Keine Industrie 4.0 ohne Logistik 4.0

Der hochkarätig besetzte Kongress, zu dem der Club of Logistics für den 10./11. November 2014 nach Bremen eingeladen hatte, beschäftigte sich mit den Zukunftsperspektiven, die sich aus der fortschreitenden Digitalisierung aller Aspekte des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens ergeben. Dabei kristallisierte sich heraus, dass der Logistik in diesem Prozess der kompletten Vernetzung aller Informations- und Kommunikationssysteme eine herausragende Rolle zukommt.

Die Fachtagung stand unter dem Motto: „Industrie 4.0 = Logistik 4.0“. Unter der Moderation des Publizisten Dieter Schnaas untersuchten Experten aus Wissenschaft und Industrie in Keynotes und mehreren Talkrunden die Bedeutung der Logistikindustrie bei der Umsetzung der von der Bundesregierung gestarteten Initiative Industrie 4.0.

Evolution der Technologie, Revolution der Geschäftsmodelle
In ihren Keynotes umrissen Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, Geschäftsführer der Scheer Group in Saarbrücken, und Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftsführung im BDI, den gegenwärtigen Stand und die mittelfristige Entwicklung der Industrie 4.0-Technologien sowie deren Einfluss auf die Geschäftsmodelle in Herstellung und Logistik. Übereinstimmend hoben sie hervor, dass es bei Industrie 4.0 nicht um die großangelegte Neuentwicklung von Technologien geht, sondern um die Integration und Vernetzung vorhandener und evolutionär weitergeführter Ansätze. Nicht die technischen Aspekte des Wandels in der Wertschöpfungskette stellten eine Revolution dar, sondern ihre Anwendung innerhalb völlig neuer Geschäftsmodelle, die auch die Rolle der beteiligten Industrien komplett umgestalten würden: Nicht mehr die Hersteller der materiellen Güter (etwa die „Blechbieger“ der Autoindustrie) werden das Sagen haben, sondern die Softwarehersteller, die im Besitz der Kundendaten sind und Zugang zum Endkunden haben.

Industrie 4.0 krempelt die Wirtschaftslandschaft um
In der Talkrunde „Wie verändert Industrie 4.0 unsere Wirtschaft“ diskutierten Dr. Reinhard Geissbauer von PricewaterhouseCoopers (PwC), Martin Hofer, Vorstand der Wassermann Unternehmensberatung, und der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Hans-Georg Kemper (Universität Stuttgart) die Frage nach den konkreten Auswirkungen der Industrie 4.0-Agenda auf die Unternehmen. Die Runde war sich darin einig, dass das Hauptthema, das der Dachbegriff Industrie 4.0 aufgreift, nämlich die Digitalisierung aller wesentlichen Unternehmensprozesse in Fertigung und Logistik, einen enormen Effizienz- und Produktivitätsschub bewirken kann. Nach einer PwC-/VDMA-Studie erwarten Unternehmen etwa der Maschinenbau-, Auto- und Prozessindustrie durch Digitalisierungstechnologien eine Kostenreduzierung von 2 bis 3 Prozent pro Jahr. Darüber hinaus prognostizieren sie eine jährliche Umsatzsteigerung von 4 Prozent durch die Produktion neuer digitalisierter Produkte und Services. Die Logistikindustrie, so die einhellige Meinung, werde in besonderer Weise von der Digitalisierung profitieren, da die neuen Geschäftsmodelle und Herstellungsverfahren eine intensive Einbindung und Vernetzung aller Logistikelemente erforderlich mache.

Logistik als Treiber und Profiteur von Industrie 4.0
Über den Themenkomplex „Industrie 4.0 fördert Logistik 4.0“ diskutierten anschließend Prof. Dr. Michael Henke, Institutsdirektor des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML, Sabine Hucke, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Logistik (BVL), Prof. Dr.-Ing. Thorsten Schmidt, Direktor des Instituts für technische Logistik und Arbeitssysteme der TU Dresden, und Prof. Dr.-Ing. Klaus-Dieter Thoben, Geschäftsführer des Bremer Instituts für Produktion und Logistik BIBA.

Die Gesprächsrunde stellte die wegweisende Rolle der Logistik bei der Implementierung der Industrie 4.0-Strategie heraus. So seien viele der Digitalisierungs-Voraussetzungen für Industrie 4.0, die die meisten Fertigungsbetriebe und -konzerne derzeit noch nicht durchgängig erfüllen können, in modernen Logistikunternehmen bereits Alltag, beispielsweise die Nutzung von RFID-Systemen. Zudem sei der Vernetzungsgrad in der Logistik durch die Schnittstellen zu den produzierenden Unternehmen und Zulieferern auf der einen und den Kunden auf der anderen Seite außerordentlich hoch.

Noch wichtiger, so die Experten, werde in Zukunft die Möglichkeit der Logistiker, durch Nutzung des Informationsschatzes (beispielsweise über die Materialflussdetails in den Herstellungsunternehmen) und Anwendung von Big-Data-Software zusätzliche und neue Services anzubieten.

Einstieg in kleinen Schritten
„Wie können Logistikunternehmen sich auf den Wandel vorbereiten?“ lautete der Titel der dritten Podiumsrunde, die mit Prof. Dr. Julia C. Bendul, von der Jacobs University Bremen, Prof. Dr. Michael Feindt, Gesellschafter der Blue Yonder GmbH, Prof. Dr. Otto Jockel, Präsident der Hochschule Neuss für internationale Wirtschaft, Dr. Marcus Schreibauer von Hogan Lovells International sowie Jan Westerbarkey, Geschäftsführer Technik bei der Westaflexwerk GmbH besetzt war.

Die Experten der Runde stellten fest, dass gerade in mittelständischen Unternehmen der Begriff Industrie 4.0 häufig Unverständnis, Unbehagen oder gar Versagensängste hervorrufe. Grund hierfür sei neben einem Mangel an Information auch eine Überfrachtung des Konzepts mit allzu großangelegten und hochtrabenden Visionen. Es mache aber für die Unternehmen durchaus Sinn, zu überlegen, welche Elemente der Digitalisierungsoptionen sich zur Implementierung eignen könnten – wobei der Nutzen in Form messbarer Effizienzsteigerung gesichert sein müsse. Schließlich sei Industrie 4.0 kein Selbstzweck. Zunächst gebe es diesseits des Konzepts noch zahlreiche konventionelle Möglichkeiten, die Effizienz zu steigern.

Quelle: MyLogistics
Portal: www.logistik-express.com

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