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Rezession – ein Schreckgespenst, oder doch nicht?

Nur wenige von uns haben die große Wirtschaftskrise 1929 bewusst miterlebt, trotzdem lösen die Worte „Rezession“ und „Depression“ sofort Ängste aus. Aktuell befindet sich Österreich inmitten einer Rezession – aber ist das wirklich so schlimm?

Redaktion: Angelika Gabor

Rezession bedeutet per Definition, dass die Wirtschaft eines Landes (gemessen am BIP) über einen längeren Zeitraum hinweg schrumpft. Dieser Abschwung bedeutet, dass weniger Waren verkauft und konsumiert werden, wodurch Firmen weniger Mitarbeiter benötigen. Befragt man Handels- und Industriekonzerne, wo derzeit ihre größten Herausforderungen liegen, dann landet „Arbeitskräftemangel“ zu 100% in den Top 3. Wenn weniger Waren produziert und transportiert werden, sinken die Emissionen (nicht nur CO2) und der Ressourcenverbrauch.

Ein Sinken der Nachfrage bedeutet im Normalfall auch, dass Preise (und Zinsen) gesenkt werden. Wird nicht überall (zurecht) über die Teuerung gelästert? Gut, die EZB hat die Zinsen gerade erst mehrfach angehoben und wird sie jetzt wohl kaum wieder absenken, auch wenn die Investitionsbereitschaft deutlich nachgelassen hat. Aber nimmt man die anderen Faktoren her, ist eine Rezession doch eigentlich das Beste, was uns gerade passieren konnte, oder nicht?

Gut, ganz so einfach ist es dann leider doch nicht. Zwar hat schon der Ökonom Andreas Irmen treffend festgestellt, dass auf einem Planeten endlicher Größe nichts unendlich groß werden kann, auch die Wirtschaft nicht (Programme wie Mondlandung und Marsprojekte lassen wir jetzt mal außen vor, durch die wird die Erde auch nicht größer und bis auf fremden Planeten Ressourcen abgebaut werden, wird noch einiges an Wasser die Donau hinunterrinnen), dennoch ist in der globalisierten Wirtschaftsstruktur, in der wir in Europa, aber auch anderen Teilen der Welt leben, ein gewisses Maß an Wachstum nötig, um einen funktionierenden Staat aufrechtzuerhalten.

Ein anhaltender Rückgang von Konsum und Investitionen führt zu höheren Arbeitslosenquoten, das wiederum zu weniger Steuereinnahmen bei gleichzeitig höheren Ausgaben für Sozialleistungen, die über teure Kredite finanziert werden – über kurz oder lang wäre der Staat überschuldet und ein Konkurs droht.
Also brauchen wir Wachstum zwingend, um unseren Lebensstandard zu halten? Denn realistisch betrachtet werden die wenigsten bereit sein, tiefere Einschnitte in ihre Lebensweise hinzunehmen, um die Umwelt zu retten (was ungeheuer kurzsichtig ist, denn aktuell haben wir nur diesen Planeten).

Beschäftigt man sich etwas näher mit der Materie, dann erkennt man übrigens schnell, dass es „DAS WACHSTUM“ als 100%ig eindeutiges Konzept im wirtschaftlichen Zusammenhang gar nicht gibt. Schon von A-Growth, De-Growth, Green Growth oder der vorsorgeorientierten Postwachstumsposition gehört? Green Growth – also grünes Wachstum – setzt darauf, ökologische Nachhaltigkeitsziele und Wachstumsziele gleichzeitig zu erreichen, indem eine Entkoppelung von Emissionen und Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum stattfindet. Dieses Konzept wurde ab 2012 von OECD und Weltbank propagiert, gilt aber aus aktueller Sicht betrachtet als gescheitert, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die selbst gesetzten Reduktionsziele bei Treibhausgas-Emissionen, Flächenverbrauch und Ressourcen erreicht werden, geht gegen Null.

