Türkis-Grün. Himmel hilf oder hell yeah?

Wohlwollen auf der einen, Ohnmachtsanfälle auf der anderen „Seite“. Die aktuelle Regierungskoalition in Österreich sorgte national wie international für Gesprächsstoff. Doch welche Auswirkungen hat diese neue Partnerschaft auf die Logistik und den Verkehr, werden Güter zukünftig nur noch emissionslos mit dem Lastenrad transportiert? 328 Seiten Regierungsprogramm. Ich habe es gelesen, wer noch?

Redaktion: Angelika Gabor.

Mit großer Ungeduld wurde das Programm der ersten Türkis-Grünen Regierung erwartet. Doch gut Ding will Weile haben, das wusste schon der alte Römer Ovid. Und wenn man sich das Ergebnis ansieht, dann wird klar, warum ein Snickers-Vorrat (wer erinnert sich noch an den alten Slogan?) hilfreich war.

Zum Vergleich: das Regierungsabkommen von Türkis-Blau umfasste 182 Seiten, das von Rot Schwarz im Jahr 2013 mit 124 Seiten nicht einmal die Hälfte des aktuellen Programmes. Neben einem eigenen Kapitel Verkehr & Infrastruktur (immerhin 18 Seiten stark) finden sich in vielen Bereichen Punkte, die bei deren Umsetzung die Logistik, Infrastruktur und Mobilität nachhaltig beeinflussen werden. Dabei waren durchaus auch einige überraschende Bekenntnisse und Ziele dabei.

Kampf der Klimakrise.
Türkis-Grün hat es sich zur Aufgabe gemacht, sozial verträgliche und regional angepasste Klimamaßnahmen zu setzen, ohne dabei den Wirtschaftsstandort zu schwächen. Wörtlich heißt es hier: „Neben Forschung und Innovationsförderung, gezielten Investitionen und ordnungspolitischen Maßnahmen ist das Steuersystem ein wirksamer Hebel, um die Dekarbonisierung voranzutreiben und Natur und Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen nachhaltig zu erhalten“, (Regierungsprogramm S. 78).

Mit dem Ziel der Einhaltung des Klimavertrags von Paris vor Augen – schließlich drohen hier empfindliche Strafzahlungen, wenn Österreich so weitermacht wie bisher – soll endlich Kostenwahrheit bei den CO2-Emissionen hergestellt werden. Gleichzeitig verspricht das Programm Wahlmöglichkeiten und Umstiegsmöglichkeiten für Unternehmen. Als Beispiele werden eine einheitliche Flugticketabgabe von 12 € pro Ticket, die Ökologisierung der NoVA sowie ein Kampf gegen den Tanktourismus und LKW-Schwerverkehr aus dem Ausland genannt. Ein weiterer Punkt, der insbesondere hinsichtlich seiner Ausgestaltung noch interessant werden wird: die Ökologisierung der bestehenden LKW-Maut.

Ökosoziale Steuerreform.
Ganze zwei Seiten umfasst das Kapitel der ökosozialen Steuerreform, und diese enthalten Punkte, die der Transportbranche schwer im Magen liegen werden. Gleich an erster Stelle steht nämlich die Besteuerung von Kerosin und Schiffsdiesel: „Die Bundesregierung strebt eine verursachergerechte Besteuerung von Kraftstoffen im Flugverkehr und in der Schifffahrt an. Dafür ist international bzw. europäisch akkordiertes Handeln nötig“ (S. 80).

Bis zum Jahr 2022 soll die eigene „Taskforce ökosoziale Steuerreform“ einen Fahrplan zur wirksamen, aufkommensneutralen Bepreisung klimaschädlicher Emissionen erstellen. Größte Herausforderung dabei wird meiner Meinung nach die „Erarbeitung des effizientesten ökonomischen Instrumentes zur schrittweisen Herstellung von Kostenwahrheit bei den CO2-Emissionen in den Sektoren, die nicht dem EU ETS unterworfen sind, z.B. durch CO2-Bepreisung über bestehende Abgaben oder ein nationales Emissionshandelssystem“ (S. 79) sein. Denn allein zum Thema Kostenwahrheit gibt es unterschiedlichste Ansätze, aber vielleicht kann sich die Taskforce ja ein Beispiel an den bewährten Kummertabellen nehmen und ein ähnlich tragfähiges Modell entwickeln. Zwar wird auch festgehalten, dass es sektoral differenzierte Entlastungsmaßnahmen geben soll, um Mehrbelastungen für Wirtschaft und Private gleichermaßen zu verhindern – allerdings nur, sofern diese nicht dem gewünschten CO2-Lenkungseffekt widersprechen. Mit anderen Worten: CO2 Emissionen werden empfindlich teurer.

