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Quo vadis, Europa?

Es ist wirklich nicht leicht, sich eine Meinung zu bilden. Je nach Informationsquelle widersprechen sich „Fakten“, Experten kommen zu gegensätzlichen Lösungen und von der politischen Elite kommt ohnehin nie etwas Eindeutiges. Brauchen wir Griechenland oder es uns? Ist der „Geuro“ die Lösung? Können Eurobonds funktionieren? Sind wir (wer ist das eigentlich genau?) überhaupt noch zu „retten“?  Redaktion: Angelika Thaler


Im Anfang war das Wort (Johannesprolog Joh 1,1), und im (am) Anfang der Europäischen Union stand der 1992 in Maastricht abgeschlossene EU-Vertrag. Liest man nun den Artikel 3 der gemeinsamen Bestimmungen und vergleicht ihn mit der heutigen Situation, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass hier einiges schief läuft. Denn in Absatz 1 steht geschrieben „Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“ Steigende Arbeitslosenzahlen, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Massendemonstrationen und Straßenschlachten sind nicht unbedingt das, was ich unter Frieden und Wohlergehen verstehe. Oder bin ich zu kleinlich? Nun, in Absatz 3 findet man die schöne Idee, die Union wirke „auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin.“ Ich würde sagen, diese an und für sich gute Idee ist absolut gescheitert.

 

Souveränität?

Griechenland wurde im Gegenzug für die Finanzhilfen nicht nur zu restriktiven Sparmaßnahmen verdonnert, die Gelder des zweiten Rettungspaketes fließen nur nach der Zustimmung zu einem Sperrkonto, auf das ein Teil der Staatseinnahmen fließt und direkt zur Schuldenrückzahlung dient. Hinzu kommt die Überwachung des Haushalts durch die Eurogruppe. De facto ist dies ein massiver Eingriff in die Souveränität Griechenlands, doch in der Not greift der Ertrinkende nach jedem Strohhalm – auch wenn er schmutzig ist. Wem der Gedanke an diesen Selbstbestimmungsverlust sauer aufstößt, der sollte den Vertrag über den Euro-Rettungsschirm ESM (Europäischer Stabilitäts-Mechanismus), dem Österreich voraussichtlich am 4. Juli 2012 zustimmen wird, lieber nicht lesen. Oder für den Notfall Beruhigungstropfen bereithalten, denn mit dieser Unterzeichnung gestattet auch unsere „Insel der Seligen“ externen Zugriff auf ihre Finanzen. Denn in Artikel 8, Absatz 4 steht: „Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, ihren Beitrag zum genehmigten Stammkapital gemäß ihrem Beitragsschlüssel in Anhang I zu leisten. Sie kommen sämtlichen Kapitalabrufen gemäß den Bedingungen dieses Vertrages fristgerecht nach.“ Da tröstet es wenig, dass die Haftung auf diesen Anteil begrenzt wird. Denn in Artikel 9, Absatz 3 geht es um das Abrufen genehmigten Kapitals (zusätzlich zu den 80 Milliarden Euro Stammkapital sind 420 Milliarden Euro vorgesehen; auf Österreich entfallen davon 19,5 Milliarden Euro Kapitalzusagen): „Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen.“ Sieben Tage? Wenn man bedenkt, wie lange es dauert, bis man beispielsweise nach dem Lohnsteuerausgleich Geld vom Staat zurückbekommt… Aber das hat wohl nicht die gleiche Priorität.

 

Keine Alternative?

