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Komplex aber lösbar

Die Vernetzung von Informations- und Warenströmen sowie der Menschen, die diese lenken, stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Doch welchen Aufgaben müssen sich Logistiker konkret stellen, um die zunehmende Komplexität zu beherrschen? Und welche Marktentwicklung hat die Branche insgesamt zu erwarten? Der diesjährige 29. Deutsche Logistik-Kongress Mitte Oktober in Berlin gab einige Antworten.   

Es gibt mehr Märkte, es gibt mehr Marktteilnehmer – und daher stellt sich auch für Logistiker die Aufgabe, eine immer größer werdende Komplexität zu bewältigen.“ Diese Feststellung des US-amerikanischen Logistikprofessors Robert Handfield von der North Carolina State University bringt das inhaltliche Geschehen des diesjährigen Deutschen Logistik-Kongresses  trefflich auf den Punkt. Der Wissenschaftler nutzte seine Redezeit auf dem bedeutendsten Logistik-Netzwerktreffen des Jahres, um ein erstes Fazit aus der aktuell laufenden Studie „Trends und Strategien in der Logistik“ zu ziehen. 
 
Das internationale Forscherteam um Handfield hatte die Zeit bis kurz vor Beginn des Kongresses genutzt, um unter 60 hochrangigen Managern aus der Automotive-, Chemie-, Konsumgüter-, IT- und Bekleidungsindustrie die aktuellen Schlüsseltrends der Logistikbranche zu identifizieren. Im Rahmen der von der Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Auftrag gegebenen Langzeitstudie präsentierten die Wissenschaftler nun ihre ersten Erkenntnisse: Die Störungen innerhalb der Lieferketten nehmen zu. Die Infrastrukturengpässe werden größer. Und die Tatsache, dass gut ausgebildeter Nachwuchs immer schwieriger zu finden ist, stellt Logistiker weltweit vor ein weiteres großes Problem. Neben dem Nearshoring, der Verlagerung der Produktion an heimatnahe Standorte, sei seit geraumer Zeit ein weiterer Trend zu beobachten: Die Tendenz, dass Konzerne verstärkt dazu neigen, in den Wachstumsmärkten direkt vor Ort zu produzieren.
 
Logistischer Kraftakt
 „Wer mitspielen will, muss in die lokalen Märkte gehen“, lautete demzufolge auch die Aussage von Dr. Karl A. May, Bereichsleiter Logistik bei der Münchener BMW AG. Der deutsche Automobilproduzent aus dem Premiumsegment hat unlängst erst bekannt gegeben, die Kapazitäten an den beiden chinesischen Produktionsstandorten Tiexi und Dadong weiter auszubauen. Mittelfristig wollen die BMW-Manager die jährliche Produktionskapazität in China von heute rund 200.000 auf bis zu 400.000 Autos aufstocken. Den damit verbundenen logistischen Kraftakt ließ der BMW-Logistiker May in einer von der Fernsehmoderatorin Kay Sölve Richter moderierten Podiumsdiskussion nicht unbetont:  „Für ein Auto, das wir in China produzieren, verschicken wir eine unglaubliche Menge an Einzelteilen rund um die Welt.“ Um die weltweiten Lieferketten effektiv steuern zu können, sei es deshalb unverzichtbar, Engpässe in der Infrastruktur zu beseitigen.
 
Auch beim Detmolder Verbindungstechnik-Hersteller Weidmüller Interface verwendet man viel Kraft, um den unterschiedlichen Marktanforderungen mit ausländischen Standorten sowie einer global aufgestellten Logistik zu begegnen. Im Grundsatz geht das Unternehmen aber einen etwas anderen Weg: „Wir erwirtschaften rund 70 Prozent unseres Umsatzes im Ausland, halten aber den größten Teil unserer Wertschöpfung in Deutschland“, kommentierte Weidmüller Interface Vorstand Harald Vogelsang die strategische Ausrichtung. Der mittelständische Elektrotechnikhersteller hat noch rund die Hälfte seiner weltweit eingesetzten Mitarbeiter in Deutschland stationiert und setzt diese, falls nötig, auch an seinen Produktionsstandorten im Ausland ein. Mit seiner eigenen Akademie setzt das Unternehmen zielgerichtet auch in der Forschung und Produktentwicklung auf das Know-how seiner Mitarbeiter aus Deutschland. Allerdings betonte Vogelsang: „Um schnell in den Märkten agieren zu können, brauchen wir ein ausgeklügeltes Logistiknetzwerk.“
 