Land der Erfinder.
Die neue Bundesregierung vertraut darauf, dass die Innovationskraft heimischer Unternehmen dazu führen wird, dass sich neue Sektoren auftun, in denen Österreich relevante Wettbewerbsvorteile aufweist, die es dann vor dem Hintergrund der Technologieneutralität weiterzuentwickeln gilt.

Ziel: durch österreichische Produkte weltweit einen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten, beispielsweise durch „digitale Geschäftsmodelle, forschungsintensive Industrien, Modelle der Kreislaufwirtschaft, die E-Mobilität, die Nutzung von grünem Wasserstoff in Verkehr und Industrie, Gesundheitswirtschaft und andere Bereiche, die auf Österreichs Verbindung von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und industriellem Know-how bauen“ (S. 88).

Aber Halt – grüner Wasserstoff in Verkehr und Industrie? Tatsächlich! Statt wie unser Nachbar Deutschland stur nur auf Elektromobilität zu setzen – die nachweislich durch den Abbau von Lithium für Akkus die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung in großen Teilen Südamerikas zerstört – will Türkis-Grün dezidiert „Wasserstoff als Speichermedium verstärkt nutzen“ (S. 111, Erneuerbare Energie für eine saubere Zukunft).

Im Kapitel über die Technologieoffensive wird es dann diesbezüglich noch konkreter, gefordert wird nämlich eine neue Österreichische Wasserstoffstrategie mit dem Ziel, Wasserstofftechnologie speziell für den Wirtschafts- und Verkehrsbereich zu entwickeln und so Österreich zur Wasserstoffnation Nummer 1 zu machen. Vorgesehen ist ebenso ein Klimaschutz- und Wasserstoffzentrum als Cluster für Forschung, Innovation und Technologie (S. 116).

Schon seit Jahren beschäftigen sich Forscher mit Wasserstoff als Speichermedium. Da Wasserstoff Energie chemisch abspeichert und entweder direkt durch Verbrennung, oder als elektrische Energie in einer Brennstoffzelle wieder abgibt, ist er sehr flexibel. Übrigens haben Forscher um Michael Swain von der University of Miami bereits 2003 mit einem Test demonstriert, dass Fahrzeuge mit Brennstoffzellen hinsichtlich Explosionsgefahr und Ausbrennen weniger gefährlich sind als jene mit Benzin- oder Dieseltank.

Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG).
Hinter diesem zugegeben etwas sperrigen Namen verbirgt sich eine 2018 im Ministerrat beschlossene Initiative zur Erarbeitung eines nachhaltigen, sicheren, innovativen, wettbewerbsfähigen und gleichzeitig auch leistbaren Energiesystems zur Erreichung der Klimaziele. Die aktuelle Bundesregierung hält an der Initiative fest. Das ambitionierte Ziel: bis 2030 eine national 100%ige Versorgung mit Ökostrom inklusive notwendiger Netzinfrastruktur. Das bedeutet laut Regierungsprogramm einen notwendigen Ausbau um 27 Twh (zum Vergleich: Gesamtverbrauch Österreichs im Jahr 2018 laut Statistik Austria 71,8 Terawattstunden).

„Für die Industrie und das Gewerbe werden die Weichen in Richtung einer neuen, hoch innovativen, kreislauffähigen und klimafreundlichen Technologie-Ära gestellt, die Österreich und Europa als führenden Industriestandort für hochwertige, ressourcenschonende und CO2 -arme Produktion positioniert“ (S. 103). Leider steht nirgends detailliert beschrieben, wie genau diese Technologie aussehen wird. Ob der Plan, sich im Wettbewerb um die ökologischsten statt billigsten Produktionsweisen, als Vorreiterland zu positionieren, aufgehen wird, wird sich weisen. Wenn ich mir die aktuelle Lage in der EU so ansehe (Stichwort
Kabotage), wage ich ein bisschen daran zu zweifeln.

Güterverkehr im Mobilitätsmasterplan 2030.
„Der Güterverkehr hat großes Potential, einen wesentlichen Beitrag für die Erreichung der Pariser Klimaziele zu leisten. Er soll energieeffizient, umwelt- und klimaschonend abgewickelt und die Chancen dieses Effizienzsprungs für den Beschäftigungs- und Wirtschaftsstandort sollen umfassend genützt werden. Der Logistik-Hub Österreich wird damit zukunftsfähig aufgestellt und nachhaltig gestärkt“ (S. 120). Leider finden sich auch hier keine konkreten Vorschläge, wie genau dieser Effizienzsprung vonstatten gehen soll.

