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Human Mining für die Schiffslogistik

Reedereien haben die Wahl, ob sie gute Mitarbeiter als Wettbewerbsvorteil betrachten wollen, oder als überbezahlten Kostenfaktor, den man rasch loswerden sollte. Allerdings ist diese Wahlmöglichkeit heute enden wollend.

War es vielleicht vor zwanzig Jahren noch leichter, annähernd gleiche Qualifikationen zu unterschiedlichen Preisen zu bekommen, wird dies zunehmend schwieriger. In manchen Branchen – so auch in der Binnenschifffahrt – bestimmen bereits die Arbeitsuchenden, welchem Unternehmen sie ihre Qualifikation (teuer) verkaufen wollen – und zwar mit der Absicht auf Wertzuwachs. Verantwortlich für diese umgekehrte Rekru-tierungssituation ist sicher zum Teil der demografische Wandel in der Bevölkerung. Dieses Argument wird aber oft auch als Entschuldigung für das eigene Versäumnis in der Personalpolitik gewählt. Wesentlichen Anteil am Personaldesaster hat nämlich auch die über Jahrzehnte vernachlässigte Ausbildung und die Verlockung, aus einem schier unerschöpflich scheinenden Reservoir an billigen Arbeitskräften in Ost-europa schöpfen zu können.

Heute müsste eigentlich jedem Unternehmen am freien Markt klar sein, Humankapital mit Human Ressource zu verwechseln kann tödlich sein. Wer heute noch glaubt, Mitarbeiter als „Rohstoff“ bewerten zu können, den man abrichten, gebrauchen und entsorgen kann, wird sich früher oder später vor dem Insolvenzrichter wieder finden. “Die Güterverkehrs- und Logistikwirtschaft muss sich darauf einstellen, künftig mehr Ressourcen für die Mitarbeitergewinnung und -bindung aufzuwenden als bisher”, stellt das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) in Deutschland in seiner neuen Auswertung der Arbeitsplatzbedingungen im Güterverkehr und in der Logistik fest. Fraglich ist, wie das gehen soll. Denn noch 2012 kam ein WU Student aufgrund seiner Recherche für die Bachelor Arbeit über die Aus- und Weiterbildung in der Binnenschifffahrt zum Ergebnis, dass bei den derzeit agierenden Unternehmen in der Binnenschifffahrt erst das Bewusstsein geschaffen werden muss, dass die kurzfristige Personalbeschaffung im Ausland den Fachkräftemangel der Zukunft nicht lösen kann.

Der „österreichische“ Bereich der Güterschifffahrt fand es nicht einmal der Mühe wert, sich an der Befragung des Studenten zu beteiligen. Genaue Zahlen fehlen daher. Aber viel anders als beim Nachbarn Deutschland dürfte es nicht sein – eher noch schlechter. Die aktuelle BAG Studie kommt zum Schluss, dass der Anteil ausländischer Schiffsführer im Jahre 2013, die in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis in Deutschland standen, bei rund 18,6 Prozent lag. Ihr Anteil war damit höher als im Durchschnitt aller Berufsgruppen in Deutschland. Parallel dazu sagt die BAG, zugenommen hat in den vergangenen Jahren der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Binnenschifffahrt, deren berufliche Ausbildung unbekannt ist. Dies dürfte im Wesentlichen auf den wachsenden Anteil und die zunehmende Bedeutung ausländischer Beschäftigter in der Binnenschifffahrt zurückzuführen sein. Ihr beruflicher Werdegang ist häufig eben statistisch nicht bekannt.

Dem steht die Feststellung des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt gegenüber, wonach auf die Ausbildung des Personals zu qualifizierten Fachkräften bei der Binnenschifffahrt größter Wert gelegt wird. Zwar sind sich alle Unternehmen inzwischen des allgemeinen Fachkräftemangels bewusst, finden aber noch keine Veranlassung, selber Ausbildungsverantwortung zu übernehmen. Daran kann sich mittelfristig auch nichts ändern. Schon weil sich die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmen in der Binnen-schifffahrt deutlich verschlechtert hat. Ein Lehrling, der gerade in der Ausbildung zum Binnenschiffer steht, brachte die Sache so auf den Punkt: “Es stimmt mich nicht gerade zuversichtlich, dass es mittlerweile auch in der Binnenschifffahrt immer mehr Filipinos gibt, die hier für einen Hungerlohn arbeiten (müssen), dadurch findet bestimmt eine Verdrängung statt”. Mittlerweile sind auch die Filipinos teilweise ausgebildet und nicht nur einfache Hilfskräfte. Parallel mit dem Anstieg der Beschäftigung ungelernter Arbeitskräfte sinkt auch der ohnehin schon niedrige Anteil an Frauen in der Binnenschifffahrt (aktuell unter 10 Prozent). Bestrebungen, diese Situation wenigstens aktiv ändern zu wollen, gibt es nur in Holland.

