Führung in der Krise – Krise in der Führung?

Die Wirtschaftskrise hat die Logistikbranche voll erfasst. Rückgänge von bis zu einem Viertel des Geschäftsvolumens bei gleichzeitigem Preisdruck vom Markt bedeuten einen teils brutalen Anpassungsdruck. In dieser Situation gilt es zugleich, die Mitarbeiter zu halten. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Was erleben Mitarbeiter und was tun Führungskräfte, was könnten Sie besser machen? myLogistics befragt dazu Stefan Urke, geschäftsführender Gesellschafter der forward academy gmbh, einem auf Transport & Logistik spezialisierten Weiterbildungsinstitut.

myLogistics: Herr Urke, mit über zehn Jahren Erfahrung in Managementpositionen in der Logistikbranche sowie als Führungskräfte- und Kommunikationstrainer können Sie sicher einiges zur aktuellen Situation im Personalmarkt berichten. Wie reagieren die Mitarbeiter in unserer Branche auf die Krise?

Stefan Urke: Mit Unsicherheit und Angst. Versetzen wir uns einmal in die Rolle eines Sachbearbeiters. Bislang fühlte er sich wohl in der Firma, hat auch gerne einmal Extra-Schichten eingelegt, das Betriebsklima war gut. Und jetzt? Aufträge bleiben aus, der Chef ist mürrisch, alles wird in Frage gestellt.

myLogistics: Was genau geht Ihres Erachtens in den Menschen vor?

Stefan Urke: „Was wird aus mir?!“ ist die dominierende Frage, die Menschen haben erheblichen Stress, sehen die Lage als Bedrohung der eigenen Existenz. Die beruflichen und privaten Ziele stehen in Frage, das Selbstwertgefühl wird erschüttert. Hinzu kommt das Gefühl, nicht mehr Herr der Lage zu sein, keine Optionen zu haben. Ein Großteil der Energie und Arbeitszeit wird für Diskussionen über die Situation und zur Umorientierung aufgewandt. Arbeitsleistung und Motivation gehen steil bergab.

myLogistics: Wie wirkt sich das auf das Unternehmen aus?

Stefan Urke: Gerade jetzt gilt es doch, neue Kunden und Märkte aufzutun, neue Lösungen zu entwickeln, Kostensenkungen in allen Bereichen durchzuführen. Und dazu braucht es hoch motivierte und kreative Leute. Mit ängstlichen, demotivierten Mitarbeitern funktioniert das nicht.

myLogistics: …alles Führungsaufgaben – wie gehen die Führungskräfte mit der Situation um?

Stefan Urke: Führungskräfte sind auch Menschen – mit den gleichen Ängsten und Sorgen. Zugleich stehen sie aber in der Verantwortung, die Krise aktiv zu meistern, Veränderungen nach vorne zu bringen und weitaus intensiver als je zuvor auf die Befindlichkeiten ihrer Mitarbeiter einzugehen. Eine wahre Herkulesaufgabe.

myLogistics: Sind die Führungskräfte nach Ihrer Erfahrung und Beobachtung dazu in der Lage? Man hört diesbezüglich so manche ‚Horrorgeschichten‘.

Stefan Urke: Es gibt sehr positive Beispiele, wo aktiv und systematisch eine gute Führungskultur etabliert wurde, also auch Auswahl, Ausbildung und Management der Führungskräfte professionell betrieben worden ist. Das zahlt sich jetzt aus. Die Regel ist das aber nicht. Das fängt beim Besetzen der Führungspositionen an: Karriere und Macht, Geld, Einsatzwille, Fachkompetenz, sowie Loyalität und Verantwortung sind oft wichtigere Faktoren als Sozialkompetenz. Und in unserer Branche verzichten noch erstaunlich viele Unternehmen darauf, den Nachwuchs auf die Führungsrolle professionell vorzubereiten. Der Umgang mit Gefahrgut oder dem Computersystem scheint eine höhere Bedeutung zu haben als der mit Menschen – dem wichtigsten Kapital. Bei ’schönem Wetter‘ funktioniert das. Jetzt wird es zum Risiko.

myLogistics: Welche Fehler sind zu beobachten? Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Stefan Urke: Mitarbeiterführung ist komplex, entsprechend viele Fehlerpotenziale lauern. Ich beschränke mich auf die wichtigsten:

– „Autistische“ Führung – Die Unternehmensleitung tagt hinter verschlossenen Türen und fällt einsame Entscheidungen. Tief greifende Veränderungen wie Arbeitsplatzabbau oder Standortschließungen erfahren die Mitarbeiter aus der Presse.

