Automatisierung im Unternehmen – Die Lust auf Evolution

Es ist von einem fundamentalen Wandel in der Geschäftswelt die Rede, wenn die Sprache auf Industrie 4.0 kommt. Und das ist in letzter Zeit häufig der Fall. Doch was bedeutet das Thema für die Unternehmen? Welche Rolle spielen dabei die Unternehmens-IT und der CIO? Wird der Faktor Mensch überflüssig oder muss er sich nur neu orientieren?

Autor: Thomas Kircher, DSAG-Pressestelle

Ein Trend geht um. Für manche ist es gar der Vorbote einer 4. Industriellen Revolution. Noch versteckt sich dieser hinter vielen Namen: Industrie 4.0, Internet der Dinge, Maschine-zu-Maschine-Kommunikation und in Österreich pflegt er gar das Pseudonym „Manufacturing Execution System“. Oder auch Evolustry – die Evolution of Industry, wie Otto Schell, Vorstand Branchen/Geschäftsprozesse der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) e.V. das Phänomen umschreibt. Es soll jedoch kein seltenes Ereignis bleiben, sondern für einen fundamentalen Wandel stehen, der die Geschäftswelt über alle Branchen hinweg beeinflussen kann. Das Ziel ist, alle möglichen Teilbereiche und Prozesse in einem so weit wie möglich automatisierten Unternehmen gesamtheitlich zu betrachten. „Dabei geht es nicht darum, einfach nur bestehende Prozesse zu verschlanken, sondern tatsächlich Innovationen zu entwickeln. Dies wird möglich, indem künftige Anforderungen der Fachbereiche aufgegriffen und daraus neue Abläufe in Pilotprojekten entwickelt werden“, erläutert Otto Schell.

Umstellungsprozess für die Unternehmen
Diesen Weg hat Friedhelm Rücker, Mitglied im DSAG-CIO-Kreis und CIO der Friedhelm Loh Group bereits eingeschlagen. „Wir stellen aktuell in unseren Pilotprojekten fest, wie integrierte Planungen, Steuerungen und Maschinenanbindungen praktisch umgesetzt werden können. Das ist insofern notwendig, weil nur durch die Umsetzung der Technologie noch lange keine Produktivitätssteigerung erzielt werden kann.“ Dafür sind, so Friedhelm Rücker weiter, konkrete Grundvoraussetzungen zu schaffen. Dazu gehört, alle notwendigen Stamm- und Steuerungsdaten zu erheben sowie diese im IT-System strukturell richtig einzusetzen. „Nur wenn die Steuerungsregeln korrekt im System abgelegt sind, können Prozesse störungsfrei automatisch ablaufen“, erläutert der CIO. Und er sieht einen Umstellungsprozess auf die Unternehmen zukommen. „Jahrelang wurden Fabriken unter dem Leitgedanken gesteuert: so wenig IT wie möglich. Von dieser Denkweise werden wir uns verabschieden müssen.“

Die Anforderungen an die Mitarbeiter ändern sich
Außerdem prognostiziert Rücker, dass durch Industrie 4.0 zwar weniger Personal benötigt wird, um die Fertigungslinien zu steuern, dafür aber hochqualifizierte Mitarbeiter wichtig werden, die die entsprechenden Fertigungsregeln im System aufbauen und pflegen. „Diese Stellen und Qualifikationen sind noch nicht ausreichend vorhanden“, so Rücker weiter. Und Otto Schell bestätigt: „Berufsbilder wie den Dateningenieur oder den Geschäftsprozess-Designer gibt es heute noch gar nicht. Aber in naher Zukunft werden entsprechende Qualifikationen gefragt sein.“ Und das aus gutem Grund. Denn für Friedhelm Rücker ist z. B. eine weitere Produktivitätssteigerung ohne bessere IT nicht mehr denkbar. „Gerade bei komplexeren, mehrstufigen Produktionsprozessen liegt der größte Effekt in einer integrierten Planung, bei der die kaufmännische Planungswelt mit der Tagesplanung der Fabrikabläufe zusammengeführt werden kann“, bringt der CIO seine Vorstellungen auf den Punkt. Dabei ist für Friedhelm Rücker der größte Schritt getan, wenn die IT-Systeme die Produktionsaufträge verlässlich in der richtigen Menge und richtigen Reihenfolge an die Fertigungsstraße bringen. Und zwar ohne dass ein Mitarbeiter manuell eingreift. Warum der Faktor Mensch hier stört, sieht Friedhelm Rücker ganz pragmatisch: „Der einzelne Mitarbeiter kann die Komplexität und Abhängigkeiten einer IT-gestützten Planung und Steuerung gar nicht mehr überblicken. Nur IT-gesteuerte Algorithmen sind hier noch effizient. Das macht es wiederum notwendig, dass die ERP-Welt sehr eng mit der technischen Welt sozusagen verschweißt wird.“ Dafür ist jedoch der Schritt mit Industrie 4.0 in die IT-Automatisierung die Voraussetzung, um Produktionsabläufe weiter signifikant verbessern zu können. Denn für Friedhelm Rücker sind die Standard-Organisationsverfahren mittlerweile ausgereizt und teilweise bereits kontraproduktiv.

