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Die „Zeit“bombe

Damit Verspätungen die langfristige Zusammenarbeit der Partner in Supply Chains nicht aufs Spiel setzen, bedarf es einer präzisen Ausarbeitung zeitsensibler KPI und zeitrelevanter Passagen in Logistikverträgen. Dies war das Fazit der 2. Luzerner Transport-Logistiktage.  Redaktion: Ursula Schmeling

Wenn Maschinen zu spät ausgeliefert werden und es zu Produktionsausfällen kommt, kann die Verspätung für den Verursacher teuer werden. Häufig fällt es jedoch schwer, nachträglich zu klären, wer oder was der Verursacher der Verspätung war und wessen Versicherung, wenn überhaupt, wie viel in nützlicher Frist zahlt.
 
Supply-Chain-Manager und Logistikdienstleister sind keine Juristen. Aber Slow-Steaming, am Kai oder in der Luftfrachthalle stehen gebliebene Sendungen, Container oder Waggons, die am falschen Ort landen, Staus, Unfälle, Naturkatastrophen usw. stellen sie immer wieder vor die Frage, wie Regressforderungen wegen verspäteter Auslieferung von Zulieferteilen, Halbwaren oder Fertigprodukten zu behandeln sind. Anlässlich der 2. Luzerner Transport-Logistiktage beleuchteten angeführt von Rechtsanwalt und Professor Dr. Alexander von Ziegler, Juristen, Akademiker und Praktiker die Zeit-Problematik in Logistikverträgen von allen Seiten.
 
Prävention statt Anwalt 
Das pragmatische Fazit: Unternehmen sollten mehr Zeit und Geld in robuste Prozessabläufe und Prävention investieren. Wenn es zum Streit kommt, sollten sie einen Kompromiss suchen. Etablierte Transportketten und Partner, die sich bisher bewährt hatten, sollten nicht wegen eines „Zeit“-Fehlers sofort in die Wüste geschickt werden. In diesem Sinne bevorzugen Firmen in der Schweiz außergerichtliche Einigungen, während in Deutschland meist sofort geklagt wird.
 
Professor Ziegler empfiehlt die Vereinbarung von Zeitkriterien bei KPI und eine präzise Definition von Zeit in Logistikverträgen. KPI sollten allerdings nicht als Haftungsauslöser missbraucht werden, sondern als Führungsinstrument für die Beurteilung der «Overall-Performance» des Logistikdienstleisters und als Impulsauslöser für beide Vertragspartner zur Verbesserung der Logistikkette gesehen werden sollten.
 
Auch ein Logistikvertrag sei nicht nur ein rechtliches Instrument, sondern vor allem ein Management- und Führungstool, das zur Optimierung des Supply-Chain-Managements beiträgt. Als erfahrener Wirtschaftsanwalt plädiert Ziegler für eine Vertragsausgestaltung, die die Logistikstrategie des Unternehmens widerspiegelt, die Schnittstellen Logistiker – Kunde, die beidseitigen Schlüsselbedürfnisse sowie Logistik-Transparenzkriterien definiert, nämlich ein Tracking-, Friktionsmanagement- und ein Zeit-Management-System. Vertragsstrafen und Kündigungsklauseln sieht er nur als «ultima ratio». Für die Formulierung solcher Logistikverträge empfiehlt er Verladern und Logistikdienstleistern, auf jeden Fall Fachpersonen hinzuzuziehen. Die Materie ist äußerst komplex.
 
Unbekannte Risiken 
Und manchmal hilft kein Vertrag. So war es zum Beispiel bei den Lieferausfällen, Lieferverzögerungen und Produktionsstopps, die aufgrund fehlender Komponenten nach dem Erdbeben in Japan und den Überflutungen in Thailand 2011 vor allem in der Hightech- und Automobilindustrie auftraten. Zahlreiche Firmen stellten fest, dass sie die Unterlieferanten der Lieferanten oder die Zulieferer der Unterlieferanten gar nicht kannten und so gar nicht ahnten, dass mit dem Tsunami eine Verspätungswelle auf sie zurollte. 
 
Haftung und Ersatz für Verspätungen sind bei jedem Verkehrsträger unterschiedlich geregelt (siehe Box 1). Wann eine Verspätung vorliegt, ist entweder gar nicht gesetzlich geregelt oder wird durch die im Frachtvertrag spezifizierte Lieferfrist definiert. Transport- respektive Verkehrshaftpflichtversicherungen können, müssen aber nicht zwingend durch Verspätungen verursachte Schäden abdecken. Es kommt auf die genauen Umstände an. Beispielsweise, wie wurde „Zeit“ im Logistikvertrag definiert: ab Lieferant oder Abgangshafen/-flughafen/-bahnterminal? Wurde eine fixe Lieferzeit oder eine durchschnittliche Transitzeit vereinbart? 
 
Vielfach werden Verspätungen bereits durch eine mangelhafte Versandvorbereitung beim Verlader verursacht, z.B. eine mangelhafte Dokumentation oder falsche Inhalts- oder Gewichtsangaben, mangelhafte Vorbereitung und Verpackung der Ware, Anlieferungsfriktionen oder ungenaue Lieferinstruktionen. Dann tickt eine „Zeit“bombe.
 
Verspätungen können aber auch beim Empfänger entstehen, wenn dieser die Warenannahme wegen Beschädigung, falscher Anlieferzeit/verpasster Zeitfenster oder wegen eines Ausstiegs aus dem Kaufvertrag (oft bei Sinken der Commodity-Preise) verweigert. Das „Zeit“-Thema hat also vielfältige Wurzeln und wird sicherlich noch eine Zeitlang Logistiker, Anwälte und Versicherungen beschäftigen. (US)

Quelle: Logistik express Print- und E-Paper Ausgabe 2-2012 

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