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Österreich 2023 – schlimmer geht(n)immer?

Dezember ist eine gute Zeit für Rückblicke – und Prognosen. Diese könnten kaum widersprüchlicher ausfallen: die Zahl der Milliardäre steigt, das globale Geldvermögen sinkt. Österreich ist in einer Rezession (oder besser Stagflation), aber für 2024 erwarten WIFO und IHS einen Aufschwung, getragen von privatem Konsum. Der hängt ab von ausreichend Einkommen, aber die KV-Verhandlungen sind zäh wie nie. Dazu das Damoklesschwert der aktuellen Coronazahlen. Und nun?

Redaktion: Angelika Gabor

Gestern Abend war ich am Christkindlmarkt bei uns in der Nähe. Es hat leicht geschneit, die perfekte Idylle. Ich hatte mich auf lange Schlangen bei meinem Lieblingsstand eingestellt, schließlich war Freitagabend. Dann die Überraschung: es war nichts los, kaum eine Menschenseele weit und breit. Der Standbetreiber bestätigte es dann, den ganzen Tag über war fast niemand da – und das nicht nur gestern. Nun glaube ich nicht, dass die Österreicher plötzlich alle abstinent geworden sind und nichts mehr vom Adventzauber wissen wollen – vielmehr handelt es sich um ein Spiegelbild der budgetären Gesamtsituation. Mein Kind liebt Baumkuchen, aber bei 7 Euro pro Stück verzichtet es freiwillig. Sieht man sich die Ergebnisse der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFES an, der zufolge viele Menschen mit dem gerade erhaltenen Weihnachtsgeld Schulden tilgen oder dringend nötige Reparaturen und Anschaffungen bezahlen, ist es nicht verwunderlich, dass für sozialen Luxus wie Christkindlmarktbesuche kein Geld bleibt.

Natürlich betrifft das nicht jeden gleich – haben Sie schon vom „Fat Cat Day“ gehört? Dieser Tag markiert das Datum, an dem Spitzenverdiener das Medianeinkommen erreicht haben. Spitzenreiter war übrigens Anas Abuzaakouk, Vorstandsvorsitzender der BAWAG Group AG – der dazu grade mal bis zum 2. Jänner kurz nach Mitternacht brauchte. Der könnte es sich vermutlich leisten, seinen ganz privaten Christkindlmarkt im Garten zu veranstalten – wenn er das möchte. Wenn er den Job noch ein paar Jahre behält und clever investiert, gehört er bald zum Club der Milliardäre – davon gibt es aktuell übrigens 2.544 weltweit (Tendenz wieder steigend), insgesamt besitzen diese rund 12 Billionen Dollar. Laut Studie der Schweizer Großbank UBS fand interessanter Weise der höchste Vermögenszuwachs des Jahres in Europa statt: besonders Besitzer von Einzelhandels- und Konsumgüterunternehmen wie LVMH, Kering, Hermes und L`Oreal gingen als große Gewinner der letzten Monate hervor.

Stagflation, und dann?

Menschen über 60 erinnern sich vielleicht noch an die Ölkrise der 1970er Jahre, als die westlichen Volkswirtschaften gleichzeitig wirtschaftliche Stagnation und hohe Inflation erleben mussten – aus diesen beiden Begriffen schließlich kreierte angeblich der frühere britische Finanzminister Iain McLeod das Kofferwort Stagflation. Wieder einmal wiederholt sich die Geschichte, die überschießenden Energiepreise hatten zu gestiegenen Produktionskostens und höheren Preisen bei gleicher Nachfrage geführt – das Ergebnis war bekanntlich ein reduziertes Wirtschaftswachstum und hohe Inflation. Anders als damals ist diesmal nicht die OPEC Schuld am Energiepreisschock, das Resultat ist aber dasselbe. Als probates Mittel zum Beenden der Stagflation gelten Leitzinserhöhungen, und genau das hat die EZB probiert: im Februar, März, Mai, Juni, Juli und September 2023 wurde der Leitzins schrittweise auf aktuell 4,50 Prozent angehoben. Das Problem dabei ist, dass sich dadurch Kredite verteuern und die ohnehin schwächelnde Investitionsbereitschaft weiter nachlässt. Besonders schmerzlich spürbar ist das in der Baubranche: durch die strengeren Vergabekriterien bei Krediten und die höheren Kosten ist die Nachfrage nach Immobilien-
Kaufobjekten eingebrochen, weswegen Neubauprojekte verschoben wurden. Laut Obmann der Immobilientreuhänder in Wien, Michael Pisecky, rechnen Branchenexperten mit einer zumindest drei Jahre anhaltenden Delle im Wohnungsneubau.

Neben der Leitzinserhöhung bleiben staatliche Unterstützungen, Deregulierungen oder Steuererleichterungen als Gegenmittel der Stagflation, die so genannte angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Unerwünschte Nebenwirkungen: ein größeres Haushaltsdefizit. Gerade eben hat der Budgetausschuss des Nationalrats das Bundesbudget 2024 bewilligt – entgegen früherer Motivation, das Defizit zu verringern, wird ein Minus knapp 21 Milliarden Euro erwartet – vorausgesetzt, die Wirtschaft wächst um 1,2 Prozent. Tut sie das nicht…. naja, aktuell liegt die gesamtstaatliche Schuldenquote bei 76,4 Prozent des BIP, wen kümmert’s, ob das ein paar Prozent mehr oder weniger werden. Unternimmt man jedoch nichts, wird Österreich nicht aus der aktuell nur leichten Rezession rauskommen, und diese Wirtschaftskrise können wir wirklich nicht gebrauchen. Ich muss zugeben, ich bin froh, hier nicht in der Haut der entscheidenden Regierungsmitglieder zu stecken, denn wie schon die Moral aus der Geschichte von Friedrich Hebbels besagt: „Allen Menschen rechtgetan, ist eine Kunst, die keiner kann“ – fragt sich nur, wer in unserer Geschichte der Esel ist.

Trübe Aussicht für Unternehmen

Laut neuesten Zahlen des Alpenländischen Kreditorenverbandes gab es mit Stand 1.12.2023 in Österreich bereits 3.050 Insolvenzen in diesem Jahr – schon jetzt mehr als in den letzten fünf Jahren, und wir haben noch einen Monat vor uns. Besonders betroffen: Handel (737 Insolvenzen) und Bauwirtschaft (650 Insolvenzen). Platz drei geht übrigens an die Gastronomie mit 507 Fällen (hoffentlich bleibt mein Lieblings-Christkindlmarktstand verschont). Neben sehr vielen kleinen Unternehmen erwischte es auch etliche große Namen: Kika/Leiner, Geomix, Gerry Weber, Forstinger, Tally Weijl, Blaumax, Richter, die Sport-2000-Genossenschaft Zentrasport und auch das Corona-Testlabor Lifebrain. Für die meisten Schlagzeilen sorgt jedoch aktuell der Fall des Society-Darlings Rene Benko: mit über 5 Milliarden Passiva ist die Pleite der Signa Holding die größte Insolvenz, die Österreich je gesehen hat – mit Respektabstand gefolgt von der Alpine Bau, die 2013 mit 3,2 Milliarden Passiva in die Insolvenzgeschichte des Landes einging. Leider geht der Kreditorenverband davon aus, dass die Anzahl der Firmenpleiten bis Jahresende noch auf bis zu 3.300 weiter steigen wird. Parallel dazu werden immer weniger Unternehmen gegründet, laut Statistik Austria wurden im 3. Quartal 2023 12.581 Registrierungen rechtlicher Einheiten in Österreich verzeichnet – das entspricht rund 22 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Damit einhergehen natürlich wieder gestiegene Arbeitslosenzahlen, die im Winter ohnehin traditionell saisonbedingt höher sind als in den Sommermonaten. Ende November lag die Arbeitslosenquote mit 352.551 gemeldeten Personen bei 6,5 Prozent, das ist ein wenig höher als Ende November 2022 – aber glaubt man Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher, ist das kein Grund zu Sorge, immerhin sind aktuell 95.030 offene Stellen beim AMS gemeldet. Spricht man mit Unternehmen, sind qualifizierte Arbeitskräfte derzeit eher die Nadel am Heuhaufen als Sand am Meer… und auch Azubis sind immer schwerer zu finden, denn die Zahl der Lehranfänger geht deutlich zurück. Zusammengefasst ist die Situation also nicht gerade rosig und man versteht, warum der private Konsum stagniert. Dieser ist aber für fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes verantwortlich und damit eine unverzichtbare Stütze der österreichischen Volkswirtschaft.

OECD-Prognose gibt wenig Hoffnung

Es ist interessant, wie stark die Einschätzungen über die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich auseinandergehen. Während die heimischen Institutionen eher Zuversicht und Optimismus zeigen – das WIFO rechnet mit 1,2 Prozent Wachstum, das IHS mit immerhin noch 0,9 Prozent, geht die OECD von
lediglich 0,6 Prozent aus – das wäre nur die Hälfte im Vergleich zur Schätzung des WIFO. Aber immerhin noch besser als das laufende Jahr mit der bereits erwarteten Schrumpfung der heimischen Wirtschaft um 0,4 Prozent. Wenigstens ist Österreich dabei in guter Gesellschaft, denn global gesehen hat sich das Wirtschaftswachstum längst entschleunigt.

Die meisten Zuwächse wird der OECD-Einschätzung nach Indien (dicht gefolgt von Indonesien) erleben, wohingegen beispielsweise China stark nachlässt. Während das durchschnittliche Plus bei den G20 Ländern bei 2,8 Prozent liegt, erreicht das Mittel der OECD-Mitgliedsländer mit prognostizierten 1,4 Prozent gerade Mal die Hälfte – und selbst das ist noch besser als hierzulande. Immerhin wird es – sollten die Vorhersagen halten – für uns besser laufen als für Argentinien, wo mit einer weiteren Schrumpfung von 1,3 Prozent ausgegangen wird. Als erstrebenswert gilt übrigens ein jährlicher BIP-Zuwachs zwischen 2 und 3 Prozent. Wir haben also noch Luft nach oben.

Die Corona-Pandemie und die darauffolgenden Maßnahmen trieben einen gewaltigen Keil in die Bevölkerung, noch heute leiden nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen unter den Spätfolgen. Seit 1. Juli ist Covid-19 keine meldepflichtige Erkrankung mehr – was sich aber bald wieder ändern könnte. Das Abwassermonitoring zeigt deutlich eine extrem hohe Virenlast, mehr als 110.000 Menschen sind aktuell (aus diversen Gründen) im Krankenstand. Die Benennung der Virus-Varianten ist wieder äußerst kreativ: noch herrschen XBB-Varianten vor, doch JN.1 ist auf dem Vormarsch. Zum Schutz vulnerabler Menschen ist das Tragen von Masken wieder empfohlen – im Dezember-Schneegestöber nicht unbedingt ein Nachteil. Auf dem Christkindlmarkt habe ich noch niemanden mit Maske gesehen, aber wenn, würde es mich auch nicht stören. Hauptsache, wir bleiben alle gesund – darauf einen Punsch! (RED)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 5/2023

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