Ursprünglich sollte der ESM mit 1. Juli starten, in Österreich ist jedoch erst am 4. Juli mit der Entscheidung des Nationalrats zu rechnen. Man kann es durchaus Galgenhumor nennen, wenn ausgerechnet am amerikanischen Unabhängigkeitstag Österreich seine finanzielle Souveränität an den Gouverneursrat des ESM abtritt. Bisher haben erst Frankreich, Slowenien, Portugal, Griechenland und die Slowakei zugestimmt. Bei uns ist eine Zweidrittel-Mehrheit nötig, da die Einführung des ESM eine Abänderung des EU-Vertrages erfordert. In Artikel 125 AEUV (Vertrag von Lissabon) ist nämlich ausdrücklich die Haftungsübernahme für Schulden anderer Mitgliedsstaaten verboten (No-Bailout-Klausel). Wie man es auch dreht und wendet, es kommen weitere hohe Zahlungen und rigide Sparmaßnahmen auf uns zu. Dank Ministerratsbeschluss zum Fiskalpakt im März 2012, der nicht nur zur gesetzlichen Verankerung der Schuldenbremse verpflichtet, sondern auch doppelt scharfe Kriterien zur Budgetdisziplin vorsieht, erwarten uns vermutlich – bedenkt man die bisherigen Einsparungserfolge der Regierung – zusätzliche Strafzahlungen. Diese Gelder fließen praktischerweise in das ESM-Projekt, wodurch sich die EU so nebenbei eine neue Einnahmequelle geschaffen hat. Doch warum das Ganze? Angesichts der Katastrophe in Griechenland – anders kann man die Tragödie, die sich dort abspielt, nicht mehr betiteln – scheint es, dass einzelne Politiker zu allen Opfern bereit sind, koste es, was es wolle. Der Staatsbankrott Griechenlands wirkt wie der Eisberg, und die EU ist die Titanic. Denn zumindest wird uns Bürgern der mögliche Bankrott als unser Untergang präsentiert (und ich wage zu behaupten, die politische Elite besetzt dann die Rettungsboote). Interessantes Detail am Rande: als höchste Instanz und genuine Völkerrechtssubjekte können Staaten keinem Insolvenzverfahren unterworfen sein (vgl. Alexander Szodruch, Staatsinsolvenz und private Gläubiger, 2008, S. 21) – es fehlen schlicht die Regulierungssysteme dazu. Wie viele Hilfsgelder hat Griechenland bereits erhalten, 380 Milliarden? Den Menschen geht es schlecht, die Wirtschaft liegt am Boden, die Bonität ist im Keller. Dabei haben die Schuldner bereits einem Haircut von über 50 Prozent zugestimmt… Wo wäre das Land heute, hätte man dem Schreckgespenst ins Auge gesehen, statt davon zu laufen, den Staatsbankrott erklärt (was nicht das erste Mal wäre) und all die Hilfsgelder in den Wiederaufbau der Wirtschaft, soziale Abfederung und in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt? Ich glaube kaum, dass es schlimmer wäre als heute…

 

Der „Geuro“

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, ließ mit seinem Vorschlag einer griechischen Parallelwährung aufhorchen. Seiner Meinung nach solle der griechische Staat seine Rechnungen nicht mehr in Euro bezahlen, sondern in Form von Schuldscheinen, die auf eine neue Währung namens Geuro lauten. Er geht von einem Wertverlust von 50 Prozent des Geuro gegenüber dem Euro aus. Welch grandiose Idee! Ich bin überzeugt, die Griechen freuen sich, wenn sie ihr Gehalt in Geuro-Schuldscheinen „ausbezahlt“ bekommen, der Supermarkt um die Ecke und der Vermieter aber weiterhin echte Euros sehen wollen. Aber so geordnet und flott, wie Athen reagiert, dauert es sicher nur einige wenige Tage, ehe eine gesetzliche Anpassung sämtlicher Beträge in die neue Währung vollzogen wäre. Vielleicht sind es ja sieben Tage, so lange haben schließlich auch die ESM-Mitglieder Zeit, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Griechenland muss sich entscheiden: Verbleib in der Währungsunion oder Austritt, A oder B, Alpha oder Omega. Der Geuro wäre der Versuch, sich vor dieser Entscheidung zu drücken, denn ein Teilaustritt bringt viel mehr Unwägbarkeiten mit sich als ein kontrollierter Ausstieg, und damit auch viel mehr Risiken. Ein Präzedenzfall wird es so oder so. 

 

Das Ziel der Europäischen Union war eine Gemeinschaft. So gesehen klingt der Gedanke an Eurobonds, nationale Staatsschulden zu vergemeinschaften und damit neue Wachstumsimpulse zu setzen, ja nicht so verkehrt. Man fragt sich, warum Deutschland dagegen ist – nur weil das Land schon zu den Nettozahlern zählt und große Summen in den Rettungsfonds eingezahlt hat? Da werden unsere Nachbarn doch sicher auch gerne die höheren Zinsen für ihre Schulden bezahlen. Wer wird denn plötzlich so knausrig sein…

 

Wir Österreicher befinden uns in einer Phase des Umbruchs, aktuell werden realpolitisch die Weichen für die Zukunft gestellt. Viele Prozesse laufen im Verborgenen ab, und wir werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass genug Menschen sich ihre eigene Meinung bilden und sich nicht davor scheuen, diese kund zu tun und damit vielleicht noch das Ruder herumzureißen. Ehe auch dieses Schiff sinkt.  (AT)

Quelle: Logistik express Print- und E-Paper Ausgabe 2-2012      

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