De-Growth bezieht sich auf ein absichtliches Absenken des Produktionsvolumens und somit des BIP, da die angekündigte Effizienz-Revolution bislang ausgeblieben ist und wohl auch nicht kommen wird. Der Staat müsste aufhören, Wachstum künstlich zu stützen und auf Suffizienzpolitik umsteigen. Aus meiner Sicht wird sich keine der in der Regierung befindlichen Parteien daran die Finger verbrennen wollen. Besser zu unserer Mentalität passend wäre da schon A-Growth: das A steht für agnostisch, wachstumsneutral oder mit anderen Worten „egal“. In diesem Konzept wird Wachstum weder gefördert noch verhindert, es ist also nicht vorherzusehen, ob das BIP steigen oder fallen wird – man akzeptiert einfach, was kommt.

Anfang Oktober veröffentlichte das WIFO, das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung, seine neueste Konjunkturprognose für 2023 und 2024. Der Inhalt wird wenige überraschen: der weltweite Warenhandel ist nun das dritte Quartal in Folge geschrumpft, die globale Industrieproduktion zurückgegangen. Auch in Österreich ist die Wertschöpfung geschrumpft, wir befinden uns dank hoher Energiepreise, starker Zinssteigerungen und gedämpfter Kaufkraft in einer Rezession: das reale BIP geht vermutlich um 0,8 Prozent zurück (das scheint wenig, entspricht aber stolzen 3,582 Milliarden Euro!). Besonders leidtragend ist die Bauwirtschaft, die starken Leitzinserhöhungen haben zu einem massiven Investitionsstopp im Wohnbau geführt. Da nun aber die in der Coronakrisenzeit aufgebauten Lagerbestände nun langsam verbraucht sind und auch die Energiepreise sich wieder halbwegs normalisiert haben, rechnet das WIFO für steigende Nachfrage (insbesondere durch privaten Konsum) und damit wieder vermehrte Produktion ab 2024. Die Erwartung: ein Anstieg des realen BIPs um 1,2 Prozent und eine Konjunkturerholung – ausgenommen im Bauwesen, da sehen die Prognosen düster aus.

Spannend im Hinblick auf den Arbeitsmarkt ist die Beobachtung, dass etliche Unternehmen trotz Rückgangs ihre Arbeitskräfte behalten. Als „Labour Hoarding“ bekannt, vermeidet dieser Kniff den möglichen teuren und langwierigen Prozess, bei besserer Auftragslage neue Mitarbeiter finden zu müssen. Lesson learned! Denn noch immer ist es eine der aktuellsten und größten Herausforderungen der Unternehmen, geeignetes Personal zu finden. Es hapert aber nicht etwa nur an der Bezahlung – die optimale Work-Life-Balance ist so wichtig geworden, dass Vollzeitstellen oftmals nur mit Mühe besetzt werden können.

Zusätzlicher Knackpunkt ist die Qualität der Bewerber: neben mangelnder fachlicher Qualifikation oder unrealistischen Vorstellungen sind Sprachkenntnisse ein Problem – beziehungsweise deren Fehlen. Daher verwundern die kürzlich von Statistik Austria veröffentlichten Zahlen über Schulkinder, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, wenig – in Wiener Mittelschulen sind es sogar 77 Prozent, die Deutsch nicht als Umgangssprache wählen, also andere Sprachen bevorzugen (oder daheim anders nicht verstanden werden?).

Die Studie zeigt auch, dass von den rund 10.000 außerordentlichen Schülern in Deutsch-Förderklassen stolze 60 Prozent in Österreich geboren sind und 80 Prozent zumindest 2 Jahre den Kindergarten besucht haben. Trotzdem reichen die Sprachkenntnisse nicht aus, dem Unterricht zu folgen. Wer also nur den leisesten Zweifel daran hatte, dass sich in Österreich Parallel-Gesellschaften entwickelt haben – die Zahlen sprechen leider für sich. (RED)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 4/2023

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