Raus aus dem Forst, rein ins Werk

Im Forst stehen Logistiker vor einem Dilemma: "Wir können nicht jeden beliebigen Baumstamm ins nächste Werk zur Verarbeitung bringen, sondern müssen die Anforderungen der Industrie mit den Gegebenheiten des Waldes in Einklang bringen." Gero Becker, der das sagt, ist Professor für Forstbenutzung an der Freiburger Universität und hat in den zurückliegenden drei Jahren den Forschungsverbund "MatchWood" geleitet. Um sowohl die Forstwirtschaft als auch Verbraucher wie Säge-, Papier- und Plattenindustrie über alle Besitzformen hinweg mit umfassenden Auskünften zu beliefern, setzen die elf Partner aus Forschung und Industrie im Kern auf eine prozessorientierte Logistikkette – das "Matching".

"Zwar gibt es in der forstwirtschaftlichen Praxis bereits zahlreiche Instrumente etwa zum Routing, zur Fernerkundung oder zum Modellieren; aber das sind alles Einzellösungen." Ansatz von "MatchWood" ist deshalb, die einzelnen Glieder über eine Internetplattform zu verbinden, um so die Kette insgesamt geschmeidiger zu machen. Wie eine solche integrierte Holzabsatzkette funktionieren kann, zeigt folgendes Beispiel: Erhält ein Forstbetrieb die Anfrage eines holzverarbeitenden Unternehmens nach Rundholz, das bestimmten Kriterien wie Baumart, Sortiment, Menge oder Lieferzeitpunkt entsprechen muss, recherchiert der Betrieb in seiner Datenbank. Diese beinhaltet neben Arten, Fläche und Lage des Bestandes auch Angaben über Qualität und Menge des Holzes und die zu erwartenden Erntekosten. So bekommt die Industrie nicht irgendein Rohholz geliefert, sondern ihren Wunschstamm, der die Anforderungen exakt erfüllt.

Gleichzeitig ist es möglich, die optimale Abfolge der Holzernte zu berechnen. Damit können die Umsetzzeiten und die Wege der Holzernte- und Rückemaschinen zwischen den Beständen verkürzt werden. Auch den optimalen Weg zwischen Polter im Forst und Standort des Unternehmens können die Wissenschaftler modellieren. Das wiederum senkt die Kosten für die Instandhaltung des Wegenetzes und mindert den Schadstoffausstoß beim Transport. Lkw-Leerfahrten lassen sich um bis zu 50 Prozent reduzieren.

Doch so gut die Logistikkette auch geölt ist – wenn es an präzisen Informationen zu Baumarten und Sorten, zu Mengen und Qualitäten fehlt, nützt das beste "Matching" nichts. Derzeit sind die Fakten aus Forsteinrichtungen sowie aus überregionalen und betrieblichen Inventuren meist nicht aussagekräftig oder nicht aktuell genug. Folglich muss das "Warenlager Wald" intensiver erkundet werden. Das gilt vor allem für den Privatwald, der ca. 45 Prozent der Waldfläche in Deutschland bedeckt. "Was auf den rund fünf Millionen Hektar Privatwald wächst, davon haben gerade viele der kleineren Waldbesitzer nur ungefähr eine Ahnung", erläutert Gero Becker.

Um an die Stelle des vagen Wissens der Eigentümer fundierte Daten zu setzen, greift Barbara Koch zur Fernerkundung. Die Professorin an der Abteilung Fernerkundung und Landschaftsinformationssysteme der Universität Freiburg hat im "MatchWood"-Verbund Methoden entwickelt, den Wald mit modernster Lasertechnik in seine einzelnen Bestandteile zu zerlegen. "Die Technik ist mittlerweile so gut, dass wir Laserdaten aus Befliegungen sehr hoch auflösen und damit zum Beispiel die genaue Höhe von Bäumen bestimmen können", schildert sie. Das ist ein wichtiges Kriterium, aus dem sich Rückschlüsse auf andere Parameter wie Biomasse und Holzvolumen der Bäume ziehen lassen. Die modellierten Daten zeigen zudem, wie es um die Struktur des Waldes bestellt ist.

Koch: "Für die Forstwirtschaft ist es wichtig, zu wissen, ob und wie sich zum Beispiel der Baumbestand verjüngt." Und noch eine andere Information, die für Forstunternehmer beim Abtransport der Stämme von Belang ist, erhält sie: Anhand der Daten kann sie mit recht gutem Erfolg Forstwege abbilden und aufzeigen, wo diese im Wald verlaufen und ob Lkw’s diese befahren können.

In der Praxis, so das Fazit von "MatchWood", könnten die Abläufe zwischen der naturnahen Forstwirtschaft und der industriellen Holzverarbeitung erheblich verkürzt werden – von bislang sechs bis acht Wochen ließe sich die Zeitspanne bis das Holz im Säge- oder Papierwerk ankommt auf bis zu zwei Wochen reduzieren. Während "MatchWood" an der Effizienz der gesamten Logistikkette feilte, nahm in Wismar, 900 Kilometer weiter im Norden, ein anderer Verbund des Förderschwerpunktes "Nachhaltige Waldwirtschaft" die Effizienz des Routings unter die Lupe. Und auch das hatte seine guten Gründe: Der Seehafen Wismar ist eine der wichtigsten Drehscheiben in Sachen Holz in Deutschland. Einige der Akteure, darunter die Scheller Systemtechnik GmbH, die Egger Holzwerkstoffe GmbH, der Seehafen Wismar und die Forstwirtschaftliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern, hoben 2005 den Forschungsverbund "HolzCluster Nord" (HCN) aus der Taufe. Ein wesentliches Ziel: Die Glieder der Wertschöpfungskette vom Wald ins Werk über elektronische Datenverarbeitung zeitlich schneller zu verbinden. Michael Scheller, Leiter von HCN und Geschäftsführer der Scheller Systemtechnik, griff deshalb mittels "eLogistic" an drei Stellen in die Kette ein: Bei der Erfassung der Polter im Forst, beim Umschlag der Holzprodukte im Seehafen und beim Verfolgen der per Lkw transportierten Holzprodukte.

Bereits im Forst kann ein Softwareprogramm nunmehr Holzvolumen, Verteilung der Stärkeklassen und Anzahl der Stämme berechnen. Und soll der Polter gleich ins Sägewerk transportiert werden, kann der Forstbetrieb die digitalen Daten zu Standort und Holzmenge oder auch Hinweise zum Zustand der Waldwege direkt an die Spedition übermitteln, die die Stämme liefert. Ist das Holzprodukt hergestellt, verschicken viele Firmen ihre Waren weltweit via Seehafen Wismar – dort wird bereits das im Forschungsverbund entwickelte Software-System als Service Tower eingesetzt. Damit können Reederei, Lieferanten, Kunden und Behörden ihre jeweiligen Aufträge und Daten via Internetplattform verschicken – ohne das lästige Ausfüllen von Papieren. Und wenn die Ware schließlich auf dem Weg zum Kunden ist, kommt das "Standard Identifikations-, Ortungs- und Sensorik-System" (SIOS) zum Einsatz. Das kleine Empfangssystem wird am Lkw befestigt und zeigt, wo sich die Ware in Deutschland oder Europa befindet.

Inzwischen wollen die Forscher und Praktiker die Frage der Logistik auf die internationale Bühne heben. Sowohl "MatchWood"-Leiter Gero Becker als auch HCN-Chef Michael Scheller kündigen an, ihre Forschung über Förderprogramme der Europäischen Union fortzusetzen.

Quelle: MyLogistics

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar