Italien will keine Gefahrgüter mehr auf der Schiene

Harter Rückschlag für den Güterverkehr auf der Schiene: An der internationalen Frühjahrstagung des VAP zum Bahngüterverkehr in der Schweiz und Europa in Zürich wurde bekannt, dass die italienische Staatsbahn Trenitalia kein Gefahrgut mehr befördern will, das in Güterwagen oder Behältern transportiert wird, deren für die Instandhaltung zuständige Stelle nicht zertifiziert ist, sondern nur über eine Konformitätserklärung gemäss EU-Verordnung 445/2011 verfügt.

Die Verweigerung des Transportes von Gefahrgut durch die italienische Staatsbahn hat negative Folgen auf den gesamten schweizerischen und europäischen Schienengüterverkehr, der wegen seiner höheren Sicherheit eigentlich für Gefahrguttransporte prädestiniert ist. Die Frühjahrstagung des VAP war im Übrigen der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs, den politischen und technischen Rahmenbedingungen, dem neusten Stand der Technik, dem Risikomanagement im Schienengüterverkehr und der Konformität von Güterwagen gewidmet.

Die italienische Staatsbahn Trenitalia hat angekündigt, dass sie per sofort (!) Güterwagen nicht mehr annehme, welche Gefahrgut befördern und von einer ECM (entity in charge of maintenance = für die Instandhaltung zuständige Stelle, i.d.R. der Wagenhalter) mit Eigenerklärung der Konformität statt Zertifizierung verwaltet werden. Dies aus "Gründen der Sicherheit", wie Trenitalia verlautete. Die Forderung der Trenitalia verstösst zumindest im Zeitraum 31. Mai 2012 bis 31. Mai 2013 gegen Artikel 12 (6) der EU-Verordnung 445/2011. Die dort festgelegten so genannten "Eigenerklärungen der Konformität" ("self declarations of conformity") müssen bis zum 31. Mai 2013 als gleichwertig anerkannt werden. Sie sind seit Mai 2011 direkt geltendes EU-Recht, welches auch für Italien gilt. Die an der Frühjahrstagung des VAP versammelten Spitzenvertreter der Anbieter von Güterverkehrsdienstleistungen, des Bundes, der Behörden der umliegenden Länder und der EU sowie der verladenden Wirtschaft reagierten mit Unverständnis und gaben ihrem Unmut Ausdruck.

Die UIP (International Union of Wagon Keepers) und ERFA (European Railfreight Association) als Sektororganisationen der Wagenhalter und Bahnkunden haben diesen rechtswidrigen Vorgang der EU Kommission zur Stellungnahme bereits unterbreitet. Noch ist die EU Kommission an der Prüfung der Rechtslage, scheint jedoch für die Annahmeverweigerung von Wagen einer ECM mit Selbstdeklaration konkrete und dokumentierte Gründe, die gegen eine sichere Beförderung der betroffenen Wagen sprechen, vorauszusetzen. Der VAP ist indessen dezidiert der Meinung, dass eine generelle Annahmeverweigerung gegen einzelne oder alle betroffenen ECM mit Selbstdeklaration als unvereinbar mit dem europäischen Recht angesehen werden muss.

Gleichwohl werden derzeit solche Wagen von Trenitalia nicht befördert. Die vertrags- und gesetzeswidrige Haltung der Trenitalia dauert an, die marktbeherrschende Stellung wird weiterhin hemmungslos ausgenutzt. Auch wenn es neben Trenitalia etliche weitere Eisenbahnverkehrsunternehmungen in Italien gibt, ist es für die verladende Wirtschaft gleichwohl nicht möglich, sich quasi über Nacht neu zu organisieren. Ausserdem gibt es Verträge zwischen Trenitalia und deren Kunden, die eingehalten werden sollten.
Verantwortlich für dieses gesetz- und vertragswidrige Verhalten der Trenitalia ist der CEO von Trenitalia, Mauro Moretti, der zugleich Präsident der Europäischen Bahnorganisation CER (Community of European Railway and Infrastructure Companies) und in dieser Funktion für den gesamten Bahnverkehr in Europa zuständig ist. Das Verbot von Gefahrguttransporten durch Trenitalia schädigt somit auch das Ansehen der CER.

An der Frühjahrstagung des VAP kam überdies schwergewichtig die laufende Verschärfung der Sicherheitsvorschriften zur Sprache, welche zu einer Kostenexplosion führt (Referate Thomet, Kunz). Nationale Alleingänge der Sicherheitsbehörden erschwerten ein kohärentes Sicherheitsmanagement der Wagenhalter. Kurzfristige Auflagen führten zu massiven Störungen des Betriebs (Referat Kunz). In der Summe führten sie zu erheblichen Mehrkosten, aber auch Betriebsstörungen und damit Unzuverlässigkeit des Bahnverkehrs. Sie seien denn auch zu eigentlichen Killerkriterien im Wettbewerb zur Strasse geworden, unterstrichen verschiedene Referenten an der Frühjahrstagung des VAP. Die verladende Wirtschaft fordert daher zusammen mit den Referenten die Erhöhung der Kompetenzen der ERA (Europäische Eisenbahnagentur) im Rahmen des vierten Eisenbahnpakets und ein analytischeres Vorgehen bei Unfällen und anderen Betriebsstörungen (Referat Dambrine). 

Quelle: MyLogistics

Portal: www.logistik-express.com

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