Volldigitalisierung in der Zustellbranche, Umbau des Europäischen Post- und Zustellsektors
Wenn es um B2C-Lieferungen geht, sind Daten das neue Schlüsselkapital der Branche. Die lokale, regionale (d. h. EU) und globale Harmonisierung elektronischer Vorabdatenformate (electronic advanced data / EAD) ist dabei die Lieferlogistik grundlegend umzustellen.
Beitrag: Walter Trezek
Risikomanagemet, Anforderungen an die Zustellung von Warensendungen. Folgende Vorgaben sind zu erfüllen: Eindeutige Angaben zum Inhalt in jedem Paket / Zuweisung einer eindeutigen Kennung auf der Warensendung (Paket) / Gewährleistung der Transparenz des vertraglichen Austauschverhältnisses, das zur Warensendung gehört / die mit der Warenzustellung verbundenen steuerlichen Verpflichtungen sind nachvollziehbar zu machen / Gewährleistung der Sicherheitsanforderungen für Liefer-, Fracht- und Transportlogistik / Nachweis der Produktbezogenen Herstellerkonformität bei Einzelhandelswaren / und Messbarkeit, Zuordnung, Berichtswesen und Zuweisung der CO2 und Treibhausgasemissionen, Ende-zu-Ende auf Warensendungseben.
Der obligatorische Austausch von Vorabdaten (EAD) auf Einzelsendungsebene zwischen allen an der Lieferung Beteiligten verändert Geschäftsmodelle. Die erforderlichen Datenelemente wurden zunächst vom Weltpostverein (UPU) zusammen mit der Weltzollorganisation (WCO) als Teil eines globalen Datenmodells zur Verbesserung der Transportsicherheit definiert. 2021 weltweit als verpflichtend eingerichtet, dienen diese Vorabdaten als Maßstab für gesetzliche Vorgaben in der EU wie das MwSt. Ecommerce Paket, oder das Importkontrollsystem 2 (ICS2) für grenzüberschreitenden Warensendungsversandt.
Zunehmende Regulierung und die Absicherung auch nicht-fiskalischer Risiken bringen höhere Sicherheitsanforderungen mit sich
Der verpflichtende Vorabdatenaustausch auf Einzelsendungsebene bringt neue und komplexere Anforderungen an die Einhaltung von rechtlichen und regulatorischen Vorgaben mit sich. Den Zustellmarkt beschäftigen diese Entwicklungen seit Jahren. Mit den grundlegenden Entscheidungen der Mitgliedsstaaten des Weltpostvereins 2021, werden nun Marktteilnehmer in die Ausgestaltung der technischen und nachrichtenspezifischen Normen miteinbezogen. Alle Marktteilnehmer erarbeiten und harmonisieren die Rahmenbedingungen. Die wachsenden Anforderungen an Versender und Zustellunternehmen erhöhen das Risiko nicht normenkonformer Leistungserbringung aufgrund von: niedriger Datenqualität / nicht harmonisierter und validierter Datensätze / und Lücken zwischen verwendeten Datenquellen und den Behörden vorgelegten Daten.
Derzeit schein es nur wenige Anreize für betroffene Interessensgruppen zu geben bestmögliche Daten zu verwenden. Das Postzollprivileg ermöglicht es den benannten Betreibern, keine Haftung für die Zollanmeldungen zu übernehmen. Das Ausfüllen der Zollanmeldungen fällt in die alleinige Verantwortung des Absenders.
Die Ende-zu-Ende Digitalisierung verändert das Geschäftsmodel: Die am „Point-of-Sale“ verfügbaren Daten und die eindeutige Identifizierung aller Beteiligten in der Lieferkette werden verwendet, um den E-Commerce neu zu gestalten.
Registrierung der Anbieter wird die Regel
Durchgängige Digitalisierung gewährleistet die Verfügbarkeit von genauen und überprüfbaren Daten. Diese Datenquellen werden zum Nachweis der Produktkonformität verwendet. Zunehmend dienen sie den Behörden für die Zollabfertigung, Erhebung von Zöllen, die Transport- und Produktsicherheit, die Einrichtung der Kreislaufwirtschaft, die Identifizierung der an der Leistungserbringung beteiligten Parteien. Entwicklungen in der EU, in N-Amerika und Süd-Ostasien zeigen, es gibt einen globalen Trend zu Registrierungssystemen: verifizierte (vertrauenswürdige) Daten an der Quelle werden verwendet, um Gebühren und Abgaben am „Point-of-Sale“ (s.g. „Vendor-model“) zu erheben, was entsprechende Haftungen auslöst (ein Modell, das in der EU, Singapur, Australien, Großbritannien verwendet wird), die von den Behörden beim Import im Bestimmungsland überwacht werden (z. B. Produkt- und Transportsicherheit, Nachhaltigkeit, u.d.gl.).
Welche Auswirkungen hat das auf das Geschäftsmodell?
Die Branchenanforderungen und Berichtspflichten werden zunehmen. Daten (das wichtigste Gut im digitalen Zeitalter) sind an der Quelle verfügbar. Die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Daten und deren Bereitstellung zur Erfüllung behördlicher Anforderungen, am Ursprungs- und Zielort, wird in der Zustellbranche weltweit zu einem immer wichtigeren Service. In der digitalen Logistik gibt es ein klares Paradigma – wer die Daten kontrolliert, kontrolliert die Wertschöpfungskette.
Welche Elemente der Wertschöpfungskette werden immer unverzichtbarer?
Wahrscheinlich ist, dass synchronisierte Echtzeit-Pflichtinformationen, verbunden mit Algorithmen auf der Grundlage von „Big Data“, die aufgrund der obligatorischen Vorabdaten auf Einzelsendungsebene für B2C-Lieferungen verfügbar sind, in der Risikoanalyse für Zoll-/Steuer-, Transport- und Produktsicherheitszwecke verwendet werden.