– Inkompetente Kommunikation – Mitarbeiter werden zwar informiert, aber so diffus, dass die Unsicherheiten eher verstärkt werden. Das ist weit verbreitet!

– Schlechte Laune – Wenn der Chef seine Emotionen nicht im Griff hat und seinen eigenen Stress durch Launenhaftigkeit auslebt, hat das fatale Auswirkungen auf die Motivation. Das Gefühl kommt hoch, man werde auch noch zum Schuldigen der Krise gemacht.

– Solidarisierung – gerade im unteren bis mittleren Management ist eine – meist unbewusste – Solidarisierung zu beobachten. Die Führungskraft zeigt vordergründig: „wir sitzen ja im gleichen Boot“ und beteiligt sich an Spekulationen oder abfälligen Bemerkungen zum eigenen Unternehmen. Damit bestätigt der Chef aus seiner Rolle heraus die negative Wahrnehmung der Mitarbeiter und sabotiert jede konstruktive Veränderungsmaßnahme.

Versetzen wir uns wieder in die Situation des Sachbearbeiters. Das Vertrauen ist dahin. Auf die innere Kündigung folgt bei nächster Gelegenheit die tatsächliche. Als erstes gehen die Leistungsträger. Das verschärft das Dilemma während der Krise und wird zum Riesenproblem im nächsten Aufschwung – der Fachkräftemangel in Transport und Logistik ist ja nicht plötzlich Vergangenheit.

myLogistics: Wie kann das Management die Motivation erhalten?

Stefan Urke: Das Wichtigste überhaupt ist Information und Kommunikation auf allen Ebenen. „Betroffene zu Beteiligten machen“ lautet die Devise gut geführter Unternehmen. Diese haben eine Kommunikationsmatrix und widmen einen erheblichen Teil der Aufmerksamkeit auf das Was – Wann – Wie der internen Kommunikation.

Die Führungskräfte sollten gerade jetzt ihre Mitarbeiter intensiv beobachten und deren Befindlichkeiten behutsam aber direkt ansprechen. Das ist enorm wichtig, aber alles andere als einfach – und wird daher gerne umgangen. Gleichzeitig gilt es, die eigene Außenwirkung zu kontrollieren. Profis sind präsent, strahlen Optimismus aus und reißen so auch in schwierigen Zeiten mit. Die Betroffenen lassen sich sehr gut beteiligen, indem sie z.B. in Projektgruppen eingebunden werden. Veränderung braucht Kreativität.

Wirklich guten Führungskräften gelingt es, die Energie der Mitarbeiter positiv zu nutzen. Wer in einem Kreativworkshop mit nach neuen Lösungen sucht, wird weniger intensiv nach einem neuen Job Ausschau halten. Es ist eine der entscheidenden Fragen: ist das Führungsteam dazu in der Lage? Im Zweifel lohnt es, einen professionellen Coach zu beauftragen oder spezifische Trainings durchzuführen. Das ist allemal günstiger, als demotiviertes Personal zu 100% zu bezahlen, aber nur 50% Arbeitsleistung zu erhalten.

myLogistics: Was kann das Unternehmen noch tun, um Mitarbeiter zu halten?

Stefan Urke: Die offene Verhandlung mit dem Sozialpartner, also Betriebsrat und Gewerkschaft, kann zu konstruktiven Regelungen führen, z.B. befristet 10% Lohnverzicht, dafür kein Stellenabbau. Kurzarbeit ist natürlich eine ganz nahe liegende und staatlich zurzeit großzügig geregelte Möglichkeit, Entlassungen zu vermeiden. Eine weitere Möglichkeit ist die staatlich geförderte Weiterbildung. So werden z.B. im Rahmen von WeGebAU nicht nur die Kosten der Weiterbildung, sondern auch die Lohnkosten vom Staat ganz oder zum Teil getragen. Und die Mitarbeiter sind motiviert: „wenn meine Firma in meine Weiterbildung investiert, setzen die ja auch in Zukunft auf mich.“

myLogistics: Herr Urke, danke für das informative Gespräch.

Das myLogistics-Gespräch führte Susanne Wranik.

Quelle: MyLogistics

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