Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea: synergetisch oder einseitig?

Am 1. Juli 2011 ist das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea in Kraft getreten, ein Meilenstein für die Handelsbeziehungen der beiden Wirtschaftsregionen. Das Handelsabkommen soll unter anderem den achtprozentigen Importzoll auf europäische Autos in Südkorea abbauen und die bisherigen kostspieligen Prüf- und Zulassungsverfahren für europäische Autos von Seiten des asiatischen Staates beseitigen. Die Europäische Union ist der wichtigste Handelspartner von Südkorea, mit einem bilateralen Handelsaufkommen von 63,6 Milliarden Euro im Jahr 2010, was einer Zunahme von 17 Prozent entspricht im Vergleich zu den 54,3 Milliarden Euro des Jahres 2009. Bei den herrschenden Marktdynamiken dürfte diese Freigabe jedoch kaum dabei helfen, das Handelsdefizit auszugleichen.

Hyundai und Kia Motors halten zusammen mehr als 80 Prozent der Marktanteile auf dem südkoreanischen Pkw-Markt. Die europäischen Automobilhersteller stehen daher vor ernsten Herausforderungen bei der Einführung ihrer Autos auf dem südkoreanischen Markt. Die anderen drei wichtigen südkoreanischen Automobilhersteller – GM-Daewoo, Renault-Samsung und Ssangyong – sind im Besitz von weiteren 15 Prozent der Marktanteile. Japanische, europäische und amerikanische Autos teilen sich die restlichen, dürftigen fünf Prozent der Marktanteile, die durch strikte nichttarifäre Hemmnisse zusätzlich belastet sind. Im Jahr 2010 konnten europäische Automobilhersteller rund 32.000 Autos in Südkorea verkaufen, während Südkorea im selben Zeitraum über 400.000 Autos nach Europa exportierte. Wenn man bedenkt, dass das Handelsdefizit gegenüber Südkorea 10,7 Milliarden Euro beträgt, so ist es fraglich, ob dieses Abkommen diese Lücke wirklich auffüllen wird können.

Auf dem südkoreanischen Markt ist es äußerst schwierig mit europäischen Massenmarkt-Autos den einheimischen Automarken Konkurrenz zu machen. Obwohl drei von vier in Südkorea verkauften ausländischen Autos aus europäischer Fertigung stammen, rechtfertigen die Volumen die Marktanteile in keinem Maße. Automobilhersteller sollten daher gezielt für den südkoreanischen Markt produzieren, wenn sie mehr europäische Autos auf die südkoreanischen Strassen bringen wollen.

Das bestehende Potential könnte leichter durch europäische Hersteller von Autos der Luxusklasse erschlossen werden, da deren Volumen deutlich geringer sind als diejenigen von Autos für den Massenmarkt und daher Gemeinkosten effizienter absorbieren können. Die Verkaufszahlen seit Jahresbeginn zeigen, dass Luxusautos 15 Prozent des Volumens auf dem südkoreanischen Pkw-Markt ausmachen, wobei der Importmarkt dieses Jahr auf den Meilenstein von 100.000 Einheiten zusteuert.

Durch den niedrigeren Importzoll haben europäische Pkw-Marken begonnen auf dem südkoreanischen Markt Preisnachlässe zu gewähren, und auch der Sektor der Luxusautos bildet hier keine Ausnahme. Die deutschen Luxusautohersteller BMW und Mercedes-Benz haben Nachlässe von rund 1-1,5 Prozent auf ihre in Südkorea meistverkauften Modelle eingeführt und weitere Redukzierungen sollen im Lauf des Jahres folgen. Die Verkäufe von BMW, Audi und Mercedes-Benz in Südkorea werden sich bis zum Ende des Jahres auf insgesamt knapp 60.000 Einheiten belaufen. Und der südkoreanische Markt für Luxusautos soll sich in den nächsten zehn Jahren verdoppeln.

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea ist zudem zu einer Zeit in Kraft getreten, in der Automobilhersteller weltweit durch das Erdbeben in Japan und den aufgrund der Betriebsunterbrechung hervorgerufenen plötzlichen Mangel an japanischen Komponenten betroffen sind. Während der Großteil der Welt mit den Auswirkungen dieser Situation zu kämpfen hatte, blieb Südkorea stabil, da die südkoreanische Automobilindustrie weitgehend autark ist. Autokomponenten aus Südkorea verbuchten einen rapiden Anstieg der Anteile am europäischen Markt von 6,4 Prozent für das Jahr 2009 auf 8,5 Prozent im Jahr 2010.

Südkorea dürfte somit am längeren Hebel sitzen als erstes asiatisches Land, das die Möglichkeit hat, mit der weltweit größten Wirtschaftsmacht Handel zu führen. Der drastische Abbau der Importzölle eröffnet den südkoreanischen Automobilherstellern zwei Optionen: entweder sie bieten Mittelklassewagen zu Kleinwagenpreisen oder sie bieten zusätzliche Features und stechen so mit vollständig ausgestatteten südkoreanischen Autos die Billigvarianten europäischer Fertigung aus. Das Handelsabkommen markiert den Beginn einer neuen Ära, in der europäische Strassen mit südkoreanischen Autos überschwemmt werden, und Südkorea mit erschwinglicheren Luxusautos rechnen kann.

Quelle: Frost & Sullivan

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