Digitalisierung des Einzelhandels: Datengesteuerte Warenzustellung wird mit 1. Juli 2021 Realität
Verpflichtende Bereitstellung von Daten vor dem Versand erhöht die Zustelleffizienz, gewährleistet Zustellpräferenzen der Empfänger und ermöglicht Nachhaltigkeit.
Beitrag: Walter Trezek.
Mit der Umsetzung des EU MwSt. Ecommerce Pakets (RICHTLINIE (EU) 2017/2455 DES RATES vom 5. Dezember 2017) tritt mit dem 1 Juli 2021 die Digitalisierung des Einzelhandels in eine neue Phase. Das Datenmodel der Finanzbehörden harmonisiert die Art und Weise wie Daten zu Einzelhandelswaren verwaltet und vor jedem Versand ausgetauscht werden müssen. Die Grundlagen der weiteren Digitalisierung des Einzelhandels, weltweiten Normen folgend, wurden festgelegt.
Digitalisierung erfordert eine andere, neue Infrastruktur.
In der EU wird sich der Anteil des digitalen Einzelhandels von heute 15% auf 30% bis 2023 verdoppeln. ¼ des online Handelsvolumens stammt aus EU-Drittstaaten. 4 Marktplätze sind für 2/3 aller Warensendungen, die in die EU importiert werden, verantwortlich. Allein 2019 importierte AMAZON etwa 650 Mio. Warensendungen grenzüberschreitend in die EU. Mehr als ¾ dieser Sendungen waren Warensendungen mit geringem Wert, bei der Alibaba-Gruppe lag das tägliche Importvolumen 2019 bei etwa 2,5 Mio. Warensendungen täglich. Nach Studien der World Free Zone Organisation rechnen die Zollfreihäfen weltweit damit, dass bis 2030 annähernd 80% des Welthandels online abgewickelt werden. Gleichzeitig hat sich der Trend von B2B zu B2C verstärkt. Der digitale Einzelhandel und damit die Warensendungsvolumen werden weiterhin zweistellig wachsen.
Statt weniger Daten zu großen Mengen (B2B) – viele Daten zu Einzelmengen (B2C).
Die Zustellung der digital bestellten Handels-waren wird eine Herausforderung. In der Zukunft können mit der heute, auf analogen Prozessen basierenden Zustellinfrastruktur, die stark wachsenden Paketmengen, nicht nach den Präferenzen der Empfänger zugestellt werden. Auch die geplante Erweiterung der Dichte an Paketstationen der Deutschen Post AG bis 2023, auf ca. 1 Mio. Fächer (2,5-fach zu 2020) wird nur in der Lage sein etwa 5 – max. 7% des Volumens über Pick-up / Drop-off Lokationen zuzustellen zu können.
Was online verkauft und zugestellt werden kann wird zugestellt.
Der Versand von Nahrungsmitteln folgt dem Versand von non-food Einzelhandelswaren. In den kommenden Monaten ist diesem Marktsegment mit einem erhöhten Wachstum zu rechnen. Die notwendige Digitalisierung der Einzelhandelswaren und die damit verbundenen Harmonisierung ist im Nahrungsmittelhandel ist bereits fortgeschritten.
Alles ist mit Allem verbunden.
In der Zustellung der Warensendungen werden die Zeit- und Ortsangaben zum Sendungsverlauf (so genanntes „Track & Trace“) durch die digitale Vorabmeldungen vervollständigt. Die erste und letzte Meile wird durch eine digital gestützte, selbstlernende Infrastruktur ergänzt. Die notwendige Verbesserung der Nachhaltigkeit und Stärkung der Kreislaufwirtschaft wird durch Vorabmeldungen auf eine neue digitale Basis gestellt.
Digitaler Wandel im Handel –> Mengenwachstum -> Infrastrukturevolution.
2019 wurden in europäischen Wirtschaftsraum bereits weniger klassische B2C Briefsendungen zugestellt als Warensendungen. Auf allen Ebenen der postalischen Prozesskette: der Annahme, Sortierung, Transport und auch Zustellung kommt es zu Konsolidierung und Kollaboration der Wirtschaftsbeteiligten. Kritisch ist, dass die Ausstattung der Marktteilnehmer nicht zur Nachfrage passt. Mit der zunehmenden Digitalisierung wird eine datengestützte Infrastruktur notwendig, die auch eine betreiberunabhängige und unbeaufsichtigte Zustellung der digital bestellten Einzelhandelswaren benötigt.
Einzelhandel ist beides OFF- / ON-line.
Erfolgreicher Einzelhandel präsentiert, informiert und verkauft seine Einzelhandelswaren off-line im klassischen stationären Handel, digital gestützt aber genauso on-line. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Web-Präsenz, Webshop und Marktplatz. Reine digitale Marktplätze ergänzen ihre Vertriebskanäle durch stationäre Konzepte. Präferenzen von Kunden kann so on-line besser mittels click / call & collect; pick-up; drop-off und micro-fulfilment-centres entsprochen werden.
Digitalisierung der Warenlieferketten.
