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Binnenschiff als Bindeglied vom End-of-Life zum Continuous Life

Die Kreislaufwirtschaft ist eine unabdingbare Voraussetzung, um künftig den Rohstoffbedarf für die Menschen auf der Erde zu sichern. Für die daraus entstehenden logistischen Aufgaben beim Recycling ist das Binnenschiff mit aufnahmefähigen Wasserstraßen und großen Lagerflächen in den Häfen der am besten geeignete Transportpartner.

In einer spektakulären ARA-Aktion führte Österreichs prominentester Benimm-Lehrer Thomas Schäfer-Elmayer mitten im Winter 2012 einhundert Paare mit Reststoffen beladen quer durch die Innenstadt von Wien, wo sie schließlich am Heldenplatz angelangt Aufstellung zum berühmten Donauwalzer nahmen. Nur, diesmal lautete das Kommando Elmayers nicht „Alles tanzt“, sondern „Alles trennt“. Artig warfen die Jungdamen- und Herrn nach dem Tanz den mitgebrachten Müll in bereitgestellte Container. Spätestens seit dieser Aktion weiß ganz Österreich – Recycling gehört zum guten Ton. Das Wort Abfall ist jedoch eine Bezeichnung, die DDr. Horst Pirker von der Firma Saubermacher nicht so gerne hört. Zu sehr erinnert das Wort an etwas, das man nicht mehr braucht. Von Ressourcen zu sprechen, das würde Pirker besser gefallen. „Während die Abfallwirtschaft 2.0 vor allem als Logistiker und nur zum Teil als Rohstofflieferant für die Industrie fungiert, könnte die Ressourcenwirtschaft der Zukunft Kernakteur und Bindeglied einer funktionierenden Recyclinggesellschaft sein“, wünscht sich Horst Pirker. Immer mehr werden also Entsorger zu Versorgern, denn Rohstoffe sind überall knapp. 
 
Kapitän der Entsorgungslogistik
Logistische Spitzenleistungen sind in der Entsorgungsbranche deshalb wichtiger denn je. Sie verbinden Kunden, Lieferanten, Produzenten und Verwerter in einer engen Partnerschaft. Außerdem sind sie für die Optimierung von Stoffströmen und die Gewinnung sekundärer Rohstoffe unerlässlich. Ein geeigneter Fuhrpark und ein synchronisierter Logistikprozess sind die Voraussetzungen, Reaktionsschnelligkeit und Flexibilität sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren in der Recyclingwirtschaft. Das Binnenschiff wird diesen hohen Logistik-Anforderungen gerecht und ist als einziges Transportmittel in der Lage, große Volumen, große Tonnagen und gefährliche Substanzen sicher und ohne Wochenendruhe zu transportieren. Ob Altpapier, Schrott, Aushubmaterial oder sonstige Abfälle, moderne Binnenschiffe bieten für Schüttgut oder Containerladungen immer die optimale Lösung. In Verbindung mit den leistungsfähigen Häfen und Umschlagsanlagen sind die Wasserstraßen mit dem Binnenschiff im Hinterlandverkehr der wichtigste Partner für den Seehafen und die Schlagader im internationalen Handel. Nicht umsonst suchen sich starke Recyclingunternehmen Standorte entlang der Wasserwege, wo sie mit der eigenen Kai-Anlage einen direkten Zugang zum Welthandel haben. Denn, wenn zum Beispiel das Altpapier aus Europa in China genauso gefragt ist wie in der Türkei, sind Rohstoffe aus Recyclingmaterial längst zur internationalen Handelsware geworden. Der Hafen Brake, im Norden von Deutschland, ist so ein Beispiel. 7.000 Tonnen Schrott können dort täglich verladen werden. Wenn ein 27.000 Tonnen Seeschiff den Hafen verlässt, dann stammen 60 Prozent der Ladung von einem Binnenschiff. Österreichs Müllmann Saubermacher hat sich mit dem neuen ECOPORT nahe Graz wenigstens schon einen „Trockenhafen“ zugelegt. Scholz – der Rohstoffkönig in Österreich – hat hingegen bereits 10 Mio. Euro im Donauhafen Linz investiert. Denn, für die voestalpine und Scholz ist das Binnenschiff Partner bei der Anlieferung von dringend benötigten Sekundärrohstoffen zur Stahlproduktion. 600.000 Tonnen liefert Scholz jedes Jahr an die Voestler. Die streben nämlich einen Anteil von 25 Prozent Stahlschrott für ihren Produktionsablauf an. Schrott-Wetzel ist einer der größten deutschen Schrottsammler und durch die Beteiligung beim Abbruch des Palasts der Republik in Berlin bekannt geworden. Einige tausend Tonnen dieses Recycling-Stahls stützen das höchste Gebäude der Welt in Dubai. Heute investiert das Unternehmen 35 Mio. Euro, um die nasse Logistik noch besser nutzen zu können. Allgemein gilt: Wasserstraßen sind für die Recyclingindustrie strategisch günstige Verkehrsknotenpunkte und nehmen vor dem Hintergrund der wachsenden Recyclingwirtschaft an Bedeutung zu.
 
