Interview: „Die Euro-Krise ist ein heilsamer Prozess“

Politik, Unternehmen und Bürger können aus der Schuldenkrise durchaus gestärkt hervorgehen, glaubt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW).

Die Euro-Krise beherrscht große Teile der Öffentlichkeit. Ist das angemessen angesichts von so gravierenden Problemen wie Überbevölkerung, Hunger oder Klimawandel?

Bei der Währung hört die Freundschaft auf, so wie beim Geld auch. Deshalb ist jede politische Instabilität im Umfeld der Währungspolitik von besonderer Bedeutung. Das gilt unabhängig von den zu Recht angesprochenen langfristig wichtigen Themen wie der Demografie, der Ressourcenschonung oder der Klimapolitik.

Langfristig spielt eine Währungskrise also gar keine Rolle?

Doch, denn wenn es mit dem Euro in die Hose geht, braucht es Jahrzehnte, um den Vertrauensverlust wieder auszugleichen. Eine Volkswirtschaft lebt nun mal von einem funktionsfähigen Liquiditätskreislauf mit einer glaubwürdigen Währung. Meines Erachtens haben wir auch gar keine Euro-Krise, sondern eine Krise der politischen Akteure in dieser Währungsunion. Ich glaube allerdings, dass die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 8. und 9. Dezember 2011 eine gewisse Entkrampfung herbeigeführt haben.

Dennoch hat man den Eindruck, dass die Politik seit dem Zusammenbruch der Lehman-Bank im Jahr 2008 von den Ereignissen an den Finanzmärkten getrieben wird.
Es ist ja nicht so, dass sich Regierungen und Ministerien immer nur mit Krisenpolitik beschäftigen. Parallel arbeiten die einzelnen Ministerien natürlich an den Herausforderungen ihrer Ressorts – das Familienministerium beispielsweise an der Frage des demografischen Wandels oder des bürgerschaftlichen Engagements. Die Kunst ist es, die unvermeidbare kurzfristige Krisenpolitik zu betreiben und gleichzeitig langfristige Themen wie die Ressourcensicherung oder die Klimapolitik, die ohnehin innerhalb globaler Verhandlungsprozesse gestaltet wird, voranzutreiben.

Angesichts der permanenten Feuerwehreinsätze, die die Finanzkrise nach sich zieht, fragen sich immer mehr Menschen, ob unsere Wirtschaftsordnung noch die richtige ist.
Es gibt jenseits der Grundsatzentscheidung zwischen Markt- und Planwirtschaft nicht die eine Wirtschaftsordnung, die bis in alle Ewigkeit die richtigen Antworten auf sämtliche Fragen liefert. Wirtschaftsordnungen unterliegen Lernprozessen, sie verändern sich. Und auch heute müssen wir auf die Finanzkrise lernend reagieren. Wir müssen eine Antwort finden auf die Frage, wie eine angemessene Finanzmarktregulierung und -aufsicht zu organisieren ist.

Am System würde das allerdings nichts ändern – dabei richtet sich die Kritik doch gerade gegen Ordnungssysteme, die sich ausschließlich dem „Immer mehr, immer weiter so“ verschrieben haben. Ein Planet, dessen Ressourcen endlich sind, kann aber nicht ewig auf Wachstum setzen.

Wachstumskritik ist ja nichts Neues. Der Wachstumsbegriff hat das Problem, dass er unterstellt, dass Wachstum immer das Gleiche beschreibt. Aber das, was heute hergestellt und konsumiert wird, ist ja etwas völlig anderes als vor 30 Jahren – mit einem ganz anderen Energieeinsatz und mit einem völlig anderen Ressourceneinsatz. Insofern reagieren wir bereits laufend auf sich verändernde Knappheiten.

Landen wir also irgendwann doch in einer stationären Wirtschaft?

Das Bild einer stationären Wirtschaft ist das Bild einer fantasielosen Welt.

Das müssen Sie erklären.

Fortschritt findet ja nicht nur statt, indem der Schwarz-Weiß-Fernseher durch einen Farbfernseher ersetzt wird, sondern auch durch neue Dienstleistungen oder medizinisch-technischen Fortschritt. Wachstum darf man ordnungspolitisch außerdem nicht vom Ergebnis her bewerten, sondern von der Ermöglichung. Ermöglichung von Wachstum heißt, dass man in einer freiheitlichen Ordnung jeden Tag entscheiden kann, etwas anders zu machen als bisher. Sie können jeden Tag eine neue Idee haben und umsetzen – entweder auf eigene Kosten oder mithilfe eines Investors. Der Markt entscheidet dann, ob jemand Erfolg mit seiner Idee hat oder nicht.

Dann kann auch die Wirtschaft in Deutschland weiter wachsen?

Gerade in Deutschland, weil Deutschland zeigt, dass auch ein Land mit einem hohen Industrieanteil hocheffizient sein kann.

Die Schuldenkrise zwingt aber sehr viele Staaten, massiv zu sparen. Und auch die Bürger werden – nicht nur in Griechenland – deutlich weniger verdienen. Wer soll dann all die schönen deutschen Produkte kaufen?

Länder wie Griechenland, Portugal oder Spanien sind keine großen Importeure deutscher Waren. Der Anteil Deutschlands an der Handelsbilanz in diesen Ländern ist in den vergangenen zehn Jahren mehr oder weniger stabil gewesen, teils sogar leicht rückläufig.

Dass einige südeuropäische Länder massiv sparen müssen, ist unvermeidbar. Vor allem Griechenland und Portugal haben sich in den vergangenen Jahren einen Konsum geleistet, der nicht ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprach. Das muss korrigiert werden. Es muss z.B. eine Anpassung bei den Lohnstückkosten geben: In Portugal, Spanien und Griechenland sind die Lohnstückkosten seit dem Jahr 2000 im Schnitt um 35 Prozent gestiegen, in Deutschland nur um 7 Prozent. Diese Lücke steht für einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und das kann so nicht weitergehen.

Mit einer gemeinsamen europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik wäre es aber gar nicht erst so weit gekommen …

Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen: Der Euro ist die gemeinsame Währung mehrerer Länder.

Diese Länder können den Euro folglich nicht selbst drucken, das kann nur die Europäische Zentralbank. Gleichzeitig ist Europa dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet, das bedeutet: Jede Aufgabe wird von der niedrigsten politischen Ebene gelöst, die dazu in der Lage ist. Diesen Gedanken wird man nicht aufgeben, insofern kommt man hier sehr schnell an Grenzen der Veränderbarkeit.

Die Euro-Krise wird also keine echten Veränderungen herbeiführen?

Doch. Ich halte die Euro-Krise für einen heilsamen Prozess: Viele Länder sind mit ihrem Fehlverhalten lange Jahre durchgekommen, aber jetzt ist deutlich geworden, dass das nicht so weitergeht. Wir können bei all den anderen drängenden Problemen wie der Demografie oder dem Klimaschutz nicht nachhaltig sein, wenn wir bei den Finanzen mit laufender Verschuldung agieren.

Was kann die Politik also tun? Wie können die einzelnen Länderregierungen, die ja alle Sparprogramme aufgelegt haben, eine Rezession im eigenen Land verhindern?

Das variiert von Land zu Land. Nehmen wir Italien als Beispiel. Italien ist eigentlich ein reiches Land, die Verschuldung findet dort überwiegend im öffentlichen Sektor statt und deshalb ist es richtig, die Privaten, also beispielsweise vermögende Haushalte, an der Sanierung des Staates durch Steuererhöhungen zu beteiligen. Gleichzeitig ist eine Politik für mehr Wettbewerb gefragt, um die Dynamik der Unternehmen zu erhöhen. In Portugal kann man das derzeit gut beobachten: Dort hat der stärkere Wettbewerb schon dazu geführt, dass sich die exportorientierten Branchen deutlich positiv entwickeln.

Welchen Beitrag kann das politische Europa leisten?

Das Europäische Parlament hat bereits etwas beschlossen, was die Länder entlastet: Die Eigenfinanzierungsanteile bei den Strukturfonds wurden auf 5 Prozent abgesenkt. Ich könnte mir sogar vorstellen, diesen Eigenanteil vorübergehend mal auf null zu senken – solange die Entscheidung über die Mittelverwendung bei der europäischen Behörde bleibt.

Wie bewerten Sie den Euro-Rettungsschirm?

Die Rettungsmechanismen EFSF und ESM signalisieren nicht nur Handlungsfähigkeit, sie füllen auch eine institutionelle Lücke in der Eurozone. Wichtig ist außerdem, dass die Defizitländer eine konsequente Konsolidierung betreiben und alle Euroländer mittels automatischer Sanktionen und Schuldenbremsen zu einer glaubwürdigen Selbstbindung in der Finanzpolitik finden. Die EU-Gipfelbeschlüsse von Anfang Dezember haben dafür bereits den Grundstein gelegt.

Sie glauben also, dass wir in ein, zwei Jahren immer noch mit dem Euro bezahlen werden?

Ich gehe fest davon aus, dass der Euro eine sehr viel längere Zukunft haben wird.

Quelle: globalSCM

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