterschiedlich, bewirken kann. Dieses Ungleichgewicht zwischen Geldmenge und Wirtschaftskraft kann aber auch andere Folgen mit sich bringen, nämlich durch die totale Überbewertung mancher Unternehmen (facebook etc.), Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsräume das Kollabieren auf der Kapitalebene. Dies zieht die betroffene Realwirtschaft, die eigentlich gesund arbeiten könnte, mit sich. Rohstoffpreise verhalten sich also entsprechend der Kapitalwirtschaft, einfach gesprochen: hohe Kurse = hohe Rohstoffpreise. Interessant sind da jeweils die Verläufe in der Umkehrung der ökonomischen Entwicklung. Manchmal ziehen die Rohstoffpreise erst der Entwicklung nach. Doch in den meisten Fällen sind Veränderungen auf dem Rohstoffmarkt aufgrund der spekulativen Einflüsse der eigentlichen Realmarktentwicklung voraus. Ich frage mich dann oft, was war zuerst, das Huhn oder das Ei?
 
Welche Strategien raten Sie Unternehmen und deren Rohstoffeinkauf?
 
Nun, wie bereits gesagt, Einkäufer oder Logistiker sollten die Frühindikatoren ihrer Rohstoffe kennen und beobachten. Sicher, das bietet noch keine Sicherheit für richtige Kauf- oder Abstinenzentscheidungen, aber es gibt eine gesunde Basis, auf der Entscheidungen gemeinsam getroffen werden können. Wenn allerdings die Einflussfaktoren zu diffus sind, kann auch ein bankenbasiertes Hedching oder Swaps die Verfügbarkeit von Rohstoffen in ausreichender Menge und Qualität zu vertretbaren Preisen sichern.
 
Langfristig sind Strategien wie Ressourcenschonung, Recycling und die Entwicklung von Substitutionswerkstoffen, also die Abkopplung von kritischen Rohstoffen, zu untersuchen. Darüber hinaus gibt es eine Menge von denkbaren Strategien, die jeweils sorgfältig auf Eignung untersucht werden müssen. Ich will hier nur einige nennen, die speziell für den Logistiksektor interessant sein könnten: * Verfügbarkeit und Kosten von Frachtraum sichern  * Lagerbestandsoptimierung praktizieren (hierfür gibt es mittlerweile hervorragende Software Tools, die den sich verändernden Situationen Rechnung tragen) * Just-in-time-Belieferung aus geographisch nahen Lagerhäusern bevorzugen  * oder ausreichende, langfristige Selbstbevorratung bei geringer Kapitalbindung und schließlich * Vertragsverhandlungen mit unterschiedlichen Lieferanten.
 
Welche Key-Indikatoren sollen beobachtet werden?
 
Neben den spezifischen Indikatoren, die also branchenunterschiedlich sind, empfiehlt sich ein ständiges Monitoring der bekannten drei Werte. Dazu zählen natürlich der Ölpreis, die USD/EUR-Parität sowie die Konditionen für langfristige Kredite in den wichtigsten Wirtschaftsnationen. Der Goldkurs gibt im Wesentlichen das Vertrauen der Geldanleger in die Weltwirtschaft resp. in die US-Wirtschaft wider. Allerdings gilt es dabei die Entwicklungen in ihrer gegenseitigen Beeinflussung zu betrachten. Ein Indikator sagt nämlich gar nichts. Nun gut, wenn Sie tiefer gehen wollen, interessant sind z.B. Bruttoinlandsprodukte (BIP) und Zahlen aus dem US-Arbeitsministerium zur Entwicklung von Produktivität und Kosten. 
 
Preise sind Realindikatoren, sie geben Hinweise auf die Entwicklung der Inflation. Neben den Rohstoffpreisen anderer Wirtschaftbranchen sollten auch Verbraucherpreisindizes, Produzentenpreise, Großhandelspreise und Importpreise ihre Beachtung finden. Rohstoffpreise und Transportkosten (BDI) werden weiterhin als Konjunkturfrühindikator verwendet, denn die Rohstoffe stehen am Anfang der Produktionskette. Ein Anstieg ist ein Signal für eine wieder anziehende Konjunktur. Besonders Preise für Industrie- und Edelmetalle sind Realindikatoren und bringen Licht in den besagten Finanzmarktnebel. Welche Engpässe sind mittelfristig wahrscheinlich?
 
Nun, das ist die gute Nachricht. Mit einem Blick in meine Glaskugel vermag ich zu prophezeien, dass kurz und mittelfristig mit keinem allgemeinen Ansteigen im Rohstoffbereich zu rechnen ist. China, der aktuelle Weltkonjunkturmotor, stottert und wir wissen nicht, in wie weit er wieder in Fahrt kommt. Auch die anderen BRIC Countries (Brasilien, Russland, Indien, China) erfüllen derzeit nicht die hohen Erwartungen, die in sie gesetzt wurden. Ausnahmeländer wie Deutschland profitieren aufgrund der frühzeitigen gemeinsamen Disziplin von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierung von dieser Übergangssituation. Insbesondere den Gewerkschaften ist es zu verdanken, dass die Produktivität bei vergleichsweise geringen Produktionskosten Deutschland einen vorübergehenden Standortvorteil verschafft hat.
 
Nein, Engpässe in der Rohstoffversorgung sehe ich kurzfristig nicht. Das mag aus Sicht des Einkaufs zunächst verlockend klingen. Das Problem kommt von der anderen Seite des Marktes, nämlich der zurückgehenden Kaufkraft in vielen Wirtschaftsregionen. Wenn allerdings die verschiedenen Konjunkturprogramme anfangen zu greifen oder Nischensektoren boomen, sollten wir gut vorbereitet sein. Dann dreht sich die Medaille unter Umständen sehr, sehr schnell.   (AG)

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