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Päckchenflut aus Fernost: Mangelhaftes IOSS > 100-derte Millionen an Steuerausfällen?

Lücken im europäischen Zoll und Einfuhrrecht werden von außereuropäischen Einzelhandelsplattformen ausgenutzt. Abgabenbetrug, Produktpiraterie und Wettbewerbsverzerrung auf Kosten des europäischen Einzelhandels.

Am Hauptumschlagplatz für Ecommerce Luftfrachtsendungen in Europa, in Lüttich kommen durchschnittlich bereits mehr als 1. Mio. Päckchen täglich an, Tendenz steigend. Für den belgischen Zoll ist das eine Herausforderung. An den mehr als 60 Kontrollstellen rund um den Flughafen, können bei weitem nicht alle Sendungen anhand der Lieferlisten kontrolliert werden. Um weniger Einfuhrumsatzsteuer zu zahlen, und Zoll zu vermeiden wird der angemeldete Warenwert gerne unter 150 EUR gehalten. Das wäre Abgabenbetrug. Zielmarkt ist dabei häufig Deutschland. Geflutet wird der europäische Markt zur Zeit von online Plattformen, allen voran aus Fernost.

Die digitale Vernetzung mit der Endkonsumenten zeigt auch, dass der führende Marktplatz die meist heruntergeladene Shopping APP in Deutschland ist. Die elektronische Schnittstelle hat bereits Zalando überholt und liegt auf dem 4. Platz in Deutschland – Tendenz steigend.

Shopping like a billionaire

Geworben wird mit unfassbaren Billigpreisen. Mehrere Plattformen aus Fernost bedienen sich ähnlicher Strategien. Versandkosten werden in den Preis eingerechnet und als kostenlos ausgewiesen. Allerdings müssen Zustellzeiten von mehr als 10 Tagen in Kauf genommen werden.
Die Ware ist nicht sofort verfügbar. Wenn der Preis aber um mehr als 30% und mehr günstiger ist als beim Wettbewerber, sind Konsumenten bereit wesentlich längere Lieferzeiten in Kauf zu nehmen.

Möglich sind die geringen Warenpreise durch eine direkte Disposition beim Hersteller in Fernost. Kommt es zu einem Kauf werden die meisten Waren erst noch her- oder fertiggestellt. Versendet werden die Waren dann in adressierten Einzelsendungen per Luftfracht nach Europa.

Einzelsendungen – disponiert in vernetzten Herstellungsnetzen, statt Lagerhaltung, Kommissionierung – Mittler werden ausgeschaltet

Konsolidierung von Warenmengen, deren Verschiffung nach Europa in Containern wird umgangen, denn die Zollkosten sind zu hoch. Zudem wird die Lagerhaltung, Kommissionierung, ja sogar die Verteilung in nationale Zustellnetze über Zentren umgangen und ausgeschaltet und so nicht unerhebliche Kosten gespart. Die Päckchen kommen einzeln, denn unter einem Warenwert von 150 EUR fällt kein Zoll an. Der Eigentümer der führenden Plattform, PDD Holdings Inc. ist mit dem neuen Einzelhandelsmodel mittelweile der größte online Händler in China geworden. Ähnliches wird nun auch in Europa erwartet.

EU Zollbehörden: machtlos, keine Ressourcen, schlecht ausgestattet, nicht vernetzt

Am Hauptdrehkreuz für E-Commerce Päckchen in die EU, in Lüttich (BE) arbeiteten 200 Zollbeamte im 3 Schichtbetrieb. Der Zoll weiß das die Wertangaben, nach internen Schätzungen der EU bei mehr als der Hälfte der Sendungen nicht stimmen. Die Betrugssummen pro Einzelsendung sind nicht hoch, aber bei mehr als 1 Mio. Stück täglich kommen rasch sehr hohe Summen zustande. Eine lückenlose Kontrolle ist nicht möglich. Die online Händler nützen das möglicherweise aus.

EU Zollrecht: Gute Rechtsgrundlage – schlechte Umsetzung, kaum Kontrolle, keine Konsequenzen
TEMU und SHEIN sind in Irland registriert und müssen dort die anfallenden Einfuhrumsatzsteuern für die EU pro Päckchen nach dem Import One Stop Shop (IOSS) System (max. 150 EUR) anmelden. Bezahlt wird an die irische Finanz, die die Steuern an jene EU MS weiterleitet in denen die Empfänger der Päckchen sind. Der Zoll kann nicht kontrollieren wieviel Einfuhrumsatzsteuer wirklich pro Päckchen angemeldet wurde – es fehlt an der digitalen Vernetzung – der Zoll ist machtlos: 1) Offiziell gibt es eine IOSS Nummer -> ob die Nummer gültig ist kann nicht kontrolliert werden 2) Wenn etwas nicht stimmt kann es nicht in Echtzeit kontrolliert werden. Der fehlende Datenaustausch in Echtzeit zwischen den Behörden, verleitet zum Betrug und verzerrt den Wettbewerb zum Nachteil des europäischen Einzelhandels nachhaltig. Kontrolle ist nicht möglich. Alleine dem deutschen Staat entgehen durch die fehlende Vernetzung und die damit fehlende Kontrolle jährlich Steuern in 3-stelliger Millionen Höhe.

Der faire Wettbewerb wird in Europa durch die mangelhafte Einführung des IOSS Systems außer Kraft gesetzt: 1) Bestimmungen die für den E-Commerce gelten werden nicht eingehalten 2) es führt zu Kostenvorteilen für die Anbieter die europäischen Bestimmungen umgehen 3) es führt zu einer „Rabattierung“ der digitalen Einzelhandelsprodukte von Konkurrenten aus Fernost, auf Kosten der europäischen Steuerzahler.

Rasch müssen wieder faire Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden

Der Gesetzgeber muss dringend sicherstellen das faire Wettbewerbsbedingungen herrschen, andernfalls entstehen negative volkswirtschaftliche Effekte für die gesamte europäischen Einzelhandelsbranche, einschließlich des digitalen Einzelhandels. Zwar wird die Abschaffung der 150 EUR Zollfreigrenze in der EU diskutiert, aber eine Entscheidung soll erst bis 2028 erfolgen.

Nur, der Markt kann sich ein Zeitfenster von weiteren 4 Jahren nicht leisten. Die Entwicklung der letzten Monate zeigen, dass die Finanz- und Zollbehörden schlecht ausgerüstet sind. Insbesondere die fehlende Vernetzung und der damit verbundene Mangel im Zugriff auf die Daten zu den Sendungen führt zu erheblichen Ausfällen. (RED)


LOGISTIK express Journal 1/2024, Handel & Distanzhandel



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