Klassische IT-Strategie und digitale Vision
Doch um die notwendigen Verbesserungen zu erreichen, muss Industrie 4.0 erst einmal im Kopf der Produktionsverantwortlichen und -mitarbeiter ankommen. Das braucht seine Zeit. Und wenn es nach Jean-Claude Flury, Mitglied im DSAG-CIO-Beirat und Co-CIO beim Chemie- und Pharmaunternehmen Siegfried AG in der Schweiz, geht, muss neben der klassischen IT-Strategie mittlerweile auch eine digitale Vision entwickelt werden. Doch hier ist (noch) Vorsicht geboten: „Der Chief Executive Officer (CEO) oder Chief Information Officer (CIO) sollte Weitsicht walten und sich nicht von Versprechungen der Software-Anbieter ,einlullen‘ lassen. Denn viele als homogen angebotene Plattformen sind bislang oftmals nur aneinandergereihte Funktionskomponenten“, so Jean-Claude Flury.

Die Frage nach dem Mehrwert
Überhaupt sollte sich der CIO im Allgemeinen an die Bedeutung des „I“ für Information in seinem Kürzel erinnern. „Oftmals steht es in der Praxis mehr für die zweifellos wichtigen Aufgaben Infrastructure oder Integration. Aber als CIO im wörtlichen Sinn muss ich mir bei jeder Investition, also auch beim Thema Industrie 4.0, die Frage nach dem Mehrwert stellen und wie wir damit besser werden“, interpretiert Jean-Claude Flury seine Rolle und die seiner CIO-Kollegen. In einem produzierenden Unternehmen der Pharma- und Chemiebranche, wie Jean-Claude Flury es vertritt, mag es schwierig sein, Innovationen aus der IT heraus zu generieren, aber das Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden. Vorausgesetzt, die Geschäftsleitung und der IT-Verantwortliche sind sich einig über das neue Rollenbild, das der CIO durch Industrie 4.0 annehmen sollte.

Genug realistische Szenarien
In der Automobilindustrie werden nicht die Aufgaben des CIO beim Thema Industrie 4.0 diskutiert, sondern bereits spezifische Themen. Vom Ansatz des Connected Car bzw. des vernetzten Autos über die vorausschauende Instandhaltung (predictive maintenance) und intelligente Behälter bis hin zum Einsatz smarter Brillen im Shopfloor-Bereich (augmented reality) reicht aktuell die Bandbreite der Projekte. Realistische Szenarien gibt es genug:

• Im Connected-Car-Ansatz sind Fahrzeuge dauerhaft mit dem Internet verbunden. Rein technisch gesehen können verschiedenste Sensordaten aus dem Fahrzeug im Feld ausgelesen und weiterverarbeitet werden. So sollen z. B. schwere Auffahrunfälle durch die Echtzeit-Übermittlung einer Airbag-Auslösung als Warnmeldung an direkt folgende Fahrzeuge vermieden werden. Im Arbeitskreis Automotive wurden aber auch verschiedenste Fragen zu Datenschutz und Produkthaftung diskutiert.

• Das Potenzial in der Intralogistik liegt vor allem in intelligenten Produkten oder Transportbehältern. Die Behälter
erkennen ihren eigenen Füllstand und Standort, buchen die Materialbewegungen in SAP gleich selbst und kennen den nächsten Zielort. Wäre der Austausch von Datenformaten und Daten in der Extralogistik standardisiert, wäre die Optimierung auch ausdehnbar auf Geschäftspartner wie Kunden und Lieferanten.

Den Kern von Industrie 4.0 bilden intelligente Produkte und Objekte, deren Daten den Unternehmen einen Mehrwert bieten. Eine harte Abgrenzung darüber hinaus ist eher schwierig, so Volker Vogelgesang, Sprecher des DSAG-Arbeitskreises Automotive. Aber wo der Weg hingehen muss, ist klar. „Wir haben im Arbeitskreis bereits ausführlich über Industrie 4.0 diskutiert. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass es sinnvoll ist, gerade im Bereich der Standardisierung der Extralogistik verstärkt mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) zusammenzuarbeiten“, so Volker Vogelgesang. Denn so enorm das Potenzial von Industrie 4.0 auch sein mag, nur durch Standards und fertige Softwarelösungen lässt sich ein Return on Investment erzielen und damit ein entsprechendes Projekt gegenüber der Unternehmensführung rechtfertigen.

SAP muss Vorarbeit leisten
Die Vorarbeit dazu muss SAP leisten. „Die Kunden erwarten, dass die Kernfunktionalitäten ihrer SAP-Systeme, wie z. B. das Konfigurationsmanagement, denkbare Industrie-4.0-Szenarien unterstützen. Damit die entsprechenden Applikationen und Standardkomponenten reibungslos die damit verbundenen Anforderungen meistern, müssen sie weiterentwickelt werden und stabil laufen“, präzisiert Otto Schell. In dem Zusammenhang betrachtet die DSAG die Entwicklung hin zu Standardlösungen, auch für neue Prozesse und Szenarien, als ebenso notwendig wie einen Beitrag von SAP zur Klärung übergreifender Themenstellungen wie z. B. Standards für den Datenaustausch oder auch Sicherheitsaspekte.

Seiner Tragweite angemessen wird Industrie 4.0 über die Vorstandsbereiche in die DSAG hineingetragen und dann anhand von Einzelthemen oder -aspekten in kleineren Gruppen arbeitskreisübergreifend behandelt. „Als DSAG bieten wir eine gute Plattform, um das Thema weiter zu verfolgen. Etwa wenn es darum geht, neue Geschäftsmodelle zu generieren, was hier und da notwendig sein wird“, beschreibt Otto Schell die Rolle des Anwenderverbands. Denn klar ist auch: wer nur bestehende Modelle optimiert, hat noch lange kein Industrie-4.0-Projekt am Start!

 

Quelle: www.dieleute.de

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar