„Ich fürchte, die Zeit der reinen Leercontainerderpots ist vorbei“

Bevor Andreas Stepan zu den Entwicklungen auf der „Maritimen Seidenstraße“ Stellung nimmt, führt er den Berichterstatter durch die neuen Räumlichkeiten seines Arbeitgebers.

Das Branche Office Vienna der CMA CGM (Deutschland) GmbH Shipping Agency hat am Standort Rennweg Nr. 46 einen größeren Bürotrakt bezogen. Hier sind jetzt auf 250 m² Fläche die Bereiche Customer Service und Sales der weltweit tätigen französischen Containerreederei und von APL mit zusammen 14 Mitarbeitenden untergebracht. Die zuletzt genannte Marke verschwindet in Europa Ende September von der Bildfläche. Dann gibt es nur mehr den Marktauftritt unter dem CMA CGM Branding.

„China ist für uns ein ganz großes Thema“, kommt Andreas Stepan im Besprechungsraum rasch zur Sache. Allerdings haben sich die Abläufe für die österreichische Vertriebsniederlassung der weltweit tätigen Containerreederei in den letzten Jahren deutlich verändert. Das liegt einerseits in der steigenden Bedeutung der Südhäfen begründet. Vor allem Koper habe sich in den letzten Jahren als verlässlicher und innovativer Partner herauskristallisiert, den die Kunden aus dem Kreis der internationalen Speditionen sehr schätzten. Dazu leiste auch die ständige Präsenz eines engagierten örtlichen Hafenvertreters mit fundierten Fachkenntnissen einen wesentlichen Beitrag, ist man bei CMA CGM überzeugt.

Gleichzeitig beobachtet man in der Wiener Verkaufsniederlassung das Phänomen, dass zusehends weniger Containerimporte aus Fernost den Weg bis nach Österreich finden. Vor allem die über Hamburg, Bremerhaven, Antwerpen und Rotterdam nach Europa kommenden Sendungen werden in zunehmendem Maße im nahegelegenen Hinterland der genannten Eingangshäfen gebrochen. „Da gibt es riesige Logistikzentren, ab denen Lkw-Züge die Distribution der Waren in ganz Europa übernehmen“, berichtet Andreas Stepan. Dadurch bedingt sei das Volumen der bis nach Österreich durchgerouteten Boxen in den letzten Jahren bei bestimmten Unternehmen stark rückläufig.

Das zeitigt Folgen für das Leercontainermanagement. Die Linienreedereien müssen heute mehr Equipment positionieren, um die Kundenwünsche erfüllen zu können. Dafür wurden und werden gegebenenfalls eigene Zugsysteme aufgebaut. Großverlader erwarten heutzutage das ganze Jahr über eine fixe Leerequipment-Garantie. Das ist mit ein Grund, warum CMA CGM die Zusammenarbeit mit Depotbetrieben mit Anbindungen an hochfrequente Zugsysteme bevorzugt. „Ich fürchte, die Zeit der reinen Leercontainerdepots ist vorbei“, lautet die Einschätzung von Andreas Stepan. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sein Team gemeinsam mit Kühne + Nagel für einen Kunden aus der Holzwerkstoffindustrie ein innovatives Zugprodukt nach Koper entwickelt, dessen Abwicklung über das Terminal Wien Süd der ÖBB Infrastruktur erfolgt.

Auch von Budapest in den Hafen Rijeka betreibt CMA CGM bereits einen eigenen Bahnshuttle. Es ist für Andreas Stepan nur eine Frage der Zeit, wann weitere Transportkonzepte auf die Schiene folgen. In diesem Zusammenhang bringt er einen Südhafen ins Spiel, der in Österreich weitgehend unbekannt ist. Die Rede ist von Genua, das bisher nur von einem Großverlader für Verschiffungen nach Nord- und Südamerika regelmäßig genutzt wird. Hier habe in den letzten Monaten trotz der tragischen Brückenkatastrophe im Sommer 2018 alles reibungslos funktioniert. Im Unterschied dazu müssten Blockzüge in Griechenland fallweise bis zu drei Tage warten, bevor sie in den Hafen Piräus einfahren könnten.

Trotzdem ist Koper die bevorzugte Wahl von CMA CGM für die Verschiffung von österreichischen Containerfrachten nach Ostasien, „weil das auch die Kunden so wünschen“, reflektiert Andreas Stepan im Gespräch mit der Österreichischen Verkehrszeitung. Der slowenische Seehafen habe in den letzten Jahren seine Terminals zielorientiert ausgebaut und gute Verbindungen in den Fernen Osten geschaffen. Das Ergebnis dieser Bemühungen sind die steigenden Schiffsgrößen. Die Reedereikooperation Ocean Alliance, zu deren Mitgliedern neben Cosco Container Lines, OOCL und Evergreen auch CMA CGM zählt, bedient den slowenischen Port aktuell mit 8.500 TEU Carriern, und das dürfte noch nicht das Ende der Fahnenstange sein.

Es lässt sich schwer beurteilen, inwieweit die verladende Wirtschaft, die internationalen Speditionen und letztlich auch die Schifffahrtsunternehmen die in Koper gewährleistete Neutralität schätzen. Es gibt hier im Unterschied zu vielen anderen Häfen in Europa kein Beteiligungsverhältnis einer großen Containerreedereigruppe oder eines internationalen Hafenlogistikkonzerns. Gerade die chinesischen Investoren sorgten diesbezüglich in den letzten Jahren für viele Schlagzeilen. Sie haben seit 2002 ein globales Netzwerk entwickelt, dem europäische Marktbeobachter den gebotenen Respekt zollen. Jedoch könnte das auch eine langfristige Bestandsgarantie für die leistungsfähigen unabhängigen Seehäfen sein, vorausgesetzt sie verfügen über die entsprechende Kapitalkraft.

JOACHIM HORVATH

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