Was mit dem finanzpolizeilichem Zoll-Datenmodel begonnen hat, führt zu einer Harmonisierung der digitalen Beschreibung der Einzelhandelswaren, als Voraussetzung der Zustellung, aber auch der Transportsicherheit, Produkthaftung und auch der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft:
- Warenbeschreibung: Harmonisierung der generischen (Zollkodex) und/oder der produktindividuellen (z.B. „Global Trad Item Number“) Beschreibung;
- Namen und Anschriften von Absendern, Empfängern und, soweit abweichend, von denjenigen Personen, welche die jeweilige Postsendung eingeliefert oder entgegengenommen haben;
- Art des in Anspruch genommenen Postdienstes (digitale ID);
- Maße und Gewicht der jeweiligen Postsendung;
- die vom Postdienstleister zugeteilte Sendungsnummer (eindeutige Transport-ID
der jeweiligen Postsendung sowie, sofern der Empfänger eine Abholstation mit Selbstbedienungs-Schließfächern nutzt (Kennung),dessen persönliche Postnummer („Zugangseröffnung“); - Zeit- und Ortsangaben zum jeweiligen Postsendungsverlauf; sowie
- zu Zwecken der Erbringung der Postdienstleistung erstellte Bildaufnahmen von der Postsendung.
- Daten zu den Waren sind beim Verkauf vorhanden -> damit Zustellung nach den Präferenzen der Kunden.
Starkes Volumenwachstum erfordert verbesserte Effizienz auf der letzten Meile.
Bis zu 1/3 aller Zustellkosten fallen auf der letzten Meile an. Die Digitalisierung des Einzelhandels erhöht die Effizienz in der Zustellung auf der letzten Meile wesentlich. Das Ziel ist eine „one-stop-delivery“, die ähnlich wie bei der Briefzustellung zu einer gesicherten Abgabe der Warensendungen an jeden Haushalt, über einen für alle Zusteller offenen Zustellkasten führt. Die heute bestehende Zustelladresse wird um eine „Zugangseröffnung“ nach den Präferenzen der Empfänger im Interesse aller erweitert (insb. des Handels, aber auch der Konsumenten). Heute passen nur zu < 50% aller Warensendungen in die bestehenden, normgerechten Postfachanlagen. Damit wird eine Neudefinition der notwendigen Infrastruktur, die jeder Haushalt haben sollte (nach bestehenden europäischen und/oder auf Deutschland zu konkretisierende Normen), oder auch der Allgemeinheit zugänglichen Hinterlegungsorten notwendig.
Daten steuern die Zustellung von Waren – wem gehören die Daten?
Die Sicherheit, damit das Vermeiden von Gefahr für Leib und Leben, und das Unterbinden einer kriminellen und verbrecherischen Nutzung einer solcherart neu aufzubauenden Infrastruktur ist bereits weit vorangeschritten. Der soziale Aspekt ist dringend zu berücksichtigen und damit für eine Barrierefreiheit zu sorgen. Umweltverträglichkeit der Konzepte ist zu gewährleisten. Damit ist die digitale Bemessung des CO² Verbrauchs der individuellen Einzelwarenzustellung, die Nachhaltigkeit und Vermeidung von sekundärem Abhol- oder Zustellverkehr, aber auch drohende Verkehrsbeschränkungen – die in aller nächster Zeit sogar zu Verkehrsverboten werden könnten zu berücksichtigen.
Wettbewerbsgleichheit, das Ende der MwSt.
Hinterziehung und des Zollbetrugs sowie Ende der Verletzung von Eigentumsrechten stehen heute im Vordergrund. Mit der Standardisierung der Daten gewinnt der Einzelhandel wieder die Hoheit über seine eigenen Daten. Diese Daten sind die Daten des Handels und sollten auch allen Wirtschaftsbeteiligten offensteht. Damit sind proprietäre Datensysteme, die heute große Teile des digitalen Handels beherrschen ungeeignet und werden auch durch offene Konzepte wie eben dem EU- Zolldatenmodel abgelöst.
Gesetzliche Vorgaben, Normen.
Seit 1. Jänner 2021: Daten zu Waren-POST-sendungen (grenzüberschreitend) müssen vor dem Versand zwischen Postbetreibern ausgetauscht werden (Transport- und Konsumentenschutz; Zoll- und MwSt.). Seit 15. März 2021: Zu allen Warensendungen (KEP) vorab Datenaustausch bei einer geplanten Flugfracht. Bis 2025 gilt das für alle Transportkanäle. Bis Mitte 2024 Volldigitalisierung aller Frachtinformationen. Mit 1. Juli 2021: Daten zu allen Warensendungen müssen vor dem Versand ausgetauscht werden, trifft Importe in die EU, aber auch Intra-EU versandt. (Zoll- und MwSt.). Mandate der Europ. Kommission ermöglichen allen Wirtschaftsbeteiligten die konkrete Ausgestaltung der Normen (nach den gesetzlichen Rahmenvorgaben). Dazu gehören auch betreiberoffene, kontaktlose Übergabeeinrichtungen, sowie der notwendige Datenaustausch zwischen den Wirtschaftsbeteiligten. (Vermeidung von kriminellen oder verbrecherischen Tätigkeiten). Austrian Standards arbeitet an der Gestaltung der Europäischen Normen, als Spiegelgremium zu CEN und ist Wirtschaftsbeteiligten offen, Normen auch für Österreich zu konkretisieren.
Der logistic-natives e.V. ist das internationale Netzwerk für Logistik & Infrastruktur des modernen Handels und repräsentiert über 30.000 Branchenunternehmen. Dabei unterstützen wir bei der Befähigung zur fortschreitenden Digitalisierung von Unternehmen und der Zustellung von Handelswaren durch digitale Kommunikationsmedien im Sinne der Zustellungsoptimierung, Nachhaltigkeit, life-cycle- & Retourenmanagements und der Kreislauf-logistik. (RED)
QUELLE: LOGISTIK express Ausgabe 3/2021