Was ist die Reaktion der öffentlichen Hand auf diese missliche Lage? Sie fördert Hochglanz Studien, wo einer vom anderen abschreibt und die insgesamt bestenfalls zum Ergebnis kommen, „man muss etwas tun“. Ja man spinnt sogar Pläne für Europa übergreifende Strategien, um die Ausbildung zu intensivieren und entwirft schon Schulschiffe, die Schüler aller Länder vereinigen sollen (hoffentlich nicht in Anlehnung an das kommunistische „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“). Aber Weitsichtigkeit in Sachen Aus- und Weiterbildung war im Bereich der Verantwortungsträger noch nie besonders stark ausgeprägt. Dafür aber werden sie von einer ausgeprägten Experimentierkultur zum Selbstzweck geprägt. Der schon zitierte WU Bachelor kommt auch zum Schluss, dass einer der Gründe, warum die Binnenschifffahrt Nachwuchsprobleme hat darin liegt, dass der Beruf so wenig bekannt ist. Dabei gibt es seit 1999 (!) eine öffentliche Institution in Österreich, die sich genau derartigen Aufgaben – Öffentlichkeitsarbeit, Information über die Binnenschifffahrt – zu widmen hat und viel Geld dafür investiert, was zuvor ein einziges Unternehmen im Alleingang geschafft hat. Was aber ist seither geschehen? Das Logistikum in Steyr monierte 2013, dass es gar kein ausreichendes Informationsmaterial über die Binnenschifffahrt gibt und daher die Schiffslogistik in der Ausbildung nur am Rande unterrichtet werden kann. Leider ist der Befund nicht falsch. Allein wenn man sich das wissenschaftliche Logistik Lehrmaterial namhafter Autoren anschaut, meint man, die hätten selber noch nie etwas von Binnenschiffslogistik gehört. Aber vielleicht sind Ausbildung, qualifiziertes Personal, homogene Crews an Bord, Sicherheit und Verlässlichkeit bei vielen Reedereien ja auch gar nicht so gefragt. Zumindest lässt die vielfach geäußerte Feststellung von Experten, die da sagen, es gibt keine Ausbildungsplätze, keinen anderen Schluss zu. In Deutschland gibt es 43 Ausbildungsbetriebe (von insgesamt rund 900 Betrieben). In Österreich bietet sich überhaupt nur ein nennenswerter Ausbildungsbetrieb an. Reicht es also den Reedern noch, wenn sie einen menschlichen „Rohstoff“ an Bord haben, der die vom Gesetzgeber geforderte Mindestanzahl erfüllt? Oft genug ist ja auch nicht einmal das der Fall, wenn man die Statistik der Ordnungsstrafen wegen fehlender Besatzung berücksichtigt.

Das Ausbildungsschiff hat alle Anker geworfen und bewegt sich seit vielen Jahren keinen Millimeter. Die Frage ist, wie wirkt sich das ganze Verhältnis um die Ausbildungs- und Beschäftigungssituation in der Binnenschifffahrt auf die Binnenschiffslogistik aus? Faktum ist, mit einem Nimbus ist die Binnenschifffahrt schon fast traditionell behaftet. Sie gilt in der verladenden Wirtschaft oft als unverlässlich und unpünkt-lich. Welchen Anteil daran hausgemachte Probleme haben, wissen wir nicht. Das wurde bisher noch nicht untersucht. Aber vielleicht wartet man ja auch auf die Markteinführ-ung des Drohnenschiffes. Die diesbezügliche Forschung läuft ja bereits auf Hochtouren, und dann genügt ein erfahrener Kapitän an Land, um Schiffe zwischen Rotterdam und Sulina per Fernsteuerung zu dirigieren. Damit ließen sich dann nicht nur Personalproble lösen, man könnte gleich auch alle Ich-AG’s von der Last der Selbstausbeutung befreien. BE YOUR ON CAPTAIN! Auf die Ausbildung kannst du ge-trost verzichten.

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 3-2014

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