Transporte zu Lasten der Wirtschaft
Wer sein Geschäft – anders als der Detmolder Verbindungstechnik-Hersteller Weidmüller Interface – schwerpunktmäßig auf die Produktion in Niedriglohnländern aufbaut, der müsse sich nach Einschätzung von Dr. Ottmar Gast, Sprecher der Geschäftsführung der Reederei Hamburg Süd, darauf einstellen, dass dies in den kommenden Jahren verstärkt zu Lasten der Wirtschaftlichkeit gehen wird. Schuld daran seien die steigenden Transportkosten, sagte der Container-Schifffahrtsexperte vor dem voll besetzten Plenum in Berlin. Aktuell würden die Energie- und Treibstoffkosten bereits rund ein Viertel der Gesamtkosten im Containertransport ausmachen. Gründe für Transportkostenerhöhungen sieht der Schifffahrtsexperte in naher Zukunft hauptsächlich durch die strenger werdenden Umweltauflagen im Bereich der Schwefel-, CO2- und Stickstoffoxid-Emissionen sowie durch die weiter steigenden Rohstoffpreise begründet. In manchen Weltregionen sei die Wirtschaftlichkeit von Containerladungsströmen zusätzlich aber auch durch massive infrastrukturelle Probleme belastet, gab der Reederei-Chef zu bedenken. 
 
Appell an die Politik
Prof. Raimund Klinkner, Vorstandsvorsitzender der BVL, richtete in seiner Eröffnungsrede einen Appell an die Politik, zumindest hierzulande dafür zu sorgen, dass sich die infrastrukturellen Rahmenbedingungen für die Logistikbranche verbessern. Er verwies auf eine aktuelle BVL-Umfrage, nach der die zukünftige Geschäftsentwicklung für gut 90 Prozent der Unternehmen direkt von der Qualität der Infrastruktur abhängt. Daher forderte er die verkehrspolitischen Entscheidungsträger auf, die Infrastrukturfinanzierung langfristig zu sichern, die Investitionen in Infrastruktur zu verdoppeln und für die Unternehmen mehr Planungssicherzeit zu schaffen. „Dabei sollten wir uns nicht allein auf den Ausbau der physischen Infrastruktur konzentrieren“, sagte Klinkner. Es gelte auch die Ablauforganisation zu verbessern: „Nadelöhre bei der Zollabwicklung, zum Beispiel durch Medienbrüche beim Austausch von Verladedokumenten, sind unbürokratisch zu beseitigen“, so der BVL-Vorstandsvorsitzende.
 
Ein durchwegs positives Fazit zog Klinkner für die Umsätze des Wirtschaftsbereiches Logistik im laufenden Jahr: „ Wir erwarten ein Wachstum um bis zu drei Prozent“, sagte der BVL-Chef. „Damit wird das Jahr 2012 für die Logistikbranche erneut ein Rekordjahr“. Im Hinblick auf die aktuelle sowie die perspektivische Situation der Unternehmen ließ Klinkner dagegen deutlich mehr Skepsis walten. „In den Erwartungen schlagen sich Unsicherheiten und Volatilitäten auf den Kapitalmärkten und in der Politik nieder. Die teilweise widersprüchlichen Wirtschaftsmeldungen, die Tag für Tag verbreitet werden, tragen nicht dazu bei, Vertrauen in die weitere ökonomische Entwicklung zu erzeugen“, so Klinkner. Tatsache sei aber auch, dass der Welthandel weiter wachse und insbesondere von den für die Exportnation Deutschland wichtigen Volkswirtschaften der BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) starke Impulse sowohl in den Beschaffungs- als auch in den Absatzmärkten gesandt würden.

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