Wer die Daten kontrolliert und verwalten kann, kontrolliert die Wertschöpfungskette und den Markt.
Daten sind das neue Schlüsselgut im E-Commerce und in der Post-/Warenlogistik. Vorabdaten (EAD) sind „an der Quelle“ (Online-Händler und Marktplätze) in Hülle und Fülle verfügbar und werden von Post- und Logistikdienstleistern genutzt, um den immer komplexeren und vielfältigeren Anforderungen der Behörden und der Industrie gerecht zu werden.
Das traditionelle Postmodell passt nicht mehr…
- Das ursprüngliche Geschäftsmodell der Post basierte auf der Erstellung und Erfassung von Daten, wenn die Sendung physisch in den Räumlichkeiten des Postbetreibers ankam. Der Datenfluss zwischen dem Absender und dem Postbetreiber („Flow Zero“ nach dem „UPU Global Postal Model“) ist traditionell die Schwachstelle der Branche. Im modernen E-Commerce ist die Ende-zu-Ende Digitalisierung unerlässlich: Hier sind Paket- und Expressdienste besser aufgestellt als die traditionellen Postbetreiber. Neue Player wie Marktplätze und Konsolidierer/Integratoren bauen ihre gesamten Geschäftsmodelle um die Kontrolle
und Nutzung von Absenderdaten zur Maximierung der Kundenbindung auf. - Ein großer Vorteil des Postsektors war schon immer seine Einheitlichkeit: ein weltweites Postnetzwerk mit globalen Standards; ein allgemein anerkannter Barcode (S10), der die Sendung eindeutig identifiziert; harmonisierte Formulare und deren Privilegierung; und ein einziges IT-System, das nur eine Integration erfordert, um Sendungen mit allen über 200 Postbetreibern auszutauschen. Doch während, die vorab verfügbaren postalischen
Daten, auf Sendungsebene konsistent bleiben, werden die für die nationale Bearbeitung erforderlichen Datenströme immer komplexer. Das globale Postnetz ist nicht auf die heutige Komplexität und modernen Datenanforderungen ausgelegt. - Heute spielt die Datenqualität auch die entscheidende Rolle bei der Verwaltung von Liefernetzwerken und der Interkonnektivität zu Fracht und Transport, insbesondere für die
öffentlichen Behörden. Traditionell hat sich der Postsektor als „Vermittler“ gesehen, der die Haftung (einschließlich Datenqualität und Inhalt) an Versender und andere Interessengruppen weitergibt. Die Behörden fordern höchste Datenqualität, was dazu führt, dass der Postsektor zunehmend Aufträge an Akteure verliert, die bereit sind, Daten zu verwalten und zu verantworten, indem sie die Einhaltung von Datenqualitätsanforderungen sicherstellen.
Die Rolle des Weltpostvereins, seiner Produkte und Dienstleistungen, sowie der digitalen Infrastruktur wird sich ändern
In der Vergangenheit wurden Standards, Produkte und das IT-System für benannte Postbetreiber (DO) erstellt. Das Netz des Weltpostvereins war ein geschlossenes System, der (Daten-)Austausch nach außen war nicht sehr relevant. Dies hat sich unwiderruflich geändert. Lösungen, die die Bedürfnisse des gesamten Sektors adressieren und Daten flexibel mit allen Beteiligten und Behörden verarbeiten, abbilden und austauschen können, werden immer wichtiger, damit Postbetreiber relevant bleiben. Der Weltpostverein hat das in seiner Strategie erkannt. Mit der Öffnung und Einbindung von Wirtschaftsbeteiligten werden erste Schritte in diese Richtung unternommen.
Die Rolle der benannten Betreiber (nat. Postgesellschaften) ändern sich
Während sich einige international tätige Postgesellschaften erfolgreich an die neue Welt angepasst haben, müssen andere ihre nachhaltige Rolle im grenzüberschreitenden E-Commerce finden. Dass dabei digitale Fähigkeiten eine Schlüsselrolle spielen werden, liegt auf der Hand. Vor allem der kulturelle Wandel vom oft staatlich geschützten, lokalen Marktführer, hin zu einem partnerschaftlich agierenden und flexibel mit anderen Akteuren agierenden Player, in einem fragmentierten Markt fordert ein vorausschauendes Management. Der Weltpostverein spielt eine wichtige, unterstützende Rolle.
Die Definition des Universaldienstes wird sich ändern
Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen deutlich, dass der E-Commerce (b2c-Lieferungen) den Brief (Dokumente) als wichtigsten Bestandteil der postalischen Versorgung für Verbraucher längst abgelöst hat. Nationale Postzustellunternehmen sind nur einer von mehreren Akteuren auf nationalen Märkten. Aus Sicht der Verbraucher, einer von mehreren austauschbaren „Letzte-Meile-Zustelldiensten“. Das traditionelle Universaldienstmodell passt nicht gut zu dieser neuen Welt. Sinnvoll kann z. B. eine von allen Marktteilnehmern gemeinsam erbrachte Grundversorgung als Grundversorgung sein, wie sie in Deutschland oder China bereits geregelt ist.
Regulierungsbehörden und Gesetzgeber stehen vor der Herausforderung, funktionierende Modelle aufzubauen. Der Universalzustelldienst ist dabei eine flächendeckende, Grundversorgung aller in einem Staat, der sich an den Grundbedürfnissen der Empfänger ausrichtet. Freilich, ein solch digital gestützter, inklusiver Universaldienst muss Wettbewerbsbedingungen schaffen, die für dessen Funktionieren unerlässlich sind. (RED)
Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2023