 Drum trenne, was ewig weiter leben soll
Das Worldwatch-Institut veröffentlichte in seiner jüngsten Studie das weltweite Müllaufkommen. Demnach wird derzeit 1,3 Mrd. Tonnen Abfall produziert. Nur sogenannter Hausmüll – Papier, Glas, Metall etc., der von kommunalen Behörden gesammelt wird. Also keine Industrieabfälle wie Bauschutt oder Abfälle aus landwirtschaftlicher Produktion. Wegen des wachsenden Wohlstandes und der Urbanisierung, rechnet das Institut mit einer Verdoppelung der weltweiten Müllmenge auf 2,6 Mrd. Tonnen bis zum Jahr 2025. In Österreich sind das jetzt rund 4 Mio. Tonnen Haushaltsmüll oder 466 kg pro Einwohner. Die gute Nachricht: rund ein Viertel wird bereits wiederverwertet und die EU setzt Maßnahmen, damit sich diese Quote weiter verbessert. Der gesamte Recycling Markt wird von den Vereinten Nationen derzeit auf einen Wert von 400 Billionen Dollar geschätzt. Allein den Wert des weltweit gesammelten Schrotts und Altpapiers beziffert  die Weltbank mit 30 Mrd. Dollar. Während die Recyclingrate in den USA mit rund 34 Prozent noch relativ niedrig ist, liegen die meisten europäischen Länder schon deutlich über 50 Prozent. Bestimmte Sammelgüter nähern sich schon der 100 Prozent Marke (in Deutschland werden nach Eurostat beispielsweise bis zu 92 Prozent der Verpackungen aus Metall recycelt, Glas 82 Prozent und Papier 78 Prozent). In Österreich werden insgesamt rund 60 Prozent der Haushaltsabfälle über getrennte Sammlung erfasst. Den größten Anteil, mit rund 22 Prozent (677.000 Tonnen), hat Papier.
 
Vom Kesselflicker zum Müllionär
„Lumpen, Eisen, Knochen und Papier – ausgefallne Zähne sammeln wir“, spotteten seinerzeit die Kinder, wenn der Schrottsammler als Recyclingexperte der ersten Stunde mit seinem Handwagen durch das Dorf zog um ein paar Kreuzer zu verdienen. Heute ist alles, was Schrottsammler sammeln „Heavy  Metall“ und gefragt wie nie. In den Industrie- und erst recht in den Schwellenländern wächst der Bedarf an Rohstoffen und kann längst nicht mehr durch Primärrohstoffe gestillt werden.  Der Schrottanteil der in deutschen Hochöfen hergestellten Rohstahlmenge lag zuletzt  bei 19,7 Mio. Tonnen. Die Schrotteinsatzquote betrug 44,5 Prozent. 
 
Die Gießereiindustrie produzierte 2011 insgesamt 4,1 Mio. Tonnen und kaufte dafür rund 3,8 Mio. Tonnen Schrott vom Handel dazu. 2009 wurden in Österreich 91.200 PKW der Verschrottung zugeführt. Das entspricht einem Gewicht von 85.000 Tonnen. Nur 29 Binnenschiffe wären für den Transport nötig! Aktuell gibt es in Deutschland fast 43 Mio. PKW mit einem Durchschnittsalter von 8,5 Jahren. Ein Entsorgungspotential per Binnenschifffahrt, das nie versiegt, und viel Arbeit für die zahlreichen Shredderbetriebe. Einer der größten Schrotthändler in Deutschland mit 90 Standorten in Europa verarbeitet allein 11 Mio. Tonnen Schrott und macht damit zwei Mrd. Umsatz im Jahr. Zahlreiche Recycling-Unternehmen sind an der Börse notiert. Die jüngste Schrott-Anleihe mit einem Volumen von 150 Mio. Euro war bereits am ersten Tag ausverkauft.
 
Das ehemalige Lumpenproletariat fährt Mercedes-E
Auch „Haderlump“ schimpft heute niemand mehr jene Recyclingexperten, die seinerzeit altes Leinengewebe für die Papierproduktion (Hadernpapier) sammelten. Heute zählt dieser Rohstoff für die Produktion von Briefmarken und Banknoten zu den besten Produkten der Papierindustrie. Papier ist überhaupt eines der meist verwendeten Materialien der Welt. Deutschland verfügt über ein 16 Mio. Tonnen schweres Altpapiervermögen. Die Recyclingquote ist nahezu flächendeckend und das Material kann als klassische Schiffsladung bezeichnet werden.
 
Urban Mining – die Schürfrechte in der Stadt
Eine Mistgstätten war früher wirklich eine Mistgstätten, um die man besser einen weiten Bogen herum gemacht hat. Heute werden diese Mistgstätten gesucht und das nennt man dann „Urban Mining“. Wohl um den Wert der in den Mistminen enthaltenen Rohstoffe zu unterstreichen. Der geordnete Rückbau von Deponien zur Gewinnung nutzbarer Rohstoffe wird „Landfill mining“ oder die „Schatzsuche im Müllberg“ genannt. In Österreich berühmt-berüchtigt ist die ehemalige Fischer-Deponie, bei deren „Landfill mining“ (2002-2006) insgesamt eine Menge von 1,7 Mio. Tonnen bewegt wurde. 
 
Je nach Umweltgefährdung und Wirtschaftlichkeit werden diese Goldgruben nun kontinuierlich saniert und alles heraus geholt, was noch irgendwie verwertbar ist. Erden und Aushubmaterial eignen sich ebenfalls hervorragend für den Transport mit dem Binnenschiff. Wie viel Potential die Wasserstraße im Gegensatz zu Schiene und Straße noch hat, wird vom Gewerbe ja immer wieder betont, und in zahlreichen Ländern ist das Binnenschiff für die verschiedenen Recyclingtransporte selbstverständlich ein maßgeblicher Logistikpartner. 
 
Wie wichtig das Thema Recycling ist, zeigt die Tatsache, dass erstmals in Europa eine eigene Fachmesse zum Thema veranstaltet und mit 350 Ausstellern gleich die Größe der Recycling-Wirtschaft demonstriert wird (Recycling-Technik 2012, Dortmund 7.-8. November). 
 (PB)

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