Fakt ist, dass der Mobilitätsmasterplan 2030 den wirkungsorientierten strategischen Rahmen bieten wird, um Österreichs Luft-, Wasser-, Schienen- und Straßenverkehr nach ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen auszurichten. Immerhin – das Kind hat einen Namen. Dezidiert erwähnt werden in diesem Zusammenhang die Transformationstreiber Dekarbonisierung und Digitalisierung, wobei es bei letzterer um eine modiübergreifende Steuerung und Nutzung neuer Geschäftsmodelle zur Erreichung der Klimaziele geht. Der Mobilitätsmasterplan 2030 basiert auf der #mission2030, dem NEKP, dem Sachstandsbericht Mobilität usw und wird Einzelmaßnahmen in den Bereichen „Verkehr vermeiden“, „Verkehr verlagern“ und „Verkehr verbessern“ entwickeln.

Verkehrssicherheit: LKW.
Nicht nur in der Wiener Tagespolitik ist der Abbiegeassistent in aller Munde, auch im Regierungsprogramm finden sich Maßnahmen, um die LKW-Sicherheit zu erhöhen. Neben einem verstärkten Fokus auf dieses Thema im Verkehrssicherheitsbeirat ist ein Schwerpunkt die Ausbildung. „Vertiefende Ausbildung der LKW-Fahrerinnen und -Fahrer im Rahmen der Berufskraftfahrer-Aus- und -Weiterbildung hinsichtlich „Verkehrssicherheit und toter Winkel“ (S. 124) ist nur ein Punkt, geplant sind auch Bewusstseinsbildungsmaßnahmen für besonders gefährdete Gruppen. Eine Förderung für die Nachrüstung von Abbiegeassistenten soll geprüft werden, aber ich denke, das wird auf jeden Fall kommen. Zudem sind verstärkte Kontrollen angedacht.

Ein Schelm, wer dabei an Abkassieren denkt… interessant wird dann auch, wer genau bestimmt, was zumutbar ist und was nicht: „Adäquate personelle Ausstattung der Exekutive für ein dichtes Kontrollnetz bzgl. arbeitsrechtlicher, technischer und rechtlicher Belange unter zumutbarer zeitlicher Beeinträchtigung der Beamtshandelten“ (S. 124) liest sich jedenfalls nicht sehr witzig für LKW-Fahrer, die einen engen Zeitplan einhalten müssen.

Vorfahrt für die ÖBB.
Türkis-Grün hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Fertigstellung des Zielnetzes 2025+ zu beschleunigen und nimmt dafür auch Geld in die Hand. Ausgehend vom Basisjahr 2020 werden die Investitionen jährlich um 5% gesteigert. Ein Programmpunkt, der Schienennostalgikern Schweißperlen ins Gesicht treiben wird, ist ein durchaus ambitioniertes Vorhaben, an dem schon Viele gescheitert sind: eine technische und betriebliche Harmonisierung der Systeme auf europäischer Ebene samt gemeinsamer Verkehrssprache, um die organisatorischen und verwaltungstechnischen Hindernisse insbesondere entlang von Transitrouten abzubauen.

„KK“ – Kurz und Kogler – mögen zwar die gleichen Initialen wie die K&K Zeit haben, aber ob sie ähnlich geschichtsträchtige Auswirkungen auf die Eisenbahn in Europa haben werden? So nebenbei sollen bis 2040 90% des gesamten Eisenbahnnetzes in Österreich elektrifiziert sein. Zur Finanzierung der internationalen Bahn-Optimierung sollen die entsprechenden EU-Fördertöpfe herhalten, Daumen sind gedrückt.

„Die ÖBB ist ein volkswirtschaftlich bedeutendes Unternehmen, als einer der größten Arbeitgeber, als wirtschafts- und industriepolitischer Motor mit großer Wertschöpfung und Treiber von Innovation. Bekenntnis zur ÖBB als ein wichtiges Instrument zur Umsetzung der Verkehrspolitik, insbesondere im Sinne eines nachhaltigen, dekarbonisierten Verkehrssystems“ (S. 127).

