Der Fluch des Konsumismus. Sind wir noch zu retten?

Erst war es der Wandel, nun sind wir in der Krise. Folgt die Katastrophe? Das Klima hat massiven Einfluss auf unsere Lebensweise, die in der „westlichen Welt“ von Konsum geprägt ist. Die Politik ist glücklich, wenn die Wirtschaft wächst und immer mehr produziert wird. Produkte werden um die halbe Welt gekarrt, Subventionen unterstützen den Untergang der dritten Welt. Die notwendigen Ressourcen und die Umwelt interessieren dabei nicht – Hauptsache mehr, mehr, mehr. Aber ginge es nicht auch anders?

Redaktion: Angelika Gabor.

Wer erinnert sich noch an die Butterberge und Milchseen der 1980er Jahre? Auch im Jahr 2019 sind wir aufgrund fehlgeleiteter Subventionspolitik in der gleichen Situation. Anfang April protestierten europäische und westafrikanische Milchbauern gemeinsam in Brüssel gegen die Überproduktion der Europäischen Union. Während nämlich in Europa die Bauern unter den niedrigen Preisen aufgrund der geförderten Überschuss-Produktion leiden, wird die Existenz der westafrikanischen Kleinbauern sukzessive zerstört: versetzt mit Palmöl, wird die Milch als Pulver exportiert und auf dem westafrikanischen Markt bis zu 30 Prozent billiger angeboten, als lokale Frischmilch. Seit 2016 stieg der Export europäischer, mit Fettstoffen angereicherter Milchpulver um 24 Prozent. Damit zerstören wir nicht nur die regionale Landwirtschaft in Westafrika, nein – wir killen gleich noch unser Klima mit. Die explodierende Nachfrage nach Palmöl – jährlich importiert die EU rund 6 Millionen Tonnen davon – führt dazu, dass immer mehr Regenwald für Plantagen abgeholzt wird. Denn so toll und ertragreich Ölpalmen auch sein mögen, sie gedeihen nur im tropischen Klima.

Schon jetzt umfassen die Ölpalm-Monokulturen weltweit 27 Millionen Hektar Land im Äquatorbereich. Pro Minute wird weltweit die Fläche von knapp 45 Fußballfeldern Regenwald für Plantagen, Papier und Holz gerodet – ein SuperGAU fürs Klima, denn die Regen- und Torfwälder speichern gigantische Mengen des Treibhausgases CO2, das so in die Atmosphäre gelangt. Von der Umweltbelastung durch die Verarbeitung und den Transport des Palmöls in die ganze Welt ganz zu schweigen. Ausgehend davon, dass die Klimaerwärmung im selben Tempo weiter geht, wie jetzt, wird der Meeresspiegel bis zum Jahr 2080 um 2 Meter steigen.

Ein Blick auf den Globus macht deutlich, wie viele Menschen sich dann auf die Reise begeben werden, weil ihr Zuhause schlicht und ergreifend nicht mehr existiert. Von Urlaub auf den Malediven oder in Manhatten können unsere Enkel dann in Geschichtsbüchern lesen. Das BIP als Maß aller Dinge Unsere Gesellschaft hat ein gravierendes Problem: Produktivität und deren Steigerung gehören zu den wichtigsten Faktoren. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass jede Einschränkung der Produktionsleistung schlecht ist. Wen wundert es da, dass beispielsweise Menschen mit Behinderung fast unmöglich in den Arbeitsmarkt integrierbar sind? Mit ehrfurchtsvoller Spannung wird stets die Veröffentlichung der Wirtschaftsprognosen erwartet, die gleichzeitig direkten Einfluss auf die Stimmung der Politiker und Wirtschaftstreibenden haben.

Strahlende Gesichter gibt es in Österreich erst ab mindestens 2 Prozent Wachstum, wohingegen den Verantwortlichen in China beim Anblick der Wachstumszahlen 2018 – das BIP wuchs um 6,6 Prozent, so wenig wie seit 1990 nicht mehr – eher zum Heulen zumute ist. Andere Länder, andere Sitten…

In den aktuellsten Prognosen für Österreich geht das WIFO von 1,7 % BIP-Wachstum für das Jahr 2019 und mit 1,8 % für das Jahr 2020 aus, wobei die Werte seit Jahresbeginn bereits nach unten korrigiert wurden. Besonders betroffen: die Industriekonjunktur, wenngleich die Inlandsnachfrage als größte Stütze der heimischen Konjunktur fungiert. Auch der Internationale Währungsfonds berichtet von einer Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums – und ist besorgt. Mit dem Rückgang der Wirtschaftsleistung werden sogleich Unruhen und ein Rückgang des Wohlstandes in Verbindung gebracht. Unternehmen gelten nur dann als erfolgreich, wenn sie jedes Jahr mehr Umsatz und mehr Gewinn lukrieren. Dass dabei auch mehr Ressourcen verbraucht werden, ist nebensächlich – solange der Einkaufspreis passt.