Die logische Konsequenz aus diesem Bekenntnis ist ein kontinuierlicher Ausbau der Schieneninfrastruktur. So soll die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene forciert werden. Als zusätzlicher Anreiz zur Verbesserung des Modalsplits soll der Schienengüterverkehr finanziell attraktiver gestaltet werden. Dies beinhaltet ein Bündel an Maßnahmen, etwa die Anpassung der Förderungen bis in EU-genehmigte Höhe oder eine Förderung des Einzelwagenverkehrs.

Ein spannender Aspekt: „Zielsetzung ist das Einfrieren der Preise (IBE) für Trassen im Güterverkehr für 3 Jahre“ (S. 132). Weitere Pläne sind „Sicherung und Ausbau von intermodalen Verlademöglichkeiten, um die Effizienz des Gütertransports auf der Schiene zu steigern: Forcierung und Förderung betrieblicher Gleisanschlüsse, inkl. Instandhaltung und Betrieb; bei Neuwidmung von Industrie- und Gewerbegebieten sollen Anschlussbahnen forciert werden“ sowie ein verstärkter Transport bahnaffiner Güter auf der Schiene.

EU-Wegekostenrichtlinie II.
Die Regierung wird sich proaktiv für eine EU-Wegekostenrichtlinie II mit verlagerungswirksamen Eckpunkten wie Mindest- statt Höchstmautsätzen einsetzen. Im Fokus steht dabei Kostenwahrheit durch eine der verursachten Umwelt- und Klimabelastung entsprechende LKW-Maut inklusive Mindestsätzen. Zudem sollen Luftschadstoffe und Lärm besser in Mauttarife einberechnet werden.

Ebenso geplant: wirksame Maßnahmen auf EU-Ebene für eine Reduktion und Verlagerung von Transitfahrten, etwa eine Alpentransitbörse, um Lizenzen für eine umweltverträgliche Obergrenze an LKW-Transitfahrten zu handeln, oder ein sektorales Fahrverbot sowie eine Aufnahme von Gesprächen mit der EU-Kommission und der Schweiz über eine Korridor-Maut. Durch eine Abänderung geltender Europäischer Richtlinien soll eine nachhaltige Lenkungswirkung erzielt werden. Vereinfacht gesagt: stark frequentierte Routen wie der Brenner sollen so teuer werden, dass es sich nicht mehr lohnt, mit dem LKW zu fahren.

Für Unterstützung sorgen intelligente LKW-Leitsysteme entlang wichtiger Transit-Knotenpunkte. Weitere Kernpunkte, die Spediteure frohlocken lassen werden: sektorale Fahrverbote (auch außerhalb von Luftsanierungsgebieten), LKW-Dosierungen an den Außengrenzen, LKW-Nachtfahrverbote, LKW-Wochenendfahrverbote, Euroklassen-Fahrverbot sowie Samstagsfahrverbote im Sommer und Winter (wer erinnert sich an dieser Stelle noch an das Bekenntnis, die Wirtschaft nicht belasten zu wollen?).

Zur Unterbindung des Tanktourismus sollen Preiskonditionen entlang Transit-Routen angeglichen werden – abgesehen davon, dass es ohnehin automatische LKW-Abfahrverbote geben wird. Gespannt bin ich schon darauf, wie das City-Logistik-Konzept aussehen wird, das stadtinternen Güterverkehr reduzieren soll. Zwei Aspekte, die fast im Gesamtvertrag untergehen: das Bekenntnis zu gerechter Entlohnung in den Branchen Transport und Logistik sowie ein deutliches NEIN zu Gigalinern auf Österreichs Straßen.

Im Bereich der Luftfahrt soll auf europäischer Ebene und in den globalen Gremien eine mit anderen Treibstoffen in Relation stehende Besteuerung von Kerosin erwirkt werden, die Chancen hierfür stehen aber vermutlich schlecht. Interessanter scheint da schon die geplante Entwicklung von klimaschonenden Treibstoffalternativen für die Luftfahrt, etwa durch eine Unterstützung von Pilotprojekten zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Auch im Bereich der Schifffahrt sollen alternative Kraftstoffe gefördert werden.

Insgesamt findet man im Regierungsprogramm teils ambitionierte Pläne, jedoch wenig konkrete Maßnahmen. Damit werden sich wohl Gremien, Arbeitskreise und Berater befassen. Auch wenn es gerne anders kommuniziert wird, für einige Unternehmen wird es schmerzhaft. Aber manche Dinge sind einfach irgendwann überholt, und dann bleibt jemand oder etwas auf der Strecke. Fragen Sie die Dinosaurier, die können das bestätigen. (AG)

E-Magazin Archiv: LOGISTIK express Journal 1/2020  https://epaper.logistik-express.com/
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