Apropos Ressourceneinkauf: der erfolgt auf dem globalen Markt, denn die natürlichen Ressourcen in Österreich sind mit dem Stichtag 12. April für dieses Jahr aufgebraucht. „Wachstum um des Wachstums willen ist die Ideologie der Krebszelle“, sagte einst der Autor und Philosoph Edward Abbey. So lange die Ansprüche in puncto Wohlstand weiter steigen – und ein Blick auf China, Japan, Indien & Co lässt Schlimmes erahnen – ist Wachstum nötig. Bei gleichbleibendem Umsatz kann ein Unternehmen keine Lohnerhöhungen bieten, da aber die Preise für Güter des täglichen Bedarfs weiter steigen, jedes Jahr neue Smartphones auf den Markt kommen und qualifizierte Mitarbeiter schwer zu finden sind, muss das Gehalt wohl zwingend steigen – also auch der Umsatz (oder zumindest der Gewinn).

Umdenken, Umbruch, Revolution?
Digitalisierung und Globalisierung gehen Hand in Hand mit dem Kapitalismus – und Überproduktion im Kontrast zu ökologischer Nachhaltigkeit. Beim internationalen Kongress „Gutes Leben für alle“ mit ca.140 Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Interessensvertretungen, Politik und Wirtschaft wurden Alternativen gesucht: „Es geht darum, Globalisierung zu erden und mit emanzipatorischer wirtschaftlicher Regionalisierung Handlungsspielräume ‚von unten‘ zurückzugewinnen. Durch Eigenständigkeit und Weltoffenheit – einen heimat-verbundenen Kosmopolitismus“, sagte Andreas Novy, Leiter des Instituts Multi-Level Governance and Development an der WU. Oder mit den Worten von Professor Jean Marc Fontan von der Universität Montreal: „Echter Fortschritt verlangt es, auch nein zu sagen zu einer Entwicklung, die vor allem globale Ungleichheit und ökologische Probleme mit sich bringt.“

Doch wer kann heute noch „nein“ sagen? Die Politik sicher nicht, die genehmigt sich eher höhere Diäten (obwohl, zu Sozialleistungen für Arme kann die aktuelle Regierung sehr gut „nein“ sagen, wie es scheint..). Bei einem System, das auf Innovation und Wachstum ausgelegt ist, kann man nicht plötzlich die Stopp-Taste drücken. Vor allem nicht als Staat im Alleingang – alle anderen rundherum würden sich angesichts des weggefallenen Konkurrenten die Hände reiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ALLE Staaten weltweit gleichzeitig die Notbremse ziehen und auf Wachstum verzichten, ist unglücklicherweise so hoch wie ein Sechser im Lotto – wenn nicht noch geringer.

Nicht ganz so krass die Thesen der Postwachstumsökonomie, wo auf BIP-Wachstum, nicht aber auf Wohlstand verzichtet wird – durch die Stärkung lokaler und regionaler Selbstversorgung (zB selbstverwaltete Landwirtschaftsbetriebe) und Reduktion von globalisierter Industrie, ein Ausstieg aus dem kapitalistischen Marktmodell hin zu sozial gerechtem und ökologischem Denken ohne Überschussproduktion. Es ist genug für alle da, nur die Verteilung ist unfair. Laut Schätzung von Credit-Suisse haben in Österreich zumindest 229.000 mehr als 1 Million auf dem Konto (ich gehöre nicht dazu).

Qualität statt Quantität, Mobilität statt eigenes Fahrzeug, mehr Bildung statt Materielles… wenn der Frächter für seinen Transport und die gebotenen Serviceleistungen eine faire Entlohnung erhält, muss er nicht riesige Mengen quer durch die Welt transportieren, um einen Gewinn zu erzielen. Das selbe gilt auch für andere Branchen. Konsum mit Hirn ist die Devise – welcher Mensch braucht 30 Paar Schuhe und dazu passende Accessoires? Kann man nur mit Statussymbolen glücklich sein? Muss ich wirklich ein teureres Auto haben als mein Nachbar? Unternehmen behaupten, sie bedienen Bedürfnisse – dabei kreieren sie sie durch Werbung selbst. Überproduktionen landen im Müll, wegwerfen satt reparieren ist angesagt, schließlich kostet die neue Hose weniger als der Reparaturflicken…

Die Machtstrukturen der Elite sind so verfestigt, dass Einzelne nur wenig bewegen können. Die Hoffnung ist, dass die heranwachsenden Generationen angesichts von Klimademos und globalen Krisen nicht die Augen verschließen, um die (vermeintlichen) eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Denn wie heißt es so schön? „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, daß man Geld nicht essen kann.“ (AG)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2019

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